Geschrieben am 29. Juni 2013 von für Bücher, Crimemag, Kolumnen und Themen

Uwe Ritzer und Olaf Przybilla: Die Affäre Mollath

Ritzer Przybilla_Die Affäre MollathKafkaeske Justiz-Dunkelkammer oder bayerischer Sumpf?

Der Fall Mollath als journalistischer Enthüllungsskandal.

Selten gab es eine so starke Medienresonanz und eine so intensive öffentliche Empörung wie jetzt über den bayerischen Justizskandal und den seit sieben Jahren in der Psychiatrie weggesperrten Gustl Mollath. Inzwischen gibt es zum Fall Mollath ein Buch der beiden SZ-Journalisten Uwe Ritzer und Olaf Przybilla. Bei der „Netzwerk-Recherche“-Tagung in Hamburg diskutierte Uwe Ritzer mit den beiden „Report Mainz“-Reportern Monika Anthes und Eric Beres über den Fall. Von Peter Münder

Eine Petition für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gegen den seit sieben Jahren weggesperrten Gustl Mollath, 56, haben schon 30 000 Sympathisanten unterzeichnet, der Verein „Hilfe für Gustl Mollath“ (Vgl. auch die Website www.gustl-for-help.de) will im Juli zwei Benefizkonzerte für das Justizopfer veranstalten, um ihn nach einer späteren Entlassung mit den Konzerteinnahmen finanziell unterstützen zu können.

Außerdem kümmern sich noch diverse Blogger kritisch-aufklärerisch um den Fall Mollath: darunter ist die ehemalige Oberstaatsanwältin Gabriele Wolff („Unnützliche Kommentare zur Welt“), der Jura-Professor Henning Ernst Müller sowie der bayerische Anwalt Thomas Stadler und der Leiter des Juristischen Informationsdienstes dejure.org, Oliver Garcia. Demnächst soll in Nürnberg auch eine Solidardemonstration für Mollath stattfinden – keine Frage: Kaum ein Justizskandal hat so viele Menschen je so stark mobilisiert wie der Fall Mollath – sicher auch, wie der SZ-Reporter und Ko-Autor des Buchs „Die Affäre Mollath“ während der Netzwerk-Recherche-Diskussion feststellte, „weil dahinter auch die Befürchtung steht, es könnte jeden treffen“.

Übrigens waren Mollaths Aussagen vor dem Münchener Untersuchungsausschuss Mitte Juni so überzeugend, präzise und klar, dass die FAZ urteilte, er selbst wäre der beste denkbare Anwalt in dieser causa. Dabei war Gustl Mollath ja ursprünglich wegen angeblicher paranoider „Schwarzgeldphantasien“, Gemeingefährlichkeit und Wahnvorstellungen in die Psychiatrie eingewiesen worden.

Einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wurde allerdings immer noch nicht stattgegeben – die Unterstützer und der Hamburger Rechtsanwalt Gerhard Strate, der Mollath vertritt, erwarten aber, dass nun endlich, nach der massiven Intervention des Bundesverfassungsgerichts und der Aufforderung ans bayerische Justizministerium, innerhalb von vier Wochen Stellungnahmen abzuliefern, Bewegung in en Fall Mollath kommt. Heribert Prantl (SZ) nannte diese Karlsruher Aufforderung klipp und klar „Katastrophenhilfe“ – weil die bisher beteiligten Richter und Gutachter zwar viele Fehler machten, aber trotz des „schreienden Unrechts“ einfach nichts taten. Bisher, so Prantl, schien der Korpsgeist immer noch stärker zu sein als der Geist des Rechts.

Der Fall

Der Fall schien anfangs ziemlich eindeutig zu sein: Mollath wird 2006 nach der Verkündung eines rechtskräftigen Urteils in der Psychiatrie weggeschlossen, weil er seine Frau nach erheblichen Streitereien wegen deren unterstützender Schwarzgeldaktivitäten für Kunden der Hypo-Vereinsbank angeblich massiv bedroht und geschlagen und mehrere Reifen von Autos unliebsamer Zeitgenossen zerstochen haben soll. Gutachter hatten lange Expertisen fabriziert, in denen sie Gustl Mollath Wahnvorstellungen im Kontext der umstrittenen Schwarzgeldaktivitäten attestierten – sie hatten ihn aber nicht selbst untersucht, sondern nur Ferndiagnosen gestellt und aus fremden Akten und Unterlagen zitiert.

