Geschrieben am 25. April 2012 von für Bücher, Litmag

Klink/Droste: Häuptling Eigener Herd N° 50: Jazz

Essen & Jazz, Freiheit & Sinnlichkeit

– „Häuptling Eigener Herd“ heißt das feine Periodikum für den aufgeklärten Esser (nicht für den Gourmet, nicht unbedingt für den Gourmand), der neben dem Essen auch am Denken und am Hinausschauen über den berühmten Tellerrand – hier passt die Metapher – seine Freude hat. Herausgegeben vom Stuttgarter Leibkoch der Intelligenzija, Vincent Klink, und dem multitalentierten Polemiker Wiglaf Droste. Schön, dass für das Jubiläumsheft N° 50 der Jazz zum Thema erkoren wurde. Von Thomas Wörtche

Essen & Jazz also. Die Begründung im Editorial leuchtet ein: „Mit dieser Musik (= Jazz) nehmen wir das moderne Lebensgefühl unbewusst in uns auf. Die Stimmung, die unser Ohr einfängt, signalisiert also Freiheit und Sinnlichkeit. Das mögen alle, nur Diktatoren nicht. Wer nämlich über Jazz und dann auch noch über gutes Essen nachdenkt, der wählt, entscheidet, entwickelt Geschmack, und bei diesen Regungen spielt ein gewaltiges Stück Freiheit mit.“

So sei es – und so metaphorisch diese Beziehung ist (man kann ja sowohl Essen als auch Jazz kombinieren mit Kriminalroman, Comic, Film – also allen Kunstformen, die gegen den alten Kanon der offiziellen Künste stehen, wie schon Pierre Bourdieu es beschrieben hat), sie gefällt uns einfach.

Glücklicherweise bietet das Heft eher sparsam Rezepte von Musikern an und erzählt, wie Vincent Klink selbst, nur sehr diskret von Begegnungen mit verfressenen und schrulligen Jazzern. Man umkreist das Thema eher, als es voll auszuspielen. Dazu gehören die wunderbaren Fotos über „Women in Jazz“ von Rüdiger Schestag, die das ohnehin exzellente Design (luftig, diskret, ohne frills und Schnickschnack – von Vincent Klink persönlich) noch unterstützen. Man kann schöne Printprodukte machen, wenn man es kann und will und auf ein Publikum setzt, das so etwas zu schätzen weiß.

Ohne den Inhalt im Einzelnen herunterzubeten – es geht um dicke Männer, den beliebten und bekannten Burnout, eine Hommage an Ruth Hohmann (ausgerechnet da ein Satzfehler in der Überschrift) – alles von Droste –, um Derbes über Zwiebeln von Sarah Khan, Helge Schneider und Earl „Fatha“ Hines (von Guido Mingels), chinesischen Jazz (von Sandra Lust) und vieles mehr, einschließlich lustiger Schnurren, Anekdoten und Zitaten von berühmten Jazzmusikern, nebst responses von Vincent Klink.

Ein Filet-Text ist sicher „Cage Cooking“, eine brillant-maliziöse Kunstbetriebssatire (oder etwa nicht?) über den Zusammenhang von Kochen und John Cage, über das, was Publikum sich zumuten lässt, und darüber, was Philosophen meinen, wenn sie sagen, dass sich moderne Kunst erst so recht im Diskurs über sie konstituiert. Dann guten Appetit, wenn Sie diese Geschichte von Klaus Cäser Kehrer gelesen haben.

Kulinarische Improvisation wider die „protestantische Klemmethik“

Über eine kleine Reminiszenz hab ich mich besonders gefreut – in einem eher programmatischen Text von Wolfgang Abel („Iberico mit Groove“), der das Lob der kulinarischen Improvisation wider unter anderem die „protestantische Klemmethik“ der „Pinzettenküche“, den groove und swing wider „dressiertes Gemüse“ und „Exerzierplatz-Service“ singt, wird das „Ristorante Borremeo“ in Ascona angerufen, dessen exzentrischer Besitzer in den 1960s eine sehr kuriose, aber erfreulich wunderliche Rechnungsführung pflegte: Just das Restaurant, in dem ich in meiner Kindheit und frühen Jugend in den 1960s viel über gutes Essen gelernt habe. Auch die vier spanischen Kerle, die von Herrn Abel auf einer andalusischen Mole mit einem Iberico-Schinken, Rotwein, Oliven und herzlichster Gastfreundschaft beobachtet wurden, sind mir ein bisschen weiter nördlich, so auf der Höhe von Valencia, öfters begegnet. Oder so ähnliche Leute …

Nicht so dolle allerdings ist leider ein sehr jazz-affines Thema weggekommen: Eine wenig inspirierte … tja, was … Rückschau (aber warum?), Hommage (nicht wirklich), naja, ein Aufsatz halt über Chet Baker, in dem so gar nichts Neues, Überraschendes oder sonst wie Originelles steht. Deutlich wird dabei nur, dass Archi W. Bechlenberg (im Anhang als „universal gebildeter Mann“ beschrieben, der in Belgien lebt) eine Menge Standardkram über Chet Baker zitiert, aber zum Beispiel den schönsten Roman (mit biografisch ernstzunehmenden Aspekten) über unser aller Lieblingsjunkie nicht zu kennen scheint: Bill Moodys (zu CM-Kolumnen von Bill Moody) „Looking for Chet Baker“ („Auf der Suche nach Chet Baker“, mehr hier).

Aber eine kleine Dissonanz darf ja schließlich auch sein, das gehört dazu und tut dem Vergnügen keinen Abbruch. Schließlich kann ein Heft, das im Impressum zu guter Letzt die Notärztin nennt, überhaupt nicht übel sein.

Thomas Wörtche

Häuptling Eigener Herd N° 50 – Jazz. Hrsg. von Wiglaf Droste und Vincent Klink. Stuttgart: Edition Vincent Klink 2012. 120 Seiten. 14,90 Euro. Zum Wigwam des Häuptlings.

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