Geschrieben am 17. Oktober 2017 von für Bücher, Crimemag

Roman: Till Raether: Neunauge

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 Auch der vierte Fall von Till Raethers hypersensiblem Kommissar Adam Danowski hat es in sich: Wie soll er jetzt in „Neunauge“ aufklären, wer für das Entsorgen mumifizierter Leichen in Hamburger Schulkellern verantwortlich ist? Von Peter Münder

Der therapieresistente Danowski soll sein „Glückstagebuch“ vor dem Schlafengehen regelmäßig aktualisieren – optimal wären Einträge zu  drei Dingen, die ihn am Tag glücklich gemacht hatten. Damit soll er sich aus „negativen Gedankenspiralen“ befreien, wie die Therapeutin erklärt. Aber dieses zwangsverordnete Tagebuchführen macht ihn ebenso wahnsinnig wie das Grübeln darüber, ob er nun tatsächlich hypersensibel ist oder doch nur „leicht depressiv“, wie seine Therapeutin angedeutet hatte: „Wieso konnte er nicht einfach mal nur ganz regulär bekloppt oder okay sein, ohne weitere Einschränkungen?“

Die Zumutungen, die auf Danowski einstürmen, scheinen jedenfalls kein Ende zu nehmen und immer stressiger zu werden. Nun erwartet ihn auch noch das wichtigtuerische Arschloch aus München, der Star-Profiler Martin Gaitner, bekannt als Autor und oberschlauer Selbstdarsteller, der gerne Kollegen wie Danowski als überforderte Veteranen vorführt und seine abstrusen Mobbing-Thesen verbreitet. Danowski findet den extra aus Bayern angereisten Schwadroneur einfach nur widerlich, er versucht aber, diesen mediengeilen Schaumschläger stoisch zu ertragen.

 „Am Anfang war das Mobbing“, lautet Gaitners Credo, daher kapriziert er sich auch bei der Analyse dieser merkwürdigen Mumienfunde in Hamburger Schulen auf seine übliche Mobbing-Variante, über die er auch gerade sein neues Buch verfasst, ohne  dafür irgendwelche Hintergründe dieses Falles zu kennen. Danowski will er natürlich auch von seiner Mobbing-These überzeugen, doch der klinkt sich aus Gaitners plumpem hermeneutischen Scheuklappen-Raster einfach aus und geht seine eigenen unorthodoxen Ermittlungswege.

Die heiße Spur zu diesen Leichenfunden findet der inzwischen trockene, zur Fahrradpolizei abgeschobene Danowski-Freund Finzi. Auf einer zufällig gefundenen Liste entdeckt er rätselhafte Einträge, darunter auch den Namen seiner Kollegin Meta Jurkschat – was ihn natürlich anspornt, diesen vertuschten Mordfällen auf den Grund zu gehen. Aber was hat Meta damit zu tun? Und wieso landeten die mumifizierten Leichen ausgerechnet in Schulkellern?  

Das eigenwillige tolle Trio Danowski, Finzi und Meta möchte am liebsten frei nach Gusto ermitteln und sich nur marginal um Vorschriften, Durchsuchungsbefehle oder anderen Bürokratenkram kümmern. Es gerät zwar in gefährliche Situationen, läuft dabei aber zu großer Form auf. Nicht nur der vermeintliche Underdog Finzi entwickelt  plötzlich analytischen Scharfsinn, auch Danowski hat schließlich eine Art Erweckungserlebnis, als er ahnt, dass die küchenpsychologische Mobbing-These des bayrischen Profilers vielleicht doch nicht so abwegig sein könnte. Der spannende Plot, herrlich-flapsige Dialoge und neorealistische Skizzen aus brüchigen Beziehungskisten – das alles ergibt hier ein gelungenes Lesevergnügen. Auch wenn die Eingangsszene des von zwei Schülern auf dem Schulhof verfolgten/gemobbten Niklas im plumpen „Digga“-Teenie-Jargon zu breit ausgewalzt und plump („Ich fick den gleich in inn´n Arsch, wenn er sein Telefon nicht rausgibt“) präsentiert wird.    

Till Raether: Neunauge. Rowohlt Polaris, Reinbek 2017, 428 S., 14,99,- Euro      

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