Kistenweise Bier und Deutschland-Fahnen
– Ein amerikanischer Journalist reist einmal quer durch Deutschland. Notiert, was ihm während dieser Reise in diesem Land so an Merkwürdigkeiten auffällt, an den Gewohnheiten der Menschen, ihrem Verhältnis zur jüngeren Geschichte und gegenüber der Rolle Deutschlands in der Welt. Von Carl Wilhelm Macke.
Tenenbom ist verwundert über viele Eigenarten der Menschen zwischen Hamburg und Neuschwanstein, zwischen Frankfurt und Weimar. Er kann gut und schnell festhalten, was ihm an Erstaunlichem in diesem Land widerfährt. Trifft bedeutende Journalisten, Bar- und Hotelbesitzer oder „Menschen wie du und ich“ auf der Straße. Und an Spott und Ironie, Selbstironie eingeschlossen, fehlt es ihm auch nicht. So weit, so gut – aber schon auf den ersten Seiten seines Buches fällt einem ein Ton bei Tuvia Tenenbom auf, der die Lektüre bis zum Ende schrill begleitet. Der Autor bereist dieses Land nicht neugierig, vielleicht auch mit der Bereitschaft zur Selbstkritik, sondern mit bereits klar formulierten Urteilen, die er nicht mit der Wirklichkeit konfrontieren, das heißt vielleicht auch korrigieren will.
Die Deutschen – von dieser Generalisierung lässt er nicht ab – kommen einfach nicht klar mit der „Nazi-Vergangenheit“ ihres Landes und die große Mehrheit unter ihnen hält nach wie vor die Juden, die in Israel lebenden an erster Stelle, für alle Übel dieser Welt verantwortlich. Irgendwie sind die Deutschen antisemitisch geblieben, auch diejenigen, die eben genau das weit von sich weisen. Die, die „stolz sind auf Deutschland“ und Fähnchen bei Sportereignissen schwingen, wollen, so interpretiert es Tenenbom jedenfalls, nichts mehr hören von der Nazi-Zeit. Ihnen ist sowieso zu misstrauen. Aber auch diejenigen, denen es wegen der alten und neuen Nazis schwer fällt, sich ohne Magengrimmen als Deutsche zu bekennen, sind mit ihrem übertriebenen Philosemitismus nur verkappte Antisemiten.
Dieses festgezurrte Urteil des Autors lässt Differenzierungen nicht zu. An einer Stelle seiner Beobachtungen an den Deutschen – der Autor spricht mit Bewohnern einer alternativen Wagenburg in Berlin – entwirft Tenenbom das Bild eines „typischen Deutschen“. Man muss diese Definition zur Gänze zitieren, weil hier der Tenor des gesamten Buches aufscheint:
„Fordere freies Wohnen und freie Bildung, trinke kistenweise Bier, sei Mitglied in irgendeinem Verein, sei politisch korrekt, verurteile Israel, iss bio, sei pünktlich, begehre deines Nächsten iPad, brülle ‚Deutschland’ oder sei für Nordkorea, kümmere dich entweder nicht darum, was deine Familie während des Krieges gemacht hat oder bezeichne dich als jüdisch, sei sehr sauber oder sehr verdreckt, nimm an der einen oder anderen Demonstration teil, diskutiere jedes Detail jeder Frage, bis deinem Gegenüber der Schädel brummt – und du bist ein Deutscher.“
Das mag für einen Teil, für einen kleinen Teil der bunten Alternativszene in Deutschland vielleicht zutreffen, aber viele Deutsche können sich in diesen polemischen Verallgemeinerungen eben auch nicht wiederentdecken.
Man fragt sich dann schon, weshalb der Autor diese Reise durch Deutschland unternommen hat, wenn er ohnehin sein Urteil über die antisemitischen Deutschen nur bestätigt wissen will. Wer so pauschalisiert, hat von dem Land, das zu entdecken er vorgibt, nichts gesehen. Wo sich Tenenbom aber wirklich einmal auf deutsche Realitäten jenseits seiner eigenen Obsessionen einlässt, gelingen ihm durchaus lesenswerte Beobachtungen. Zum Beispiel bei seinem Aufenthalt in der Welt der ebenso langweiligen wie superreichen Feriengäste auf der Insel Sylt. Oder wo er im Gespräch mit dem BILD-Chefredakteur Diekmann Einblicke gewinnt in die Hassliebe zwischen dem Springer-Konzern und der benachbarten Taz-Redaktion.
Letztlich will man aber doch wissen, warum der Rowohlt Verlag den Vertrag mit Tenenbom vor der Veröffentlichung platzen ließ. Seine polemischen Zuspitzungen alleine können es doch wohl nicht gewesen sein, die diesen Eklat provoziert haben.
Sie sind zwar oft maßlos überzogen und es ist ein sehr subjektives, manchmal im Urteil ärgerlich einseitig und oberflächliches Buch – aber da gibt es auf dem deutschen Buchmarkt noch ganz andere Abrechnungen mit dem heutigen Deutschland. Und die sind fast immer weniger gut geschrieben als diese, im spöttischen Heine-Ton gehaltenen Aufzeichnungen des Tuvia Tenenbom.
Dank des Suhrkamp Verlags kann man sich jetzt selbst ein Urteil über das Buch bilden. Es gehört gewiss nicht zu seinen editorischen Höhepunkten, aber diese flott geschriebenen Notate eines amerikanischen Journalisten anlässlich einer Reise durch Deutschland werden dieses Land auch nicht erschüttern – wie es sich der skandalsüchtige Autor vielleicht erwartet hat.
Carl Wilhelm Macke
Tuvia Tenenbom: Allein unter Deutschen
. Aus dem Amerikanischen von Michael Adrian. Suhrkamp 2012. 429 Seiten. 16,99 Euro.