Es scheint nun, sieben Jahre später, ein klarer Fall eines unerhörten Justizirrtums zu sein, den die Medien vor allem in den letzten beiden Jahren kritisch durchleuchteten. Inzwischen gibt es diverse Reportagen, TV-Interviews und ein Buch über den Fall. Aber wann nimmt ein sensibler Spürhund Witterung auf, wann erkennt ein kritischer Reporter die Brisanz einer Story? Bei der Hamburger Netzwerk-Recherche-Diskussion über den Fall Mollath war dies ein interessanter Aspekt, den Lena Gürtler (NDR), die kompetente Moderatorin der spannenden Diskussion, gleich am Anfang ansprach.

Denn die beiden SZ-Reporter Olaf Przybilla (er war in Hamburg nicht anwesend, weil er Mollaths Aussagen vor dem Münchener Untersuchungsausschuss verfolgte) und Uwe Ritzer, die gerade ihr Buch über diesen Justizskandal veröffentlichten, waren ursprünglich äußerst skeptisch, ob man den merkwürdigen, ziemlich widersprüchlich strukturierten Gustl Mollath überhaupt ernst nehmen konnte. Der Oldtimer-Restaurator aus Nürnberg war ja einerseits auf rare Ferrari-Modelle (Dino 24 GT und den ultra-edlen Dino 308 GT) spezialisiert, er schien auch einem gutbürgerlichen Lifestyle nicht abhold zu sein, gerierte sich aber auch als Öko-Freak und rechthaberischer Gutmensch mit missionarischen Ambitionen.

Er traktierte Kofi Anan („Danke für den Weltfrieden!“) und den Papst („bin aus der katholischen Kirche ausgetreten“) sowie hunderte von Politikern und Abgeordneten mit Briefen und Stellungnahmen, wenn die politische Wetterlage mal wieder mies war. Und er zeigte seine Frau dann nach Streitereien wegen ihrer Schwarzgeld-Affinität und Kurierdiensten für Steuerhinterzieher bei mehreren Staatsanwaltschaften an.

Der Streit um diese Schwarzgeldaktivitäten eskalierte zu einem veritablen Rosenkrieg- es ging um völlig konträre, unterschiedliche Lifestyle-Auffassungen: Der Moralist und Greenpeace-Missionar Mollath wollte mit den erzkapitalistischen Machenschaften der Hypovereinsbank nichts zu tun haben und seine Frau Petra aus diesem Teufelskreis herausholen.

Rosenkrieg & Lifestyle?

„Erst als wir von einem internen Prüfbericht der Hypovereinsbank erfuhren, der dann einfach in einer Firmenschublade verschwand, waren wir davon überzeugt, dass hier viel zu leichtfertig und schlampig begutachtet und geurteilt und Mollath zu Unrecht weggesperrt worden war“, erklärt Ritzer. Denn der interne Bericht hatte Mollaths Hinweise zu den Schwarzgeld-Aktivitäten der Bank als zutreffend bezeichnet, diese Hinweise aber nicht weiter verfolgt.

Als die beiden SZ-Reporter Przybilla und Ritzer in die Mollath-Story einstiegen, hatten die Report-Mainz-Kollegen Monika Anthes und Eric Beres schon länger intensiv recherchiert und dann eine Reportage produziert. Sie hatten einen Brief von Mollath erhalten, in dem sie trotz seiner weitschweifigen Ausführungen zu den Machenschaften der Bank und zum eigenen Ehekrach kritische, skandalöse Aspekte entdeckten, denen sie nachgingen. Denn offensichtlich waren die angeblichen gewalttätigen Aktionen Mollaths nicht beweisbar und belastende Aussagen der damaligen Ehefrau zum Waffenbesitz Mollaths nicht zutreffend gewesen.

Die Reporter Anthes/Beres konnten Mollath in der geschlossenen Anstalt interviewen. Sie trafen einen eigenwilligen Mann, der sich vom Justizapparat nicht deformieren lassen wollte und sich auch konsequent weigerte, sich allen Schikanen von Bürokraten und Psycho-Experten zu unterwerfen. Was nachvollziehbar ist, wenn man etwa hört, dass Mollath in der Bayreuther Psychiatrie nachts alle zwei Stunden geweckt wird und nur begrenzt (unter Aufsicht) telefonieren darf. Und Zugriff auf einen PC hat er auch nicht: Die handgeschriebenen Briefe machen auf viele Adressaten daher meistens einen dilettantischen, unfertigen Eindruck.

Anthes/Beres scheinen als Report-Team übrigens das Woodward/Bernstein-Team unserer Tage zu sein: Sie haben ein unglaubliches Gespür für brisante Themen, waren wenige Tage zuvor bei einer Reportage über deutsche radikale Salafisten in Offenbach beim vereinbarten Treffen mit einem Imam von Salafisten brutal zusammengeschlagen worden und berichteten bei der Netzwerk-Diskussion trotzdem sehr gelassen und distanziert über die Vorbereitungen dieser Gruppe für ihren geplanten militärischen Einsatz in Syrien.

