Geschrieben am 11. Januar 2012 von für Bücher, Litmag

Sonja Heiss: Das Glück geht aus

Erzählungen aus der Vorsatzküche

– Wie man Sonja Heiss’ „Das Glück geht aus“ zubereitet und genießt. Von Charlotte von Bausznern.

Bei Sonja Heiss’ Erzählungsdebüt wird mir manchmal schlecht, und manchmal fang ich fast an zu heulen. Ich sitze im Zug und während ich lese, verbinden sich eine Reihe trostloser, aber hoffnungsvoll endender Schicksale mit den nirgendwo sonst sich dermaßen häufenden Abrisshäusern zwischen Magdeburg und Wolfsburg. War man vorher nicht wie Heiss’ Figuren, wird man spätestens beim Lesen so (ich frage zwei Mal nach, ob der Zug auch wirklich da hält, wo ich aussteigen muss).

Zutaten (für 1 Person): 1 ungeplant schwangere Tochter ; 1 vorsichtige Verliebte ; 1 religiöse Mutter mit gelinde fernsehsüchtigen Familienmitgliedern; 1 eingelegtes Liebespaar; wenige Fruchtfliegen; 1 Frau mit hyperaktiver Amygdala*; 1 erwartungsvolle Mutter mit ihrem neuen-alten Vater; 1 frische Mutter; 1 Teenager-Freundschaft; 2 bis 3 Frauen mit Männern; 1 feuchter Indianer, 1 tote Oma; 1 Prise Fantasie; Humor und Tragik aus der Mühle

Zubereitung: Finden Sie einprägsame Formulierungen und Vergleiche. Verbringen Sie zum Beispiel einen azurblauen Tag oder lassen es dauerhaft dicke Fäden regnen, tragen Sie salz- und pfefferfarbenes Haar und gucken Sie ihre Gesprächspartner leer wie eine Thermoskanne an. Bleiben Sie präzise bei vordergründigen Beschreibungen von körperlichen oder emotionalen Reaktionen (Gesichtsmuskelbewegungen). Geben Sie einen Wiedererkennungseffekt zu, zelebrieren Sie ihn zwischen den Zeilen – unbedingt abschmecken. Gewisse Zeitspannen schmoren lassen und einzelne Momente fein raspeln. Optionalitäten von Konsequenzen befreien, waschen, stückeln und roh dazugeben. Darauf achten, dass sie immer ihre Farbe behalten.

Anrichten: In Buchdeckelnähe, vereinzelt auch im Buchinneren, erscheinen die Zutaten noch durchaus lächerlich – über was lachen wir? Je weiter es dem Ende zugeht und je tiefer man in die Bevölkerungsschichten vordringt, desto mehr verschwindet der Ausstellungscharakter aus den Erzählungen. Dafür nimmt die Menge der extremen Traurigkeit und eindrucksvoller, immer realistisch anmutender Groteske zu.

Alle haben Angst, alle suchen ohne zu finden, alle könnten. In Deutschland, wo diese Geschichten spielen, meint man, ist Zuversicht oft schwer zu finden. Am besten stehen die Chancen jetzt zu Jahresanfang und etwa im letzten Drittel des Buches.

Charlotte von Bausznern

Sonja Heiss: Das Glück geht aus. Bloomsbury Verlag 2011. 169 Seiten. 9,95 Euro. Eine Leseprobe des Buches finden Sie hier, zur Facebook-Seite des Buchs gehts hier.

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