Geschrieben am 17. November 2012 von für Bücher, Crimemag

Sam Eastland: Roter Zar

Wo ist der Zarenschatz, wo der Zarensohn Alexej?

Mit Protest-Demos von Pussy Riot, Hardcore-Leninisten, Ultra-Orthodoxen, weißrussischen Reaktionären etc. wird nun auch die Diskussion über die Zaren-Epoche wiederbelebt. Auch Thriller- und Krimi-Autoren werfen wieder einen Blick zurück auf diese blutige und „glorreiche“ imperialistische Epoche. Munter werden dabei historische Fakten mit abstrusen Yellow-Press-Effekten vermischt, aber lässt sich aus diesem Stoff auch ein spannender Krimi fabrizieren? Yes, indeed! Sam Eastland demonstriert mit seinem gelungenen Band „Roter Zar“ wie das funktioniert: Sein Super-Star Pekkala war der unbestechliche, loyale Sonderermittler und Beschützer von Zar Nikolaus II., der Mann für heikle Fälle, der nach der Oktober-Revolution im sibirischen Straflager landete. Doch als Stalin an die Macht kommt, will der unbedingt den Zarenschatz finden. Das kann nur mit Hilfe Pekkalas gelingen, wie Sam Eastland (Pseudonym für Paul Watkins) in seinem grandiosen Pageturner zeigt. Von Peter Münder

Als der russsische Kritiker, Essayist und Japanologe Boris Akunin 1998 seine ersten zur Zarenzeit spielenden Krimis mit der wunderbar altmodischen, an Sherlock Holmes erinnernden Spürnase Fandorin veröffentlichte, rieben sich russische Kritiker, Historiker und Verleger verwundert die Augen: Wie konnte es angehen, dass diese nostalgisch eingefärbten Schmöker in kürzester Zeit einen so gigantischen Erfolg hatten und sich millionenfach verkauften? Und sogar in viele Fremdsprachen übersetzt und verfilmt wurden? Akunins überraschter Verleger, der keine einzige Kopeke für Werbung ausgegeben hatte, kommentierte die verrückte success story seines Bestseller-Autors gegenüber dem Wall Street Journal so: „Es ist eine Massenpsychose, die Bücher verkaufen sich von selbst“. Und prompt gab es Fandorin- T-Shirts, Fandorin-Champagner und andere Fan-Artikel. Offenbar sehnen sich Millionen von Russen in diesen konfliktbeladenen, entbehrungsreichen Post-Glasnost -Umbruchzeiten nach dem Glanz einer glamourösen Empire-Grandezza, als die High Society sich am Champagnerkübel festhielt und lässig auf Französisch parlierte. Der Fandorin-Boom hält jedenfalls immer noch an, inzwischen haben sich auch ausländische Autoren wie Tom Rob Smith („Kind 44“, „Kolyma“, „Agent 6“) auf Thriller mit diesem betörenden, funkelndem Zaren-Flair, aber auch auf den darauf folgenden stalinistischen Alptraum kapriziert.

Nikolaus II. auf einem Gemälde von Ernst Friedrich von Liphart.

