Geschrieben am 24. Oktober 2009 von für Bücher, Crimemag

Thomas Raab: Der Metzger geht fremd

Familienschreck

Thomas Raab lässt seinen behäbigen Zufallsdetektiv nicht zur Ruhe kommen. Selbst der Besuch bei seiner kurenden Freundin Danjela entfacht beim Metzger so manches Feuer. „Der Metzger geht fremd“ war für Peter Münder Anlass, über den Status der Kriminalliteratur prinzipiell nachzudenken, den Roman selbst hat sich Jörg von Bilavsky noch einmal genauer angeschaut. Tja …

Wer bereits seinen dritten Fall zu lösen hat, ist bestimmt kein Detektiv wider Willen mehr. Es wird also höchste Zeit, dass Thomas Raab, der nicht mehr ganz neue Newcomer aus Österreich, seinen Restaurator endlich zum Privatermittler befördert. Sonst werden die skurrilen Geschichten um den behäbigen Willibald Adrian Metzger nämlich noch unglaubwürdiger, als sie sich mitunter ohnehin schon darstellen. Denn dass infolge des letzten Verbrechens sich bereits das nächste anmeldet, hat nichts mehr mit Zufall, sondern mit Absicht zu tun. Hätte es nämlich seine kroatische Geliebte Danjela Djurkovic als überlebendes Opfer seines letzten Falles nicht in einen idyllischen Kurort verschlagen, wäre der Metzger nie und nimmer einer Familientragödie auf die Spur gekommen, die mit einem Toten im warmen Hallenbad beginnt und in einer noch heißeren Scheune endet. Zwischendrin freilich macht sich der Alltagsphilosoph so seine Gedanken über den Gebrauch von Handytastaturen und Fahrradbremsen und natürlich über großen Themen wie Hass und Liebe.

Nachdem der Metzger schon einmal „nachsitzen“ musste und zuletzt „rot“ sah, geht er jetzt „fremd“. Doch der Titel verrät uns nicht, was den rotweinschlürfenden Genießer beim Besuch seines „Prachtweibes“ erwartet. Zunächst ist es „nur“ eine Leiche im Schwimmbecken, die Danjela weniger in Unruhe versetzt, als vielmehr ihre weibliche Neugier entfacht. Alleine mag sie diese aber nicht stillen und ruft den eher unwilligen Metzger an den Tatort. Schließlich hat der schon in zwei Mordfällen erfolgreich sein Talent als unkonventioneller Ermittler bewiesen. Und so „taucht“ er mehr oder weniger in die schwülwarmen Untiefen eines Kurortes ab, wo neben Massagen auch noch andere körperliche Wohltaten gesucht und gefunden werden. Die allerdings verabreichen sich die liebeshungrigen Kurschatten eher gegenseitig.

Haie – wie bei Heinrich Steinfest …

Sofort stellt sich der Verdacht ein, beim Tod des eher schüchternen August-David Friedmann sei Eifersucht im Spiel. Weit gefehlt, wie die nicht ganz ungefährlichen Recherchen Danjelas im Zimmer des Toten und ein weiterer Mordfall beweisen. Denn nun deutet alles auf eine undurchsichtige Familientragödie hin, in die der Metzger durch vertrauensvolle Gespräche mit den Angehörigen und deren Nachbarschaft langsam Klarheit bringt. Die ist auch bitter nötig, da Raab immer wieder Kapitel einschiebt, in denen die Verwandten des Toten zu Wort kommen oder zur Tat schreiten, aber fast bis zum Schluss nicht eindeutig identifiziert werden können. Um die Verwirrung und Verstörung beim Leser komplett zu machen, lässt er denn auch gelegentlich zwei Haifische über ihr Leben im Aquarium der Kuranstalt plaudern.

Doch dieser Abstecher in die Gedankenwelt zweier ebenso gelangweilter wie genervter Meeresbewohner ist nur bedingt komisch. Wie auch Raabs Wortwitze schon mal tiefgründiger waren. Sätze wie „Halbwegs instand gesetzt betreten die beiden also den Gang und stoßen auf Betretenheit“ streifen den Kalauer nicht mehr nur. Überhaupt schwankt Raab in seinem dritten Roman etwas unsicher zwischen Tragödie und Komödie. Beides muss sich ja bekanntlich nicht ausschließen, sondern kann sich wunderbar ergänzen und verstärken. Aber hier diesmal leider nicht.

Keine Frage, der Autor hat über seine abgründig-aberwitzigen Betrachtungen hinaus auch literarische und philosophische Ambitionen. Wie sonst ließen sich Passagen erklären, in denen den Gefühlswallungen eines Todgeweihten und moralisch Verurteilten mit solch melodramatischen Sentenzen nachgespürt wird: „Es sind stille Tränen, ohne Gejammer, ohne Grimasse. Tränen, die keinen Trost erhoffen.“ Kurz darauf räsoniert Raab schließlich über die Unerbittlichkeit der Zeit und der Existenz. „Die Zeit lässt sich nicht unterdrücken, sie lässt sich nur untergraben, um in der aufgelockerten, gedüngten Erde immer wieder einen Anfang zu setzen. Es ist immer der Anfang, auf den alles hinausläuft. Das Wesen des Daseins beschreibt sich selbst, es geht immer weiter, selbst wenn der Mensch sich am Ende sieht“, heißt es da die Familientragödie vom Autor gedeutet.

Es spricht für Raab, dass er das Kurleben amüsant aufs Korn nimmt und die Familientragödie nicht als Inzest-Drama inszeniert, sondern komplexere Abhängigkeits- und Liebesverhältnisse konstruiert. Freilich lebt auch seine Geschichte von den überkommenen Hierarchien im bäuerlichen Milieu, das zumindest im Falle der Familie Friedmann als extrem konservativ und intolerant geoutet wird. All das leuchtet Stadt- und Landmenschen ein. Doch das Auftreten des Restaurators als unfreiwilliger Detektiv könnte Raab künftig etwas glaubhafter motivieren. Vielleicht findet er dann auch die Balance zwischen Weisheit und Humor wieder, die seine ersten Romane so lesenwert macht.

Jörg von Bilavsky

Thomas Raab: Der Metzger geht fremd. Roman.
München: Piper Verlag 2009. 368 Seiten. 18,95 Euro.