Geschrieben am 6. Februar 2010 von für Bücher, Crimemag

Shamini Flint: Die tödliche Familie Lee

Mit Frust, Bart und Turban: Inspektor Singh greift ein

Es gibt noch echte Entdeckungen im Crime County: Inspektor Singh aus Singapur, ein pummeliger Sikh, ausstaffiert mit Rauschebart, Turban und Turnschuhen, ist ein wunderbarer, unkonventioneller Cop. Die ehemalige Singapurer Rechtsanwältin Shamini Flint schickt Singh in ihrem ersten Krimi Die tödliche Familie Lee auf eine Dienstreise nach Malaysia – und dort ist der Teufel los. Eins steht fest: Flint und ihr Sikh-Inspektor Singh ergeben eine unwiderstehliche Kombination … Eine Trouvaille von Peter Münder.

Er geht gern seine eigenen Wege, verhält sich gegenüber Vorgesetzten kritisch-aufmüpfig und hält überhaupt nichts von Ärmelschonern und wichtigtuerischen Bürokraten. Und deshalb steht der Singapurer Sikh-Kommissar Singh auch ganz oben auf der Abschussliste; man will ihn mit allen möglichen Schikanen in den vorzeitigen Ruhestand katapultieren – doch Singh lässt sich nicht kleinkriegen. Auch den als Abstraf-Aktion gedachten Trip nach Kuala Lumpur zur Beobachtung eines Mordprozesses nimmt er trotz aller Probleme auf sich: „Wenn es Singh gelang, einen Weg durch das Dickicht der politischen Feinheiten zu finden, die diesen Fall so schwierig machten, würden sie die Lorbeeren einheimsen. Wenn er versagte, würden sie ihn seinem Schicksal überlassen, froh, einen der letzten Einzelgänger der Singapurer Polizei loszuwerden.“

Es geht um die prominente Schicki-Micki-Größe Chelsea Liew, ein ehemaliges Model aus Singapur. Die bildschöne Frau hatte den aus Malaysia stammenden millionenschweren Holzhändler Alan Lee geheiratet und soll ihn in Kula Lumpur kaltblütig erschossen haben, weil er sie systematisch misshandelte, sich das Sorgerecht für die Kinder erkämpfen wollte und außerdem mehrere Affären hatte. Der Fall scheint angesichts dieser überzeugenden Tatmotive klar zu sein, die malaysische Justiz lässt an der Täterschaft von Chelsea Lee jedenfalls keinen Zweifel aufkommen und behandelt den aus Singapur angereisten  Kommissar Singh dementsprechend reserviert. Doch Singh kommt einigen Ungereimtheiten innerhalb der Familie Lee auf die Spur und glaubt nicht, dass Chelsea tatsächlich die Täterin ist. Als sich plötzlich ein Bruder des Ermordeten als Täter outet, scheint der Fall gelöst zu sein, doch nun beginnt für Inspektor Singh erst die richtige Knochenarbeit.

Frettchenhafte Verbissenheit

Die in Singapur lebende Autorin Shamini Flint, 40, ist eine erfolgreiche Firmenjuristin, die erst mit dem Schreiben begann, als sie sich mit ihrer neuen Rolle als Hausfrau und Mutter abfinden musste. Sie schrieb zuerst Kinderbücher und erfand dann ihren liebenswerten, eigenwilligen Inspektor Singh, der mit seiner Intelligenz und seiner frettchenhaften Verbissenheit den undurchschaubarsten Fällen auf der Spur bleibt und sie auch überzeugend lösen kann. Inzwischen hat Shamini Flint eine mehrbändige Singh-Serie fabriziert: Der zweite Band Der Mann, der zweimal starb. Inspektor Singh ermittelt auf Bali soll Anfang März erscheinen.

Flint kann nicht nur spannende Plots mit faszinierenden Figuren entwickeln. Sie besitzt auch das Talent, das asiatische Lokalkolorit so dicht zu evozieren, dass wir die dampfenden Garküchen, den Motorengestank, den prasselnden Monsun und den Lärmpegel von Kuala Lumpur fast riechen, schmecken und hören können. Und Singh ist keineswegs als komische Figur gezeigt wie der manchmal fast karikaturhafte Fengshui-Detektiv C. F. Wong von Nury Vittachi, sondern überzeugt mit seiner souveränen, unaufgeregten Autorität und einer Entschlusskraft, die sich gegen alle kleinkarierten Bedenkenträger durchsetzt.

Und wenn wir glauben, nun sei das Rätsel gelöst und Inspektor Singh kann wieder an seinen Naschtopf zurück oder sich einen süßen Tee reinziehen, dann serviert uns diese fabelhafte Autorin einen neuen Schauplatz – etwa den Dschungel in Borneo mit seinen bedrohten Naturvölkern und den vom Abholzen bedrohten Regenwäldern – und schon sind wir wieder mittendrin in einem Abenteuer, das ein neues Licht auf diese zerstrittene Familie Lee wirft, in der sich skrupellose Raffkes, eine verzweifelte Mutter und radikale Umweltschützer erbarmungslos bekämpfen.

Selten liest man einen Krimi, in dem alles so stimmig ist: Plot und Figuren, Dialoge und Schauplätze. Alles wirkt extrem frisch, originell und spannend. In diesen kalten Tagen besonders für diejenigen Leser zu empfehlen, die von den skandinavischen Knäckebrotschwarten aus dem vereisten Norden und den nörgelnden, larmoyanten Kommissaren zwischen Jütland und dem Polarkreis genauso angeödet sind wie der Rezensent!

Peter Münder

Shamini Flint: Die tödliche Familie Lee. Inspektor Singh ermittelt in Malaysia.
(Inspector Singh investigates: A very peculiar Malaysian murder, 2009).
Aus dem Englischen von Antoinette Gittinger.
München: LangenMüller 2009. 336 Seiten. 18,95 Euro.

| Homepage von Shamini Flint
| Interview mit Shamini Flint (Video)