Der verflixte siebte Fall
– Proteo Laurenti, Veit Heinichens Serienheld aus Triest, ermittelt jetzt schon in seinem siebten Fall. Ein dubioser Geschäftsmann mit besten Connections fädelt hier seine Deals in der Immobilien-Energie- und Filmbranche ein und lässt die Drehscheibe krimineller Machenschaften so munter rotieren, wie wir es von Heinichen kennen. Dann wird eine englische Parlamentarierin mit Porno-Fotos erpresst, was für ziemlichen Wirbel sorgt. Irritierend an diesem siebten Fall sind jetzt allerdings die durch das gesamte Buch mäandernden betulichen Baedeker-Exkurse: Die Spannung bleibt auf der Strecke, der plot wird berechenbar, die Verschleißerscheinungen der Serie sind unübersehbar. Peter Münder ist skeptisch …
Scheidungsanwälte kennen die Problematik des verflixten siebten Ehejahres, die meisten Krimi-Autoren stecken mit dem siebten Band einer Serie auch schon mitten in der Krise: Bei der Mankell-Lektüre hatte man beim siebten Wallander-Band den Eindruck, mitten in einem VHS-Kurs für larmoyante Kreislaufschwächlinge, Infektgefährdete und fiebernde Allergiker gelandet zu sein. Ian Rankin wollte beim siebten Rebus-Band seinen trinkfesten Außenseiter John Rebus schon am liebsten selbst abmurksen; all diese berechenbaren Versatzstücke – Zoff mit dem Chef, der ewige hangover, Schikanen der Bürokraten – ging ihm selbst furchtbar auf den Keks. Es dauerte allerdings noch, bis er seinen Helden dann verabschiedete.
Veit Heinichen hat in Triest ein so faszinierendes Umfeld gefunden, dass ihn beim Blick aufs Meer, beim Wein in der Mala-Bar oder beim Verzehr einer köstlichen Dorade in Ami Scabars Edel-Restaurant die idiotischen, peinlichen Eskapaden des Mafia-affinen Premiers im fernen Rom nur am Rande berühren. Sein sturer Kommissar Proteo Laurenti mistet unverdrossen einen von Bürokraten und Plutokraten betriebenen Augias-Stall aus, ohne sich von Promis und überängstlichen Bedenkenträgern irritieren zu lassen.
Im letzten Band („Die Ruhe des Stärkeren“) musste Laurenti gleich an mehreren Fronten kämpfen: Bei einer EU-Sicherheitskonferenz wurde er in die Finessen einer erweiterten Schengen-Zone eingewiesen, während er gleichzeitig in einem Mordfall ermitteln und skrupellose Finanzjongleure überführen sollte. Heinichen hatte da noch den Finger am Puls der Zeit und aktuelle Ereignisse im Visier: Die globale Finanzkrise hatte er ebenso diagnostiziert wie den paneuropäischen Größenwahn und das grenzübergreifende flexible Agieren der organisierten Kriminalität. Dementsprechend spannend und mitreißend, weil rasant erzählt, war dieser sechste Band geraten. Und trotz turbulenter, chaotischer Szenarios war das „Irrenhaus Triest“ doch auch ein beinah sedierender Ruhepol: Auf Laurentis Affären und die tränenreichen Familienkonflikte konnte man sich ebenso verlassen wie auf die eingestreuten kulinarischen Exkurse oder die touristischen Tipps. Daran hat sich auch im siebten Laurenti-Fall nichts Grundlegendes geändert.
Archivarwissen
Trotzdem driften hier nun allzu viele Aspekte in Richtung „Triest trivial“, wohl auch deswegen, weil die aktuellen gesellschaftspolitischen Aspekte keine Rolle mehr spielen. Harald Bierchen (schlabbrige Hosen, dicker Wanst, rosafarbener Bauch, billige Plastiksandalen), deutscher Filmproduzent, wird auf einem Segelboot umgebracht, exquisiter Rohkaffee wird säckeweise geklaut, eine Londoner Parlamentsabgeordnete wird mit kompromittierenden Fotos vom Urlaubs-Gigolo erpresst. Ihre aus Äthiopien stammende Journalisten-Freundin will der Sache in Triest nachgehen und wird beinah erstochen – Triest wird hier auch wieder als kosmopolitische Drehscheibe krimineller Machenschaften gezeigt. Trotzdem gerät der Erzählduktus allzu oft ins Schlingern, wird mitunter auch zur betulichen Baedeker-Chronik, weil der Autor glaubt, er müsste dem Leser bei jeder Gelegenheit sein Archivarwissen mitteilen. Zu jedem Stichwort – vom Kaffee (Kaffee-Universität!) bis zur Küche – gibt es langatmige Erklärungen und historische Details ( Abessinien-Krieg !) wie aus einem „Hätten Sie´s Gewusst“- Kompendium. Selbst das Fahren mit der Vespa wird noch zum erklärungsbedürftigen Thema – sorry, aber als Heinichen-Leser der ersten Stunde hat man dann doch geschnallt, dass man mit einer Vespa zügig an langen Autoschlangen vorbeifahren kann. Auch wenn die Rivalität der beiden kriminellen Brüder Aurelio und Gazza und deren Konflikte mit dem mafiösen väterlichen Tycoon Raffaele Raccaro streckenweise für dramatischen Schwung sorgen, hängt hier ein merkwürdiger didaktischer Grauschleier über dem Geschehen, der den klaren Blick für den plot trübt und allzu retardierend wirkt. Faszinierend ist nach wie vor, wie Heinichen seinen Altmeister Proteo Laurenti in gewohnter Souveränität ermitteln lässt, wie der sich in familiären Fallstricken verfängt, trotzdem an das Phantom der „Happy Family“ glaubt und nebenher noch die aufmüpfige Sekretärin Marietta zur Räson bringt.
Und dann?
Gespannt sein darf man auf die weitere Entwicklung und die nächsten Bände: Da Laurentis Tochter schließlich ihren Job bei der Filmfirma verliert, würde sich für Veit Heinichen ja die weiche Mankell-Lösung anbieten: Ähnlich, wie der amtsmüde Wallander den Stab an seine Tochter übergab, könnte Proteo ja seine Tochter – sozusagen als ermittelnde Hilfskraft – einspannen? Aber ob das ausreicht, neuen Schwung in diese Triest-Saga zu bringen? Kann ja sein, dass das Beurteilen von Serien-Krimis „Keine Frage des Geschmacks“ ist. Aber muss man als Leser unbedingt ein großes Faible für enzyklopädisches Archivwissen aufbringen, das streckenweise zur Aktenhuberei ausartet und den ohnehin nicht allzu rasanten Plot noch mehr erlahmen lässt?
Tja, der verflixte siebte Fall, er ist schon kompliziert.
Peter Münder
Veit Heinichen: Keine Frage des Geschmacks. Roman. Wien: Zsolnay 2011. 363 Seiten. 19,90 Euro
Verlagsinformationen zum Buch
Webseite des Autors