Geschrieben am 12. Januar 2011 von für Bücher, Litmag

VERLAGSPORTRÄT WALDE + GRAF

„Die Monkey Wrench Gang“ und andere schöne Bücher

– Zu Besuch beim Verlag Walde + Graf in Zürich.

In diesem Bericht werden erwähnt: Reklametafeln, konstruktiver Vandalismus, zottelige Revolutionäre, die Schweiz, „die Schweiz“, Comics, Wetterpropheten und das Glück des Verlegers, das dem Glück des Lesers immer um ein Programm vorauseilt. Von Brigitte Helbling.

„Die Monkey Wrench Gang“ hieß das Buch, das man im vergangenen Messeherbst sofort anfassen wollte, ach was, anfassen: mit nach Hause nehmen, in sein Zimmer schmuggeln und mit der Taschenlampe unter der Bettdecke lesen. Wir reden hier von einem Rückfall in vorpubertäre Zeiten, das Cover verspricht keine Nackten, sondern knallbunte Abenteuer, und die liefert der Roman auch, aus einer Zeit von vor 35 Jahren. Das Thema: Der Kampf gegen die industrielle Zerstörung der nordamerikanischen Wüste. Der Autor: Edward Abbey, Schutzpatron diverser Ökobewegungen, Urheber des Begriffs „Monkey-Wrenching“ und lustvoll-anarchischer Vertreter von konstruktivem Vandalismus als Halbtagsbeschäftigung, weil wenn einem keine Zeit mehr bleibt, die Natur auch zu genießen, wozu dann der Aufwand? Der Mann hat Stil. Sein Buch hat es auch.

Die Abenteuergeschichte um vier Exzentriker (drei Männer, eine Frau), die gegen Reklametafeln an Schnellstraßen, den Bau von Autostraßen an sich und vor allem gegen Staudämme, die bereits errichtet sind, auf den Plan treten, ist 68er-Pulp pur – wildes Personal, noch wildere Nachtaktionen. Die ziehen sich auf den 470 Seiten zwar in die Länge – gut Kampf will Weile haben –, sind aber wohltuend aufgelockert durch die herrlich breitärschigen Illustrationen von Comic-Legende Robert Crumb.

Hippies in Formalin konserviert

Crumb hatte die Bilder für die 10-jährige Jubiläumsausgabe von 1985 angefertigt, und der junge Verlag Walde + Graf hat sie für die deutschsprachige Ausgabe übernommen. Eine korrekte Entscheidung, schließlich kommt Crumbs Bilderwelt bis heute daher wie die Hippie-Ära in klumpigem Formalin konserviert, und in der Kombination mit der Geschichte ergibt das dann eine unterhaltsame Reise in die Counterculture-Welt von einst. Das Buch ist Zeitdokument – die Gründer von Earth First bezogen sich in den 1980ern explizit auf seine Blaupause von Störverfahren –, und die Lektüre kann einen schon in die Partykeller der eigenen Jugend versetzen, wo zottelige Nachwuchsrevolutionäre die Freunde ihrer jüngeren Geschwister mit flammenden Reden von Overkill und Coca Cola = Der Erzfeind vom Feiern abhielten.

Bleibt nur eine Frage: Was macht dieser Roman im Programm eines Verlags, dessen Betreiber noch in Windeln steckten (mehr oder weniger), als Abbey aufbrach, um die Welt zumindest literarisch in ihren ursprünglicheren Zustand zurück zu agitieren?

