Mehr Grantezza
– Carl-Wilhelm Macke über den den „Bayern-Blues“ Grant.
Natürlich, diese Klischees fallen einem sofort ein, wenn man an die Bayern denkt: Lederhose, Dirndl, Bier, Schweinsbraten, die Berge und – leider – auch die CSU. Die ist zwar kein Klischee, aber schwer erträglich ist sie trotzdem. Und die Tourismusindustrie und das ARD/ZDF-Unterhaltungsprogramm lassen ja keine Gelegenheit aus, mit diesen seit Jahrzehnten immer wieder aufgekochten Klischees Werbung zu machen. Saublöd ist das, hirnverrammelt und touristischer Billigramsch. Halt – gehört nicht hier am Fuße und auf der Spitze der Berge, diese Liebe zum Grant gegen alles und jeden auch zu „den Bayern“? Hat nicht hier der Anarchismus gegen die da oben, in der Staatskanzlei, auf den Kirchenkanzeln, in den Vorstandsetagen auch seine Heimat?
Nur lässt sich dieses politisch-kulturelle Gefühl nun mal sauschlecht von einer heimattümelden Fremdenverkehrswerbung vermarkten. Anarchisten sind keine Motive für Postkarten. Und die CSU und ihre Kofferträger aus den vielen Verbänden zwischen Würzburg und Mittenwald haben gewiss kein Interesse daran, das „andere, grantige, anarchische, rebellische Bayern“ zu propagieren. Also müssen das eben Kabarettisten wie Polt, Musiker in der Tradition der ja leider jetzt aufgelösten Biermösl Blosn, Schauspieler wie der Sepp Bierbichler und Journalisten wie Thomas Grasberger erledigen.
Grasberger, von dem auch schon andere Bücher über Bayern und München – aber nicht über Bayern München! – vorliegen, hat jetzt ein ultimatives Buch über ein starkes bayerisches Gefühl geschrieben. Ein Lebensgefühl, das in dieser expressiven Form zwischen den Ostfriesischen Inseln und der Nordtangente von Würzburg vollkommen unbekannt ist: „der Grant“. Es handelt sich um eine Eigenart der hier geborenen und lebenden Menschen, ihren Unmut und ihren persönlichen Ärger irgendwie loszuwerden. Nicht laut und lärmend, nicht zynisch und verletzend, nicht sozialschädlich und beleidigend, aber doch vernehmlich und spürbar.
Oft ist dabei auch der Andere gar nicht der Adressat, sondern man „grantelt“ auch gerne einfach vor sich hin oder spricht „grantelnd“ mit sich selber. „Ich grantle, also bin ich“. Dauernde Optimisten und Positivisten kann der „Grantler“ gar nicht ertragen, weil der Zustand der Welt im allgemeinen einfach zu schlecht für ein Dauerlächeln ist.
Zur verordneten ‚Spaßgesellschaft’ steht der Grantler in einer Fundamentalopposition. Hier Friedensverhandlungen zu fordern ist zwecklos. Eher spricht der überzeugte Grantler mit einem Taliban aus der Altstadt von Kabul als mit einem Wellness-Guru aus Kassel. Aber auch die andauernden Pessimisten, Melancholiker und Depressiven sind dem „Grantler“ irgendwie nicht recht, weil er doch trotzallem grauen Alltagsgram ganz gerne lebt – und sei es nur wegen des guten Bieres. Die Suizid-Rate unter bekennenden und praktizierenden Grantlern, so hört man, sei erstaunlich niedrig.
„Ich grantle, also bin ich“
Wer also ist dann ein ‚Grantler‘ und was will er überhaupt? Der Autor, geboren in Altötting, dem schwärzesten Flecken des an schwarzen Ecken weiß Gott nicht armen Bayern, ist von der Geburt an bestens vertraut mit der alt- und niederbayerischen Seelenlage. Für jemanden, der in Altötting seine Kindheit verbracht hat und trotzdem an das Gute im Menschen glaubt, ist der Grant einfach ein unverzichtbares Überlebensmittel in allen Lebenslagen. Für Grasberger ist der „Grant“ irgendwo zwischen der schwermütigen portugiesischen „Saudade“, dem Blues-Gefühl der Bewohner entlang der Ufer des Mississippi und der oft bissig-bösen „Wiener Schmäh“ einzuordnen.
Von allem ist beim „Grant“ einiges spürbar, aber er ist mehr, viel mehr. Der „Grant“ ist etwas Einzigartiges, so wie sich ja viele Bayern auch ihre Rolle in der Welt sehen. Umzingelt von Fremden, okkupiert von Zugezogenen, falsch verstanden von den Anderen. Wer das Lebensgefühl eines „Grantlers“ an sich selber oder bei seinen Angehörigen kennt, benötigt vielleicht keinen Erklärungsversuch wie ihn der Autor hier versucht. Grantig ist man selbst, das brauchen einem keine Anderen erklären, auch nicht wenn sie selber Bayern sind.
Alle Anderen aber werden nach der Lektüre des Buches vielleicht tatsächlich besser verstehen, warum es in Bayern und im Rest der Welt immer mehr Gründe gibt, „grantig“ zu sein. „Der Grant“, so heißt es ganz zum Schluss dieser grandiosen Eloge auf das „andere Bayern“ und das „andere Leben im Falschen“, „ist eine Stinkbombe, die man beizeiten wirft, um sich von unliebsamen Zeitgenossen zu befreien und sich ein wenig Luft zu verschaffen.“ Großes Mitleid für alle, die den „Grant“ nicht kennen.
Carl Wilhelm Macke
Thomas Grasberger: Grant. Der Blues des Südens. Diederichs Verlag 2012. 191 Seiten. 14,99 Euro. Eine Leseprobe (PDF) finden Sie hier und zur Homepage des Autors geht es hier.
Lesungen:
Donnerstag, 10. Mai 2012, 19.30 Uhr, Buchhandlung Naue, Altötting
Dienstag, 26. Juni 2012, Monacensia, München
Donnerstag, 27. September 2012, 20 Uhr, Buchhandlung Pustet, Augsburg