Geschrieben am 12. März 2004 von für Bücher, Litmag

Stephen King: Duddits

Alb-Traumfänger

Die Außerirdischen kehren zurück und King lässt es diesmal gehörig krachen.

Stephen King goes Akte X – hin und wieder schon hat es den Meister des Unheimlichen zum Motiv der fliegenden Untertassen hingezogen. Vor fast 14 Jahren erschien mit „Tommyknockers“ ein beinahe 700 Seiten starker Roman, in dessen Zentrum ein gestrandetes Raumschiff stand, von dem aus durch Telepathie das Grauen über eine der King-typischen Kleinstadtidyllen kommt – nicht unbedingt das überzeugendste Werk aus des Horror-Königs Feder.

Nun kehren die Außerirdischen zurück und diesmal lässt es King gehörig krachen. Vier Freunde, die seit der Kindheit ein düsteres Geheimnis verbindet, befinden sich auf ihrem alljährlichen Jagdausflug in Maine, einem Jagdausflug, der so ganz anders verlaufen wird als in den Jahren zuvor. Sehr detailliert führt King seine vier Protagonisten ein. Vier Männer, die die Fassade der Jugendfreundschaft aufrecht halten, aber durch Scheidung, Alkohol oder Selbstmordabsichten längst nicht mehr die „alten“ sind. Während sich in den Wäldern Maines großes Unheil ankündigt, fügt King Stück für Stück die Schlüsselerlebnisse einer ungewöhnlichen Freundschaft zusammen. Er erzählt, wie die Jungen den mongoloiden Douglas Cavell aus einer lebensbedrohlichen Situation retten, wie dieser Junge in die Gruppe aufgenommen wird und mit seinen telepathischen Fähigkeiten das Leben der Kinder nachhaltig ändern soll.

Abwechselnd mit den Rückblenden werden mysteriöse Geschehnisse in den Wäldern geschildert. Offenbar ist ein außerirdisches Raumschiff in Maine niedergegangen und hat Unschönes an Bord gehabt. Ein rötlicher Pilz breitet sich von der Absturzstelle her rasend schnell aus und äußerst aggressive Parasiten nisten sich in den Gedärmen von Tieren und vereinzelten Menschen ein. Das Militär ist schnell vor Ort und erklärt die Gegend zum Sperrgebiet. Innerhalb dieses Sperrgürtels bricht die Hölle los.

Dieser Roman wimmelt wieder einmal von Anspielungen und Zitaten. Wer wird nicht an „Alien“ denken, wenn er liest, wie sich die vom Militär „Kackwiesel“ getauften Wesen ihren Weg ins Freie fressen (obwohl sie nicht die Bauchdecke durchstoßen, sondern vorhandene Ausgänge erweitern – was die Angelegenheit aber auch nicht appetitlicher macht). Wer wird nicht „Apocalypse Now“ im Hinterkopf haben, wenn Armee-Helikopter die um Gnade bittende außerirdische Besatzung des Schiffes in Stücke schießen – mit „Sympathy for the Devil“ von den Stones statt des Walkürenrittes auf dem Funkkanal.

Doch auch in seinem eigenen Werk hat King geräubert. Die Kindheitsschilderungen der Kinder erinnern über weite Strecken an „Es“ oder „Die Leiche“ („Das Geheimnis eines Sommers“). Einen so unsympathischen Militär wie den dienstgrad- und vornamenlosen Kurtz hat King seit über zwanzig Jahren (damals war es John Rainbird in „Feuerkind“) nicht mehr ins Rennen geschickt.

Wie in einem guten Horrorfilm finden sich in diesem Roman die Momente, in denen der Leser laut ausrufen will „öffne diese Tür nicht!“ – und wer dem Irrtum erlegen ist, der Verfasser des Klappentextes habe den Roman zuvor gelesen, wird von der frühzeitigen Dezimierung des Protagonisten-Quartetts überrascht und schockiert sein.

Zu wirklicher Höchstform läuft King jedoch auf in einem Kammerspiel, das auf den kleinsten denkbaren Raum begrenzt ist – ein Außerirdischer versucht, das Gehirn eines der Männer unter seine Kontrolle zu bringen und stößt auf unerwartete Gegenwehr. Dieser psychologische Kleinkrieg bildet einen zentralen Handlungsfaden des Romans.

Trotz einiger Ungereimtheiten funktioniert auch dieser Roman aus der Feder des Vielschreibers wieder zuverlässig. Atemberaubende Spannung ist hier keine leere Floskel und die Detailfreude, mit der King Charaktere entwirft, zahlt sich aus, wenn der Leser wirklich mitzufühlen und zu -fiebern beginnt. Und King präsentiert uns keinen verklärten Blick auf die Welt: Als Erwachsene haben die Jungen schnell ihren mongoloiden Freund aus den Augen verloren – das amerikanische Militär zögert nicht, Hunderte Zivilisten wie in einem Konzentrationslager zusammenzupferchen und um der Geheimhaltung willen zu töten – und es sind nicht immer die Guten, die am Ende gewinnen – und die Grenzen zwischen Gut und Böse sind bei weitem nicht so klar wie es scheint…

Es ist also alles wie immer – bis hin zum idiotischen deutschen Titel, was zu einer Pflichtübung all der Verlage geworden zu sein scheint, die sich Kings Werke angenommen haben.

Textauszug:
„Es liegt etwas in ihren Blicken, das sie alle, ohne dass sie es sich eingestehen, für den Rest ihres Lebens verfolgen und noch auf ihre glücklichsten Tage seinen Schatten werfen wird. Die Furcht davor, was sie getan haben. Was sie in dem Teil ihres gemeinsamen Traums getan haben, an den sie sich nicht erinnern können.“

Frank Schorneck

Stephen King: Duddits. Deutsch von Jochen Schwarzer. Ullstein TB. 826 Seiten. 9,95 Euro. ISBN: 3-548-25415-2