Geschrieben am 9. Mai 2009 von für Bücher, Crimemag

Tamás Kiss: Früher im Licht

Ein Gehirn erzählt

Schweizer Kriminalliteratur boomt. Zumindest quantitativ. Die übermächtigen Schatten von Glauser und Dürrenmatt scheinen sich zu verziehen. Aber doch noch nicht ganz – Joachim Feldmann hat Tamás Kiss gelesen und ist noch nicht wirklich überzeugt.

Kurz bevor er einen Doppelmord aufklären kann, wird Kommissar Varga von der Zürcher Kriminalpolizei in den Kopf geschossen. Nun liegt er im Koma auf der Intensivstation des Universitätsspitals. Laut ärztlichem Bericht zeigt er keine Reaktionen auf äußere Reize, doch sein Gehirn arbeitet noch. Und zwar an der endgültigen Lösung des Falles. Das will uns zumindest das Krimidebüt des Schweizer Werbetexters Tamás Kiss, Früher im Licht, weismachen. Tatsächlich ist diese Ausgangssituation erzähltechnisch durchaus reizvoll, ermöglicht sie doch ein ganzes Potpourri von Erinnerungen zusammenzustellen, denen der sterbende Protagonist ausgesetzt ist. Im Falle von Varga sind das vor allem Bilder aus seiner Kindheit in Ungarn, das er nach dem gescheiterten Aufstand von 1956 mit seinem Vater verlassen musste. In der Schweiz allerdings, wohin es den Jungen verschlagen hat, scheint der colatrinkende Ermittler mit dem ewigen Hunger auf Süßigkeiten nie richtig angekommen zu sein.

So entsteht ein komplexes Charakterbild, das jedoch angesichts der wenig befriedigenden Kriminalgeschichte, die hier zum Besten gegeben wird, fast wie Verschwendung wirkt. Marco Kistler, 33 Jahre alt und bis vor Kurzem führendes Mitglied einer rechtsextremen Partei, wird erschossen aufgefunden. Rasch stellt sich heraus, dass Kistler undurchsichtige Verbindungen nach Kuba unterhielt. Dann geschieht ein zweiter Mord. Und Varga muss nebst Assistentin Nowak nach Havanna fliegen, um seine Ermittlungen fortzusetzen. Hier kommt er, systembedingten Einschränkungen zum Trotz, einem sensationellen Biowaffen-Deal auf die Spur, bei dessen Abwicklung Kistler sein Leben lassen musste. Zur Aufklärung des Falles langt es dann leider nicht mehr, da Varga nach seiner Rückkehr in die Schweiz besagte Kugel trifft. Zwar verrät uns „sein Gehirn“ noch eine Seite vor Schluss den Täter, doch um den Ermittler, der durchaus das Zeug zu einem zünftigen Serienhelden hätte, ist es geschehen. So weit, so wirr.

Tamás Kiss, 1966 als Sohn eines Ungarnflüchtlings und einer Schweizerin geboren, hat, wie uns sein Verlag verrät, bereits mit 14 begeistert Dürrenmatts Der Richter und sein Henker gelesen. Seitdem mag er Krimis. Außerdem reist gern und häufig nach Havanna. Wenn es ihm gelingt, all diese Dinge bei seinem nächsten Roman außer Acht zu lassen, stehen die Chancen nicht schlecht, dass ein wirklich lesenswertes Buch dabei herauskommt. Denn schreiben kann der Mann.

Joachim Feldmann

Tamás Kiss: Früher im Licht. Ein sel noir-Krimi. Roman 320 Seiten.
Zürich: Salis Verlag. 16,90 Euro.