Himmelsakrafixnochamal
Sie kennen das: Man schubst eine alte Frau die Treppe runter und gröhlt dann: „Eyy, was rennste denn auch so, Oma!“ Genau das macht das hochverehrte ZDF mit einer der intelligentesten, witzigsten, erfreulichsten, mit der schlicht besten Fernsehserie der letzten Jahre: Mit der wunderbaren Familien-Soap „Die Sopranos“. Natürlich bekommt man keine Quote, wenn man die Zuschauer jeden Samstag abend mit der bangen Frage terrorisiert, wann senden sie, senden sie jetzt überhaupt oder doch wieder nicht? Seit ein paar Wochen wird diese Folter noch getoppt: Zwischen Sportstudio und den „Sopranos“ gibt man jetzt noch die „Eurocops“ – müde, miese Schmonzetten aus den 80er Jahren, bei denen man sich damals schon gefragt hat, in welchen nach altem Mann müffelnden Schreibstuben solche Drehbücher entstehen mögen.
Wäre ich paranoid, würde ich sagen: Wer eine Serie irgendwo tief in der Nacht versteckt, will, dass sie sich versendet. „Die Sopranos“ gehen intelligent mit dem Thema „Verbrechen“ um. Im deutschen Fernsehen dagegen quält man das Volk seit Jahrzehnten mit Märchen, die aus einem Paralleluniversum stammen müssen, über eben dieses Thema. Von handwerklichen Tugenden wollen wir gar nicht reden. Die aber machen auch im Fernsehen den Unterschied aus.
Warum fürchten unsere Medien bloß so sehr, das pp. Publikum mit Einsichten, wie innig und unentwirrbar eng Verbrechen und Gesellschaft verwoben sind, zu unterhalten? Verbrechen und Gesellschaft sind nun mal nicht zwei verschiedene Stiefel, und das zeigen höchst amüsant, charmant und bösartig die Sopranos, die nette Mafia-Mischpoke von nebenan. Dass so was überhaupt unterhaltsam ist, scheint eine Horrorvorstellung für Fernsehentscheidungsträger zu sein: Oder glauben die – umgekehrt – ernsthaft, das Betrachten von „Bella Block“ und „Rosa Roth“ und „Siska“ und „Adelheid“ und „Tatort“ und „Polizeiruf“ und „Derrick“ und „Schnerrick“ sei Unterhaltung? Das ist schweißtreibende Arbeit, Müh und Last! Glauben die womöglich gar, die völlige Abwesenheit von Kreativität, Komik, klugen Gedanken und Ernstnehmen der Realität sei pädagogisch wertvoll, weil man damit den Deutschen die Lust auf echte Verbrechen versaut? Glauben die, dass das Volk sofort abschaltet, wenn Verbrechen öffentlich verhandelt werden, die nicht so aussehen wie das, was sie uns seit Jahren trichtern?
Fast möchte man`s glauben, denn der Fall „Soprano“ ist ja kein Einzelfall. Erinnern Sie sich an „Homicide“, die grandiose Polizei-Serie aus Baltimore, produziert immerhin von Barry Levinson? Neee! Können Sie auch kaum. Die lief nämlich auf Vox, erst sehr spät, und dann irgendwann morgens um vier, umrahmt von schwabbelnden, wabbelnden Tittenbergen. Kunst als Werbeträger der Schmuddel-Pornoindustrie. Da hätte Teddy mal draufkommen sollen statt das Unterhaltende für die Gräuel dieser Erde verantwortlich zu machen. Nicht einmal Pressematerial wollte Vox seinerzeit zur Verfügung stellen, so peinlich war ihnen vermutlich die hohe Qualität der Serie.
In beiden Fällen drängt sich ein Verdacht auf: Die Serien sind eher versehentlich eingekauft worden und müssen jetzt irgendwie weg. Denn wie will man nach ein paar Folgen „Sopranos“ oder „Homicide“ noch ernsthaft Produkte von und für Debile wie „Kommissar Rex“, „Wolffs Revier“ oder „Der Bulle von Tölz“ genießen? Das Publikum hat dann vermutlich buchstäblich Blut geleckt und glaubt gar nicht mehr an seine eigene Debilität. Aber lassen wir ordnungspolitisch motivierte Gartenlaubenbilder von Verbrechen mal fallen. Es genügen die internen Strukturen von Fernsehanstalten, die einfach nicht das knowhow und die manpower für Qualität haben – wollen? Denn Qualität macht Arbeit, qualifizierte Macher sind eigenständig und geben Widerworte. Horribile dictu. Dieser jämmerliche Zustand beschränkt sich übrigens leider nicht auf das Massenmedium Nummer Eins. Es gibt in diesem Land eine merkwürdige Grauzone aus kreischender Dummheit, gewollter Ignoranz und freiwilligem Selbst-Beklatschen – und zwar multimedial. Bleiben wir beim Kriminellen. Die Bucherfolge von Reiseführerkrimis und Hausfrauenkrimis und all die tausend lächerlichen Regionalkrimis und Heimatschmonzetten mit Mord, all die ästhetischen Ödlande in Buch & Bild, die witzfreien Dumpfwüsten, die ahnungslosen Ex-Minister allerlei Geschlechts, die neuerdings Krimi-Kolumnen oder Krimis schreiben müssen, die zum Heulen inkompotenten Feuilletonisten, die genau wissen, was ein „Krimi“ ist, wenn sie drei schlechte Exemplare gelesen haben, all die gnadenlos auf höhere Aufgaben schielenden Fernsehkritiker, die jeden Schmock bejubeln, wenn der nur nach Medienpreis riecht — all das trägt dazu bei, dass Deutschland ein großes gesamtkulturelles Disney-Land geworden ist. Hier werden die Augen vor einer Tatsache ganz fest zu gemacht: Where there is money, there is crime. Where there is crime, there is culture (Jerome Charyn). Himmelsakrafixnochamal, was kann ich mich spulen, wenn das ZDF mir die „Sopranos“ versteckt! Ausgerechnet!
Thomas Wörtche, 11.02.2002