Geschrieben am 21. Februar 2004 von für Bücher, Crimemag

Thor Kunkel: Ein Brief an Hanny Porter

Psycho-Thriller mit Tiefgang

Radikaler konnte der Schauplatzwechsel kaum ausfallen: Aus dem prollig-psychedelischen Frankfurt der späten 70er Jahre, in dem sich sein Debut „Das Schwarzlicht-Terrarium“ abspielte, versetzt uns Thor Kunkel in seinem zweiten Roman in das sonnige und Alooah“-fröhliche Hawaii der steril-stillstehenden 90er.

Hanny und Richard haben es geschafft: Sie haben Geld, ein dickes Auto, gesellschaftliche Anerkennung und ein Ferienhaus auf Hawaii: Irgendwann würden sie ganz nach Makena ziehen und ihren Lebensabend am Rande des Pazifiks verdämmern. Sorgen- und schuldenfrei… Alles wäre perfekt.“ Doch als Hanny diesmal in Porters Paradise“ eintrifft, findet sie einen giftig-unverschämten Brief der gerade abgereisten Feriengäste vor, der sie gleichermaßen empört wie auch erschreckt:Sie hassen uns, weil wir glücklich sind, dachte sie.“

Mit wenigen Pinselstrichen lässt Thor Kunkel in die heile daily soap-Welt der Porters eine unsichtbare Bedrohung einsickern – um dann die Katastrophe hereinbrechen zu lassen: Als auch Hannys Mann zur wohlverdienten Erholung in seinem Ferienhaus eingetroffen ist, finden sie sich nach einem heimtückischen Giftanschlag plötzlich geknebelt und gefesselt wieder: zwei auf ihre vegetativen Funktionen reduzierte Wirtskörper mit tränenden Augen“.

Die Geiselnehmer sind die vermeintlich abgereisten Feriengäste: Ein spindeldürrer alter Mann und seine krebskranke Frau, die sich für ihre letzten Tage nicht mehr aus dem – nach einem Tombola-Gewinn ganz unverhofft kennen gelernten – Paradies vertreiben lassen wollen.

Während im Fernseher der OJ-Simpson-Prozess auf allen Kanälen läuft und die Wahrheit dabei wie ein Börsenkurs“ schwankt, entwickelt sich in Porters Paradise“ ein nervenaufreibender Psycho-Thriller: Genussvoll nehmen die verbitterten Loser Marv und Elli Rache an den Reichen, Schönen und Erfolgreichen, welche die Porters exemplarisch verkörpern: Diese Leute hatten nichts zu verlieren, sie dagegen und Richard alles.“

Stilistisch brillant und mit einer gehörigen Portion Sarkasmus reizt Thor Kunkel diese Konstellation höchst unterhaltsam aus und spickt sie nebenbei mit einer radikalen Kultur- und Medienkritik. Jenseits von jeder Schwarz-Weiß-Malerei lässt er in Ein Brief an Hanny Porter“ die ewigen Opfer zu Tätern werden und führt tief in die zwischen Hass, Angst, Demut, Arroganz und Zorn schwankenden Gefühlswelten der Akteure. Das Ende hinterlässt einen sehr traurigen und sehr nachdenklichen Leser.

Textauszug:

Hanny Porter und ihr Mann hatten das Haus vor zehn Jahren als Kapitalanlage gekauft – ein schmucker, moderner Bungalow, den sie das Jahr über an Schießbudenfiguren aus aller Welt vermieteten, an gestresste Manager oder honeymooners, die hier im Rausch der Hormone ein paar Wochen laichten. Hanny fand den fremden Zeugungsakt zwischen ihren Laken noch immer eine unappetitliche Vorstellung. Manche der Gäste hatten doppeldeutige Dankesbezeigungen hinterlassen, man würde das Kind, im Falle eines Mädchens, nach ihr benennen und Ähnliches. Das Gästebuch strotzte von allgemeiner Zufriedenheit. Auch die Porters hatten allen Grund, zufrieden zu sein: Der Strom der Urlauber finanzierte ihnen die Hypothek, und eines schönen Tages wäre der Bungalow abbezahlt. So einfach konnte das Leben sein.

Karsten Herrmann

Thor Kunkel: Ein Brief an Hanny Porter. Rowohlt Paperback, 169 S., 23 DM. ISBN 3-499-22678-2.