Für Überraschungen zuständig

„Nostalgie“, antwortet Peter Graf nach einer kurzen Nachdenkpause, als ich ihn in seiner Zürcher Verlagswerkstatt besuche. „Ich bin gar nicht so jung, mich hat das genauso an Menschen erinnert, die ich früher kannte.“

Wir kennen uns ebenfalls von früher, wenn auch nicht von vor 35 Jahren. Ende der 1990er überschnitten sich unsere Wege beiläufig beim Verlag Rogner & Bernhard, damals in der Endphase seiner Rock’n’Roll-Zeit, schöne Bücher, feines Handwerk, cool rules. Heute hat sich Graf vom Lektor zum Verleger ausgewachsen – feines Handwerk, schöne (noch schönere!) Bücher. Cool? Angesagte Verlage definieren sich auch über ihre Partys, und bei der Schwinger-Party in Zürich-Schwamendingen (für das Buch „Hosenlupf“) hätte ich sofort mitmachen wollen.

Bei Walde + Graf entwirft Graf das Programm, während Mitverlegerin Anaïs Walde, ehemalige Mitarbeiterin der Tate-Gallery, sich um Rechte und Öffentlichkeit kümmert. Walde lerne ich nicht kennen; der große Verlagsraum ist an diesem Spätnachmittag zwischen den Jahren (modernes Bürogebäude im verschneiten Hinterhof, zweiter Stock) verwaist, die Tische halten quasi die Stellung, mit Geräten, Papieren, work in progress. Es gibt einen Investor, der dem Verlag mit auf die Beine hilft, es gibt einen Plan, der heißt verkürzt: Wir sind für Überraschungen zuständig.

Die Schweiz von außen

Und das bedeutete zur Leipziger Buchmesse 2010: sofort fett loslegen – zum Beispiel mit einem überdimensionierten Plakatbuch zur Schweiz, kunstvoll bestückt mit ausklappbaren Poster- und Postkartenmotiven, die jeder Schweizer kennt, weil sie noch immer an Kiosks der Feriengebiete angeboten werden. Den Text liefert Herr Fodor, einst legendärer Reisejournalist, heute lange tot; er lebt weiter in den Reisebüchern, die seine Marke tragen. „Tour de Suisse“ ist ein leichtes, frohes Buch über die Schweiz, ein Buch, das die Schweiz feiert, wie sie nie war, aber gerne wäre – wenn es sie denn gibt, „die Schweiz“.

Knapp die Hälfte des Programms im ersten Jahr ist solchen Schweizer Themen gewidmet, wobei der Blick von außen dominiert. Das ist in Ordnung so, Peter Graf stammt aus Köln, „da hat man natürlich einen anderen Zugang“. Und die Schweiz ist auf sympathische Art skurril, man muss nur genau hinschauen. „Hosenlupf“ (Hosen hochheben) zum Beispiel befasst sich ernsthaft mit einer solchen Skurrilität: Die helvetische Variante des Ringens kommt vom Land und zieht auf dem Land weiterhin große Zuschauerscharen an, die zunehmend auch aus den Städten kommen, betont Peter Graf.

Mit einem Gruß von Strapazin

Es liegt auch an den Illustrationen, wenn „Hosenlupf“ – unter anderem mit Interviews mit Schwinger-Königen und Erfahrungsberichten von Schweizer Literaten – im Betrachter sofort dieses Gefühl von „haben haben haben“ weckt; Chrigel Farner vor allem, der auch für das Cover zeichnet. Farner ist im Buchillustrationsbereich der Mann für schräge Retro-Avantgarde, seine Gemälde könnten aus einer Zeit von vor hundert Jahren stammen – aber nur beinah. Die perfekt austarierte Hypernostalgie hat der 38-Jährige drauf, schon seit seinen Anfängen in den Comics, deren Schweizer Zentralbüro, das Comic-Magazin Strapazin, übrigens gleich gegenüber von Walde + Grafs Büroräumen liegt.

