Distanzen von 18 Wörtern und mehr
Veit Heinichens „Die Zeitungsfrau“ hat Joachim Feldmann nicht nur Vergnügen bereitet. Er kann begründen, was die Holpersteine waren.
Ein Einbruch auf einer Luxusjacht. Ein Vorhängeschloss wird geknackt und fällt zu Boden, dann wird eine Schiebetür geöffnet. Ein schlichter Vorgang, der sich allerdings auch so beschreiben lässt: „Der Klang eines schweren Vorhängeschlosses, das auf das Deck aus Edelholz fiel, zerriss wie ein Hammerschlag die Stille der Nacht, dem das Geräusch einer Schiebetür folgte, die bis zum Anschlag geöffnet wurde.“
Wir haben es mit einem Autor zu tun, der sich Mühe gibt. Wo notorische Parataktiker es bei zwei Hauptsätzen hätten bewenden lassen, konstruiert Veit Heinichen, aus dessen neuem Kriminalroman hier zitiert wird, ein Satzgefüge mit drei Relativsätzen, von denen einer unglücklicherweise recht weit von seinem Bezugswort entfernt steht. Erst nach eine kurzen Irritation wird nämlich klar, dass sich das Pronomen „dem“ auf „Klang“, also das Subjekt des tragenden Hauptsatzes, bezieht. Aber eine Distanz von achtzehn Wörtern mental zu überbrücken, ist für Praktiker der „awful German language“ (Mark Twain) ja kein Problem.
Es fragt sich allerdings, wo der ästhetische Mehrwert dieser syntaktischen Operation liegt. Während der Vergleich („wie ein Hammerschlag“) verzichtbar scheint, ist der Hinweis darauf, dass es sich um ein „schweres Vorhängeschloss“ handelt, das „auf das Deck aus Edelholz“ fällt, durchaus relevant. Denn die Figur, aus deren Perspektive die Vorgänge geschildert werden, befindet sich hinter einem Müllcontainer auf der Mole und kann folglich nur hören, aber nicht sehen, was an Bord der Jacht vor sich geht. Wenn es also gleich im folgenden Satz heißt, ein „greller Blitz zerriss die Dunkelheit“, soll man sich weniger an der Wiederholung des Verbs stören, sondern bereits ahnen, dass der „Maresciallo mit der Uniform der Guardia die Finanza“ in seinem Versteck etwas mit der Explosion zu tun hat, die offenbar, wie man wenig später erfährt, den Meisterdieb Diego Colombo das Leben kostet.
Hang zur Mitteilsamkeit
„Die Zeitungsfrau“ ist der neunte Roman der populären Reihe um den Triester Commissiario Proteo Laurenti. Seit 2001, also lange bevor italienische und französische Urlaubsziele als bestsellerträchtiger Schauplatz fiktiver Verbrechen reüssierten, löst der (selbstredend unkonventionelle) Kriminalist seine Fälle und kommt dabei regelmäßig zwielichtigen Figuren mit guten Verbindungen zu Wirtschaft und Politik in die Quere. Und da Veit Heinichen ein ausgezeichneter Kenner italienischer Verhältnisse ist, lassen sich seine Kriminalromane auch als Gesellschaftsporträt lesen.
Diesmal geht es um einen korrupten Beamten, eben jenen Maresciallo von der Finanzpolizei, der seine Stellung ausnutzt, um ein beträchtliches Vermögen zusammenzuraffen. Sehr viel hat er aber nicht davon, denn kurz nach dem oben geschilderten Sprengstoffattentat fährt ihn Diego Colombos schwangere Verlobte über den Haufen. Von da an sitzt er schwerstbehindert im Rollstuhl und sein einziges Vergnügen ist, die von ihm selbst vermieteten Spielautomaten in den Bars und Cafés der Stadt zu leeren. Dass er dabei gerne den einen oder anderen Brandy „hinabstürzt“, ist kein physikalisches Wunder, sondern ein Beleg dafür, dass diesem Roman ein gründlicheres Lektorat bzw. Korrektorat gut getan hätte.
Denn Veit Heinichen ist, wie die kleine Untersuchung oben vielleicht gezeigt hat, durchaus ein geschickter Erzähler mit stilistischem Anspruch. Und vielen wird auch seine Mitteilsamkeit, man mag sie auch Hang zur Redundanz nennen, gefallen, verhindert sie doch, dass man zwischendurch den Faden verliert. Womit wir wieder bei der Handlung wären, die sich ein Vierteljahrhundert nach der Explosion auf der Jacht abspielt. Ein spektakulärer Kunstdiebstahl im Freihafen lässt Zweifel daran aufkommen, ob Diego Colombo wirklich tot ist. Proteo Laurenti steht vor einem Rätsel, zu dessen Lösung, so viel sei verraten, er nicht viel beitragen wird.
Als Leser hingegen darf man darüber nachdenken, wie es gelingt, einen Krimiplot zu basteln, der trotz eines eklatanten Mangels an Plausibilität schon in einem frühen Stadium ohne große Mühe zu durchschauen ist.
Joachim Feldmann
Veit Heinichen: Die Zeitungsfrau. Commissario Laurenti in schlechter Gesellschaft. Piper Verlag, München 2016. 352 Seiten, 20 Euro.