Ein starkes Frauenduo gibt Vollgas
– Von der skandalösen Außenseiterin in den Literaturkanon? Mit dem Roman „Baise-moi“ löste Virginie Despentes 1994 in Frankreich große Empörung aus. Die Verfilmung unter dem Titel „Fick mich“ machte sie auch in Deutschland bekannt. Zwei vergewaltigte Frauen holen darin zur Gegenwehr aus.
Für ihr neues Buch „Apokalypse Baby“ war sie nun für die beiden bedeutendsten französischen Literaturpreise nominiert und erhielt immerhin einen, den Prix Renaudot. Aber erfreulicherweise ist Despentes nicht handzahm geworden. Der Roman ist eine schräge, doch genau komponierte Mischung aus Krimi, Roadmovie, Sozialkritik.
Zwei Detektivinnen machen sich auf die Suche nach der 15jährigen Valentine. Ein ungleiches Duo: Die „Hyäne“, eine Lesbe mit schillerndem Charakter, eine schwarze Seele, abgebrüht und doch nicht kalt. Und Lucie, die mit 35 Jahren das Gefühl hat, die beste Zeit hinter sich zu haben. Dass sie Hetera ist, ist bei Despentes erwähnenswert. Die sagte in einem Interview, sie habe es „witzig (gefunden), Heterosexualität mal so darzustellen, dass man keinen Bock mehr hat, sich damit zu identifizieren“.
Es ätzt, wenn sie zum Beispiel die Selbstlügen der Frauen bezüglich der Liebe oder die pfauenhaften jungen und alten Männer beschreibt. Aber diese genaue Beobachtungsgabe betrifft verschiedenste Milieus und Figuren – und der Aufbau des Romans ermöglicht ihr, davon sehr viele aufzurufen. All den Menschen, die in Valentines Umfeld gehören, widmet die Autorin eigene Kapitel, ebenso den Ermittlerinnen. Das sind tolle, sehr lebendige Charakter– und Milieuzeichnungen. So ergibt sich über Valentines Vater, ein alternder Schriftsteller, ein sehr treffender, auch komischer Blick auf den Literaturbetrieb. Über Valentines Familie mütterlicherseits wird über Migration in Frankreich erzählt.
Die Suche nach dem Mädchen und die Figur Lucies halten diese Geschichten in der großen Geschichte zusammen – die am Ende auf einen überraschenden Schlusspunkt zurast. Despentes ist eine tolle Erzählerin, die ironischen Witz, Klugheit und Empathie vereint. Und, ja, eine romantische Liebesgeschichte gibt es auch – die ist bei ihr nicht zufällig eine lesbische.
Carola Ebeling
Virginie Despentes: Apokalypse Baby! (Apokalypse Bèbè 2010). Aus dem Französischen von Barbara Heber-Schärer und Dorit Gesa Engelhardt. Berlin Verlag 2012. 383 Seiten. 19,90 Euro.