Erfreulich sinnvolles Neuauflegen
William Boyd wurde 1952 in Ghana als Kind schottischer Eltern geboren. Seine Jugend verbrachte er größtenteils in Afrika. Bereits 1981 wurde er für seinen ersten Roman A Good Man in Africa zu einem der 20 besten jungen britischen Erzähler gewählt. Für den Roman Restless erhielt sowohl den Costa Book Award (vormals Whitbread Award), als auch den British Book Award. Die blaue Stunde erschien deutschsprachig erstmals 1995 beim Rowohlt Verlag. Ein Kauftipp vom Krimibuchhändler unseres Vertrauens, Christian Koch. (zur Buchhandlung)
1936 in Los Angeles. Die junge Architektin Kay L. Fischer, gerade von ihrem Geschäftspartner betrogen und aus der Firma geworfen, wird zum wiederholten Male von einem kauzigen, alten Mann angesprochen und dringend um ein Gespräch gebeten. Aufgewühlt durch ihre persönliche Situation, lässt sie sich auf die abenteuerlichen Erzählungen von Dr. Salvatore Carriscant ein. Dieser stellt sich zudem als ihr leiblicher Vater vor und berichtet Kay, dass er 15 Jahre in philippinischen Gefängnissen verbracht hat. Und dies für einen Mord, den er gar nicht begangen hat. Um die Wahrheit hinter dieser kaum glaublichen Geschichte herauszufinden, reist Kay mit ihm nach Portugal. Dort sollen sie seine ehemalige Geliebte wieder treffen …
Dieser knapp zusammengefasste Romananfang ist nur ein Bruchteil des Inhalts von Die blaue Stunde, und genau das ist auch die Stärke von William Boyds erzählerischem Talent: Menschen mit wenigen Sätzen spürbar zu machen und Interesse am Fortgang ihrer Schicksale zu wecken. Sehr selten sind diese Komponenten so einfach und gleichzeitig so in die Tiefe gehend heutzutage geworden.
Viele Details kann man in Boyds Roman aus doppelter Perspektive lesen, erfahren und vergleichen: Das berufliche Straucheln von Kay als Frau in dem von Männern dominierten Architektengewerbe genauso wie das Anrennen des Arztes Carriscant gegen altertümliche Standesvorschriften der medizinischen Welt des Jahres 1902.
Erst recht gilt das für die beiden Hauptstränge: Die aussichtslose Liebe Carriscants zur verheirateten Delphine Sieverance genauso wie das manische Tüfteln an der ersten Flugmaschine, die Pantaleon, die ein Kollege Carriscants für den Gewinn eines Flugwettbewerbs baut.
William Boyd ist ein grandioser Handwerker, und dies ist ausnahmslos als hohes Lob gemeint. Es scheint für ihn ein Leichtes zu sein, die Geschichte auf drei Kontinenten anzusiedeln, zwei Erzählperspektiven einzubauen und dies alles über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren durchzuziehen! Quasi als Zugabe erfährt man auch noch die Geschichte des Philippinisch-Amerikanischen Krieges und ist dadurch ganz nah an der heutigen Zeit mit ihren aktuellen Konflikten.
Fazit: Im jährlichen Brei von wertlosen Wiederauflagen ragt Die blaue Stunde als beeindruckendes Leseerlebnis heraus.
Christian Koch
William Boyd: Die blaue Stunde. (The Blue Afternoon, 1993). Roman. Deutsch von Matthias Müller. Berlin: BvT Berliner Taschenbuch Verlag 2009. 398 Seiten. 10,95 Euro.