Geschrieben am 1. Februar 2008 von für Bücher, Litmag

Sergio Luzzatto: Il Duce – das Leben nach dem Tod

Der ‚Duce’ lebt

Warum der barbarisch getötete Benito Mussolini auch nach seiner Hinrichtung jahrzehntelang weiterlebte und bis heute in Italien Anlaß für heftige Kontroversen über die Bedeutung der faschistischen Zeit ist.
Italien hat in einem kurzen Prozeß den Faschismus besiegt. Wird die deutsche mit der italienischen Aufarbeitung der faschistischen Zeit verglichen, ist dieser Satz häufig zu hören. Aber an dieser Feststellung ist jede Teilaussage falsch, zumindest jedoch sehr verkürzt. Die Photos mit dem Kopf nach unten auf der Piazzale Loretto in Mailand öffentlich ausgestellten toten Körper des Duce und seiner Geliebten Claretta Petacci gingen um die Welt. Man hat sie vor Augen und denkt, wie eindeutig – und brutal – doch die Italiener mit dem Faschismus abgerechnet haben. Dann aber liest man mit angehaltenem Atem die detaillierte Recherche des Turiner Historikers Sergio Luzzatto über den öffentlichen Umgang mit dem toten Körper des ‚Duce’ und ist gezwungen, sein Bild über die so radikale Abrechnung der Italiener mit dem Faschismus zu revidieren. In der in Italien seit vielen Jahren heftigen Kontroverse über die Bedeutung der ‚Resistenza’ im Kampf gegen die Nazi-Okkupation und den Faschismus teilt Luzzatto weder die Position der ‚rechten’ Duce-Nostalgie noch der ‚linken’ Verklärung des angeblichen massenhaften Widerstands gegen Nazi-Okkupation und Faschismus. Statt dessen versucht er mit einer sehr detaillierten, vor allem aber unkonventionellen Recherche über das ‚Nachleben des toten Mussolini“ einen anderen Blick auf die bis heute die politische Kultur Italiens prägende Zeit des Übergangs vom Faschismus zur Demokratie.

Wie tote Schweine

Das entscheidende, im kollektiven Bewußtsein der Italiener tief eingesenkte Datum dieser ‚Epochenwende’ ist die barbarische Zurschaustellung des toten Duce und der gleich ihm wie tote Schweine aufgehängten Claretta Petacci und zwei weiterer faschistischer Führer. Mit dieser kurzen, radikalen und barbarischen Hinrichtung wurden zweifellos die Rachegefühle des den Faschismus ablehnenden Teils der italienischen Bevölkerung befriedigt. Aber eine demokratische Abrechnung mit einer Diktatur sieht anders aus. „So beginnt das Leben des freien Italien mit einer Feier des Todes. Die Ereignisse in Mailand sind für den Gründungsmythos des neuen Italien wahrlich nicht sehr rühmlich.“ Und waren alle, die an jenem Tag auf der Piazzale Loretto mit so viel Wut die am Galgen baumelnden faschistischen Tote feierten in den Jahren zuvor auch ebenso leidenschaftlich am Kampf der Resistenza beteiligt? „Die Italiener sind Faschisten oder Antifaschisten, wie es gerade paßt“, zitiert Luzzatto zustimmend aus dem Tagebuch eines italienischen Soldaten, der in einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager inhaftiert war. Ein hartes, vielleicht auch ungerechtes, aber nicht ganz unbegründetes Urteil.

Die eigentliche Recherche von Sergio Luzzatto beginnt am Tag nach dem makabren Spektakel inmitten von Mailand. Wohin mit den Leichen? Heimlich wurden die Toten auf einem mailänder Friedhof anonym begraben. Doch gelang es jungen Duce-Anhängern, wahrscheinlich durch Mithilfe von Friedhofsarbeitern, das Grab zu lokalisieren und die Leichen zu entwenden. Über hundert Tage dauerte es, bis es der Polizei gelang, den verschwundenen Leichnam des Duce wiederzufinden. Luzzatto schafft es, die Suche nach dem toten Mussolini in einer spannenden, oft makabren, manchmal auch witzigen Reportage wiederzugeben. Von 1946 bis 1957 wurde der tote Duce, besser, das was von ihm noch in eine kleine Holzkiste paßte, an einem Ort fernab der öffentlichen Aufmerksamkeit in einem Kloster ‚zwischengelagert’. Ein neues Grab auf einem anderen Friedhof hätte die mit ihrem großen Führer nach wie vor sympathisierenden Neo-Faschisten ebenso angelockt wie die erzürnten Antifaschisten. Aber der vor der Öffentlichkeit versteckte Tote weckte erst recht das neugierige Interesse, vor allem die leidenschaftliche Instrumentalisierung des Toten für die jeweiligen politischen Parteinahmen. Bei den Faschisten wuchs von Jahr zu Jahr das Maß an Verehrung für den Duce, während die Antifaschisten sich immer neue Geschichten über den heldenhaften Kampf gegen Mussolini ausdachten, der in der Realität oft sehr banal und alltäglich war.

Wie ein Basso continuo durchzieht die Erinnerung an den Faschismus in allen nur denkbaren Varianten die italienische Nachkriegskultur. Luzzatto widmet dem Echo des Faschismus und des Anti-Faschismus in der italienischen Literatur ein eigenes Kapitel, in dem man zum Beispiel staunend erfährt, wie sehr auch literarische Größen wie Carlo Emilio Gadda von dem lebenden Duce ebenso fasziniert waren wie sie dann post mortem von ihm angewidert wurden. Lupenreine Antifaschisten waren nur die wenigsten unter den bekannten Schriftstellern jener Zeit.

Der Duce stirbt nie

Wie lebendig der tote Mussolini auch Jahrzehnte nach den Ereignissen auf der Piazzale Loretto noch in der Tagespolitik war, zeigt Luzzatto abschließend in seiner Rekonstruktion der Debatte um eine Überführung des Leichnams nach Predappio, dem Geburtsort des Duce. Für die Regierungsbildung war die christdemokratische Partei angewiesen auf die Stimmen der Neo-Faschisten, die ihre Unterstützung jedoch abhängig machten von der Genehmigung eines Grabes für Mussolini in Predappio. Die machtorientierten Christdemokraten wußten natürlich, daß sie damit einen Pilgerort für die Ewiggestrigen zuließen. Aber verpflichtet der katholische Glaube nicht zur Pietät gegenüber den Toten…? Einer wirklichen Auseinandersetzung mit dem fortwirkenden Faschismus in Italien konnte man sich so, auf seine christliche Nächstenliebe berufend, entziehen. Und das letzte Urteil über das Leben des Benito Mussolini wird letztlich sowieso nicht von einem irdischen Gericht gesprochen….

Dass diese historische Untersuchung von Sergio Luzzatto bis zur letzten Seite spannend bleibt und sich wegen einer oft wunderbar leicht eingefügten Ironie auch sehr unterhaltsam liest, ist auch der glänzenden Übersetzung von Michael von Killisch-Horn zu verdanken. Hoffentlich wird das neueste Buch von Sergio Luzzatto über den merkwürdigen italienischen Nationalheiligen Padre Pio auch möglichst bald ins Deutsche übersetzt. Der schräge Blick von Luzzatto auf die Zeitgeschichte sollte auch bei uns Schule machen.

Carl Wilhelm Macke

Sergio Luzzatto: Il Duce – das Leben nach dem Tod. Aus dem Italienischen von Michael von Killisch-Horn, Eichborn-Verlag, Frankfurt am Main, 2008, 353 S.