Thomas Darnstädt_Der Richter und sein OpferDer Apparat

Die vielen Fehler der Justiz, die willkürlich zustande gekommenen Ferndiagnosen der Gutachter, die lernresistente Reaktion des Justizapparats und der beteiligten Psychiater, das alles sei aber keineswegs ein Indiz für bayerischen Filz oder tumbe bajuwarische Folklore, erklärte Ritzer. „Denn inzwischen haben wir in Bayern eben keine engstirnige Amigo-Justiz mehr wie zu Zeiten von Franz-Josef-Strauß, sondern eine sehr kritische und sachverständige, die etwa im Siemens-Bestechungsskandal ganz exzellente Arbeit leistet; das wäre zu Strauß-Zeiten niemals möglich gewesen.

Aber im Fall Mollath handelt es sich zweifellos um ein beispielloses Multi-Organ-Versagen, bei dem systemimmanente Reibungsverluste und Fehlentscheidungen einfach ausgeblendet werden – das ist natürlich völlig inakzeptabel“, moniert Ritzel. Skandalös wäre außerdem, dass neue Aspekte, wie etwa die Berücksichtigung eines inzwischen als unecht erkannten medizinischen Attests für die gerichtlich veranlasste Wegsperrung einfach nicht berücksichtigt werden.

Außerdem gebe es noch einen bisher nicht in Erscheinung getretenen Zeugen, den ehemaligen Mollath-Freund Edward Braun, der sich an die Drohung der ehemaligen Ehefrau Petra Mollath erinnert, sie werde Gustl fertig machen, falls der sie anzeigen wollte. Das Fatale an diesem Skandal ist natürlich auch, wie der Systemzwang eines medizinisch-juristischen Staatsapparats einen Patienten fast zum seelenlosen Objekt mutieren lässt: Weil der gesamte bürokratische Vorgang ja nach offizieller Lesart offenbar mit rechten Dingen zuging, scheint sich niemand innerhalb des Apparats dafür interessiert zu haben, wie sich eine siebenjährige Wegsperrung auf den Inhaftierten auswirkte.

Es grenzt schon an ein Wunder, dass Gustl Mollath seinen eigenen Fall so kritisch-distanziert beurteilen kann und nicht an schwerwiegenderen Symptomen leidet. Wen hätte es denn gewundert, wenn er inzwischen tatsächlich paranoid geworden wäre?

Jedenfalls waren sich die Reporter einig, dass die geballte Medienresonanz trotz der Lernresistenz bayerischer Justizbeamter und medizinischer Gutachter positive Auswirkungen auf die causa Mollath haben dürfte: Viele Widersprüche und Ungereimtheiten geraten nun zum Vorschein und selbst die Justizministerin Merk kann nicht weiter ahnungslos abtauchen.

Das System

Dass das System Bürokratie immer nur sich selbst sieht und um sich selbst kreist, das wissen wir spätestens, seitdem der Bielefelder Theoretiker Niklas Luhmann seine Studien zur modernen Systemtheorie veröffentlichte. Wir erinnern uns auch noch an Michel Foucaults Thesen zur „Mikrophysik der Macht“ und die „Räderwerke des Überwachens und Strafens“, nämlich an den Kontroll-Komplex von Strafjustiz, Psychiatrie und Medizin. Offenbar hat das Zusammenwirken all dieser Räderwerke im Fall Mollath eine extrem gruselige kafkaeske Justiz-Dunkelkammer mit einem Maximum an Selbstreferenz produziert, die kein Gespür mehr für die Opfer dieser gefühllosen Maschinerie entwickeln konnte.

Mit der enormen Medienresonanz und einer hoffentlich bald durchgesetzten Wiederaufnahme des Mollath-Verfahrens ist jetzt offenbar auch die Chance gegeben, diesem peinlichen und empörenden Skandal ein Ende zu machen und den sieben Jahre lang Eingesperrten Mollath endlich entlassen zu können.

Peter Münder

Uwe Ritzer und Olaf Przybilla: Die Affäre Mollath – Der Mann, der zu viel wusste. Droemer Verlag Mai 2013. 238 Seiten. 19, 99 Euro.
Thomas Darnstädt: Der Richter und sein Opfer. Wenn die Justiz sich irrt. Piper Verlag, April 2013. 352 Seiten. 19, 99 Euro.

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