Hier im Kreis 4 haben sich die richtigen Nachbarn gefunden. Auf – so Graf – „ungewöhnliche Weise“ sollen sich Text und Illustrationen in den Büchern seines Verlags verbinden und mit Farner, Noyau, Paula Troxler, Maurice Vellekoop, Crumb und demnächst auch Kati Rickenbach, Laura Jurt und einem Kunstband, der das Berliner Multitalent Atak feiert, werden so einige Strapazin-Künstler in die Bücherwerkstatt übergeführt, die ihr Können mit sorgfältiger Umsetzung zu schätzen weiß. Walde + Graf Buchcovers flashen – mal mehr, mal weniger –, die Formate und Layouts sind alle unterschiedlich, und weder innen noch außen gibt es hier die angeblich wesentliche, sofort erkennbare „Verlagsidentität“. Ein Fest fürs Auge! und ein Fest für Grafiker und Layouter.

Unter den bisherigen Layoutern (in diesem Fall auch Herausgeberin/Autorin) kann Ileana Soana hervorgehoben werden: Ihr Werk „Wetterpropheten“ (Wätterschmöcker – eine weitere (Inner)Schweizer Skurrilität) sticht mit seinen Bildtafeln, der Randspalten-Ikonografie und dem verspielt-klaren Umgang mit dem Thema unter den feinen Büchern besonders hervor. Die Form unterstützt den Inhalt, der Inhalt wird erweitert durch die Form – so muss innovative Buchkunst sein.

„Es geht um den adäquaten Auftritt“, sagt Peter Graf, „der für jedes Projekt von Grund auf bedacht sein will. Dabei entstehen natürlich ganz unterschiedliche Bücher. Worauf ich hinarbeiten möchte, ist, dass unsere Bücher in ihrer Gesamtheit miteinander reden.“

Vor uns auf dem Tisch liegt die aktuelle Kollektion und schnattert aufgeregt vor sich hin. Carl van Vechtens „Parties“ mit „Tour de Suisse“ und „Die von Montparnasse“ von Michel George-Michel. Abbeys „Die Monkey Wrench Gang“ mit „Hosenlupf“ und Harvey Pekars „The Beats“. Bücher, die man anfassen will, Bücher, die man lesen will. Charakterköpfe, die allermeisten von ihnen. Das Paradies! denkt man sich als Leser. Peter Graf muss ein glücklicher Mensch sein. Und das ist er vielleicht auch, aber er ist auch Verleger: Glück ist das nächste Programm (diesmal auch mit zeitgenössischen Romanen), Glück ist ein Vertrieb, gut aufgestellt für größere Würfe („wir arbeiten auf Zuwachs hin“), Glück sind die schwarzen Zahlen, die noch geschrieben sein wollen … mein Glück, kurzum, ist Peter Grafs Sorge, und warum nicht. Die Bücher von Walde + Graf, die es jetzt schon gibt, sind fürs Freuen gemacht. Und die, die noch kommen werden – „Abenteuer für Erwachsene!“ verspricht das Frühjahrsprogramm –, auf die kann sich der Leser einfach nur freuen.

Brigitte Helbling

Edward Abbey: Die Monkey Wrench Gang (The Monkey Wrench Gang, 1975). Roman. Mit Illustrationen von Robert Crumb. Deutsch von Sabine Hedinger. Zürich: Walde + Graf 2010. 472 Seiten. 24,95 Euro.

Peter Graf (Hg.): Tour de Suisse. Eine nostalgische Reise zu den schönsten Plätzen der Schweiz. Mit Texten von Eugen Fodor. Zürich: Walde + Graf 2010. 144 Seiten. 44,80 Euro.

Stephan Pörtner (Hg.): Hosenlupf – Eine freche Kulturgeschichte des Schwingens. Mit Illustrationen von Paula Troxler, Noyau, Chrigel Farner. Mit Texten von Peter Bichsel, Milena Moser, Christoph Simon. Zürich: Walde + Graf 2010. 232 Seiten. 39,95 Euro.

Ileana Soana: Wetterpropheten. Ein Buch über den meteorologischen Verein Innerschwyz. Mit viel Wissenswertem über die traditionelle und wissenschaftliche Vorhersage des Wetters. Zürich: Walde + Graf 2010. 240 Seiten. 24,80 Euro.

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