Geschrieben am 13. Juli 2009 von für Bücher, Litmag

Verena Rossbacher: Verlangen nach Drachen

Funkelnde Erzählgemälde

Der Debütroman Verlangen nach Drachen ist eine irrwitzige Groteske in üppigen Bilderfluten. Frank Schorneck hat sich in Rossbachers schillernd wuchernde Prosa versenkt.

Sehr österreichisch – man ist leicht geneigt, den Debütroman der 1979 in Bludenz/Vorarlberg geborenen Verena Rossbacher mit diesem Prädikat zu bezeichnen. Doch bei aller Verwurzelung in der typisch österreichischen Caféhaus-Kultur und dem charakteristischem Granteln fehlt dem Roman beinahe die morbide Note. Vor Lebenslust und Sinnlichkeit sprüht dieses Werk, das schon allein wegen seines Umfangs aus dem Gros der Literaturneulinge herausragt, bei näherer Betrachtung erst recht zu funkeln beginnt.

Rossbacher spinnt ihre wuchernden Erzählfäden um die Männergeschichten von Klara, einer (anfangs) jungen Frau mit außerordentlichem „Appetit“. Mit dem Vater, der sich nicht damit abfinden will, dass Klaras Herz nun einem anderen gehört, beginnt der Reigen der Männer, die asteroidengleich in Klaras Umlaufbahn geraten, von ihr angezogen werden und an ihr verglühen. Es ist nicht so, dass Klaras Männer vor der Beziehung frei von Macken und Eigenarten wären – doch wenn sich Klara dem nächsten zuwendet, sind sie dem Wahnsinn näher als je zuvor.

Alltag weicht Magie

Überhaupt verlaufen die Grenzen zwischen Realität und Wahn in Rossbachers Roman fließend. Räume öffnen sich in surreale Weiten, der Alltag weicht der Magie Und immer wieder geht es um die Speicherung von Erinnerungen. Da ist der Gemüsehändler Valentin, der Tiere präpariert; da ist Universalautodidakt Lenau, der in Flaschen die blitzende Erinnerung von Gewässern aufbewahrt; da ist der Cellist, der Klaras Haare, die in seiner Wohnung verstreut sind, in Eiswürfeln konserviert; da geht es um Bernstein und Fossilien.

Angesiedelt ist Verlangen nach Drachen in einer Stadt, für die Wien sicherlich als Vorbild gedient hat. Im Wirtshaus Neugröschl laufen die Fäden der Handlung zusammen. Allein das Personal dieser Lokalität ist ein Panoptikum skurriler Charaktere: Der Wirt öffnet und schließt das Lokal nach Lust und Laune, schickt Gäste angewidert zur Konkurrenz; der snobistische Oberkellner führ ein strenges Regiment auch gegenüber Gästen; der asiatische Beikoch verwirrt die österreichischen Gaumen durch großzügige Beigabe von Fischsauce (fälschlicherweise hier konsequent „Fischöl“ genannt) an fast alle Gerichte; und über allem wacht Frufru, der gutmütige Hund des Wirts. Der Kosmos von Rossbachers Roman ist voll von solch skurrilen Gestirnen.

Barockes Wuchern

Rossbachers Debüt ist eine irrwitzige Groteske in üppigen Bilderfluten, an denen man sich kaum sattlesen kann. Er ist voller Musik (Musiker haben es Klara offenbar angetan) und ihm entströmen die verlockendsten Düfte. Er ist eine Parabel über die Macht der Liebe und der Phantasie, ein Portrait des Mannes als verliebter Narr. Während die Männer in Erinnerungen schwelgen, den Status Quo halten wollen, giert Klara nach immer Neuem. Sie reizt der Zauber der Entdeckung, des Kennenlernens, die Magie des ersten Augenblicks. Routine lässt in ihr Langeweile aufkommen.

Verena Rossbachers Prosa wuchert in schillernden, barocken Farben, der Leser merkt kaum, wie im Roman die Jahre vergehen, die Zeitebenen verwischen unmerklich. Dabei ist Verlangen nach Drachen durchzogen von einem zumeist feinen, gelegentlich auch grobschlächtigeren Humor und Witz. Nur an ganz wenigen Stellen wirkt der Text, der gleichzeitig Verena Rossbachers Abschlussarbeit am Deutschen Literaturinstitut Leipzig ist, in seinen literarischen Anspielungen ein wenig überambitioniert.

Frank Schorneck

Verena Rossbacher: Verlangen nach Drachen.
Köln: Kiepenheuer & Witsch 2009. 444 Seiten. 19,95 Euro.