Geschrieben am 29. Mai 2010 von für Bücher, Crimemag

Vilmos Kondor: Der leise Tod

Der leise Tod von Vilmos Kondor

Grimmis in allen Verabreichungsarten. Ist schon okay. Diesmal also Budapest, 1936. Ach ja, Max Annas ist nicht übermäßig beeindruckt …

„Zsigmond Gordon macht Philip Marlowe Konkurrenz!“ steht auf dem Umschlag des Buches. Zwar hat Raymond Chandler seine populärste Figur 1939 zum ersten Mal ins Rennen geschickt und Vilmos Kondors Kriminalreporter ermittelt im gleichen Jahrzehnt, der Roman spielt 1936, aber das ist auch schon die einzige Parallele, die man zwischen den beiden Figuren bemühen kann. Der Journalist bewegt sich eher in einem politischen und historischen Umfeld, das ein wenig an das Berlin von Phillip Kerr erinnert, und auf dessen Privatdetektiv Bernhard Gunther gibt es auch einen klitzekleinen Hinweis im Buch. Budapest Noir ist sogar der Originaltitel des Romans, hier wird der Bezug auf Kerr und seine Berlin-Noir-Trilogie noch einmal deutlicher. Da Bernhard Gunther natürlich weit weniger berühmt ist als Marlowe, taugt er offenbar nicht zum Reklamelabel. Allerdings kann es Kondor als Erzähler weder mit Chandler noch mit Kerr aufnehmen.

Marmelade?

Zsigmond Gordon hat den Auftrag, allerlei langweiliges Zeug zu schreiben, als der Leichnam des ungarischen Ministerpräsidenten Gömbös aus München in Budapest ankommt. Gömbös hatte sich in Deutschland nicht nur wegen einer schweren Krankheit behandeln lassen, sondern auch enge politische Bande zu den Nazis geknüpft. Aber Botschafter zu interviewen, ist für Gordon bei weitem nicht so interessant, wie dem Fall einer ermordeten jungen Frau nachzugehen. Vor allem, weil er darin so gar nicht ermutigt wird – weder von der Polizei, die behauptet, alles im Griff zu haben, noch von seinem Redakteur, der erwartet, dass der Reporter liefert, was bestellt wird. Mehr gehindert als unterstützt wird er dabei von seiner Geliebten, deren dauerhaft schlechte Laune keinen ersichtlichen Grund hat, und seinem Großvater, der als alter Mediziner zwar ab und zu sachdienliche Hinweise einstreuen kann, sonst aber durch stetes Marmeladekochen nervt. Vielleicht hat das einen historischen Tiefsinn, den ich nicht durchschaue, und die Marmelade in der ungarischen Geschichte einen hohen Stellenwert.

Der Fall der jungen Frau, die Sex verkauft hatte und zu Tode geprügelt wurde, führt Gordon, das ist früh zu erwarten, in hohe und höchste Kreise. Kondor lässt seinen Protagonisten auf dem Weg zu Gesprächen oder Treffen gern durch Budapest laufen oder mit der Tram fahren und nutzt das, um viele Namen von lokalen Straßen zu zitieren. Das führt nicht in die richtige Richtung, denn über die Stimmung des im Nationalsozialismus und Faschismus untergehenden Ungarn erfahren wir beinah nichts. Gordon stößt auf Widerstände, die nicht größer sind als die, die man aus anderen zeitgenössischen Krimis kennt, wo Ermittler gegen den Willen ihrer Vorgesetzten irgendeinem Fall auf der Spur sind. Das fühlt sich ganz anders an als die Konfrontationen mit der SS, denen Bernhard Gunther bei Kerr ausgesetzt war. Am Ende von Der leise Tod ist halt ein Kriminalfall geklärt. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Max Annas

Vilmos Kondor: Der leise Tod (Budapest Noir, 2008). Roman.
Deutsch von Hans Skirecki.
Knaur 2010. 272 Seiten. 8,95 Euro.

| Offizielle Webseite von ,,Budapest Noir“