Kitsch- und glamourfrei

Der jetzt in New Jersey lebende, in England aufgewachsene Amerikaner Sam Eastland, 48, hat schon eine Trilogie mit seinem finnischstämmigen Sonderermittler Pekkala veröffentlicht, von der „Roter Zar“ (im Original „Eye of the Red Tsar“, 2010 erschienen) der erste ins Deutsche übersetzte Band ist. Den Eton-und Yale-Absolventen und ehemaligen Lehrer Eastland interessieren vor allem die historischen Hintergründe zur Zeit des letzten Zaren Nikolaus II. (1868-1918), das dramatisch-tragische Ende der Romanows und die Wirren der Revolutionszeit, die er im historischen Anhang in einem Glossar auch akribisch beschreibt. Wer also meint, hier werde die Promi-Klatsch-Klientel der „Bunten“ oder der „Gala“ bedient, irrt gewaltig: Verkitscht oder verklärt wird hier gar nichts. Vielmehr kombiniert Eastland ein tristes Dostojekwski-Ambiente mit dem rasanten Plot einer Art russischer „Indiana Jones“-Serie und beschreibt die Auswirkungen der blutigen Revolutionsphase samt Übergang zum stalinistischen Terror in einem brutal-realistischen Stil. Da sein Held Pekkala ursprünglich aus Finnland stammt und die turbulenten Umbruch-Phasen der Zaren-Epoche ebenso kritisch-distanziert betrachtet wie seine eigene privilegierte Sonderstellung, die mit dem Tod der Romanows abrupt endet und ihn für sieben Jahre in ein übles sibirisches Straflager verschlägt, erleben wir die Höhen und Tiefen dieses sympathischen, tollkühnen Helden aus der Tiefkühlperspektive. Mit einem stoischen Fatalismus übernimmt er 1929 die neue Rolle als Sonderermittler in stalinistischen Diensten, um dem Straflager zu entkommen und um überhaupt noch zu überleben: Er soll eruieren, was aus dem legendären Zaren-Schatz geworden ist, wo die ermordeten Romanows tatsächlich begraben sind und ob der Zarensohn Alexej vielleicht doch das Massaker nach der roten Revolution überlebte.

Da der unbestechliche Held Pekkala vom Zaren immer mit besonderem Wohlwollen und Zuneigung behandelt wurde, fühlt er sich verpflichtet, den obskuren Umständen der letzten Stunden der Romanows auf den Grund zu gehen. Also fährt er nach Jekaterinburg, wo die Zarenfamilie umgebracht worden war, er findet auch den Bergwerksschacht, in dem die Romanows „entsorgt“ wurden. Pekkala befragt alle möglichen Augenzeugen, die damals angeblich bei diesen Ereignissen dabei gewesen sein sollen und er tappt in viele Fallen und Hinterhalte, die ihm gestellt werden. Auch seinen lange abgetauchten Bruder, mit dem ihn eine intensive Haßliebe verbindet, trifft er wieder. Aber kann er dem noch trauen?

Sam Eastland (©Robert McNamara , Quelle: droemer-knaur.de)

Opfer?

Eastland hat jedenfalls einen faszinierenden Außenseiter und Einzelkämpfer als Helden in den Mittelpunkt gestellt: Kaum aus seinem Erdloch in Sibirien gekrochen, wird er mit allen erdenklichen Vollmachten ausgestattet und avanciert zum Top-Beamten in einem auf Terror aufgebauten System. Gut, der lern-und reform-resistente autoritäre Nikolaus II., der mit seinem bornierten Phlegma die Unruhen und eine „Empört Euch“-Stimmung ja provozierte und anheizte, wird von Eastland ziemlich unkritisch als Opfer ungünstiger politischer Entwicklungen dargestellt. Aber dieser brisante Polit-Thriller wird ohne jede aufgeblasene Effekthascherei in rasantem Tempo erzählt, der turbulente historische Hintergrund und die düstere Tristesse der in den Stalinismus driftenden Post-Romanow-Ära setzt sich außerdem beeindruckend vom üblichen piefigen Eifersuchts- oder Raubmord-Szenario der meisten Krimis ab. Sein ganz auf sich allein gestellter Überlebenskünstler und Power-Ermittler Pekkala überzeugt imponierend als zerrissener Mann für alle Fälle mit seiner Intelligenz und einem grandiosen Einfallsreichtum – wir warten jedenfalls begeistert und begierig auf die Übersetzungen der nächsten Bände!!!

Peter Münder

Sam Eastland: Roter Zar (Eye of the Red Tsar, 2010). Deutsch von Karl-Heinz Ebnet. München: Knaur 2012. 381 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen und Leseprobe zum Buch. Offizielle Homepage der Pekkala-Romane.

Tags :