Porträt des Künstlers als alter Mann
Wer nach einer Crime-Story Ausschau hält, ist mit diesem Roman schlecht bedient. Für Was ich liebte muss man sich Zeit nehmen wie etwa auch für die Romane von James Salter. Man wird belohnt mit kunstvollen Porträts, die sich zu einem Museum der menschlichen Psyche zusammenfügen. Und in dessen Ausstellungssälen lässt sich stundenlang lustwandeln, ohne dass man sich an den Werken satt sähe.
Es kann eine Last sein, wenn Lebens- oder Ehepartner in denselben Gewässern fischen. So wurden die Bücher von Siri Hustvedt zunächst recht offen mit dem Prädikat „Ehefrau von Paul Auster“ beworben und auch kaum ein Rezensent kam an diesem Hinweis vorbei. Dabei ist Siri Hustvedt von Anfang an mit einer solchen Eigenständigkeit auf dem Buchmarkt aufgetreten, dass dieser Hinweis gar nicht nötig gewesen wäre. Doch wenn dadurch mehr Leser für ihre Bücher gewonnen werden konnten, diente es ja einem guten Zweck. Mittlerweile wird Auster von den Feuilletons nicht mehr ganz so umschwärmt (was aber die treuen Leser Gott sei Dank ungerührt lässt), so dass Siri Hustvedt nun vollends aus seinem Schatten heraustreten kann.
In Was ich liebte schlägt sie einen neuen Ton an: sanft, ruhig und zum Teil schon provozierend langsam entwickelt sich die Geschichte, die in der New Yorker Kunstszene beheimatet ist. Hustvedt schlüpft hier in die Rolle eines Mannes, macht den Kunsthistoriker Leo Hertzberg zum Ich-Erzähler. Leo erzählt von seiner Freundschaft mit dem Künstler Bill Wechsler, er erzählt von dem subtilen Beziehungsgeflecht, das sich zwischen Bill, dessen erster und zweiter Frau sowie Leos Frau und den beiden gleichaltrigen Söhnen der Paare entwickelt. Vor allem aber erzählt Leo von Bills Kunst: Hier findet sich ein Frauenakt, der den Titel „Selbstporträt“ trägt, hier entwirft Bill Installationen mit geheimen Türen und Verstecken, voller (Selbst)Spiegelungen und Rätsel. Allein die Detailfreude, mit der Hustvedt diese Kunstwerke beschreibt, lässt ein Museum des Unterbewussten vor dem Leser Gestalt annehmen. Und mit welchem Gespür für humorvolle Nuancen Hustvedt den Kunstbetrieb beleuchtet, den Konkurrenzkampf unter Künstlern, das mehr oder weniger geschickte Agieren von Galeristen, die Vernissagenbesucher und machtgeilen Kritiker – das liest sich wundervoll und bleibt fern aller überdrehten Klischees.
Hustvedt begleitet ihre Protagonisten ein Vierteljahrhundert lang durch alle menschlichen und beruflichen Höhen und Tiefen. Sie zieht den Leser in eine Geschichte von Freundschaft und Liebe, von Verlust und Scheitern; sie steigt tief hinab in die Abgründe der Seele, liefert überzeugende Psychogramme ihrer Figuren. Die Entwicklungen laufen dabei zumeist in kleinen Nuancen ab, die Autorin nimmt sich Zeit und erlangt so in ihren Porträts eine beeindruckende Vielschichtigkeit. Seien es Essstörungen bei Frauen, sei es das Scheitern einer Ehe am Tod des Kindes – nie herrschen in diesem Roman Stereotype, nie wirken die Figuren eindimensional.
In den Werken von Bill Wechsler spielen Märchen und Mythen stets eine große Rolle, in die Geschichte selbst dringt ein mysteriöses Element erst im letzten Viertel des Romans ein, als Bills Sohn offenbar unter den Einfluss eines konkurrierenden Künstlers gerät, der mit blutigen Schock-Installationen die Kunstwelt aufzumischen versucht und womöglich selbst vor einem realen Mord nicht zurückschreckt.
Doch wer nach einer Crime-Story Ausschau hält, ist mit diesem Roman schlecht bedient. Für Was ich liebte muss man sich Zeit nehmen wie etwa auch für die Romane von James Salter. Man wird belohnt mit kunstvollen Porträts, die sich zu einem Museum der menschlichen Psyche zusammenfügen. Und in dessen Ausstellungssälen lässt sich stundenlang lustwandeln, ohne dass man sich an den Werken satt sähe.
Frank Schorneck
Siri Hustvedt: Was ich liebte. Deutsch von Uli Aumüller, Erica Fischer und Grete Osterwald. Rowohlt Verlag 2003. Gebunden. 477 Seiten. 22,90 Euro. ISBN 3-498-02971-1