Sahne mit Wahnsinn / 37 / sabaa u talatin / November
Sahne mit Wahnsinn kann man essen, zumindest wenn man einem Künstler aus Köln glaubt. Der nämlich meint, genau das auf einer Eiskarte in Spanien gelesen zu haben. Als deutsche Übersetzung irgendeiner Eissache. Und Blanka Beirut glaubt’s: Sahne mit Wahnsinn ...
Porentief
Meist wird sie zuerst wach. Heute und hier weiß sie sekundenlang nicht, wo sie ist. Sie dreht den Kopf zum Mann an ihrer Seite, der graue Lichtstrahl fällt durch die Gardinenritze auf Augenfalten und Wucherwurz-Nase. Sie erschrickt. Zum Glück dreht er sich auf den Rücken. Sie studiert sein Gesicht von weit oben. Weiß er, dass sie ihn mit ihm selbst betrügt? Er schläft, sie schaut ihn an. Wenn das durch die Jahre lose gewordene Gewebe im Liegen zurückfällt, wird sein Gesicht jung; der Anblick gibt ihr erotischen Schwung, ihn anders ...
Kolumne 36 / Tod eines Kingkongs - Einstieg ins Gedichtzimmer sabaa u talatin/ Oktober
Der Nymphensittich hat es heute eilig. Er will nach Wien, weil da orange araunsch heißt. In das Wort passt einfach viel mehr hinein. Wie Glitzer in den hohlen Bauch eines Fischs. Nur findet Blanka Beirut kein Ende beim Schlafen. Deshalb setzt er ihr ein Flaus ins Ohr und eine Schnecke ...
Antarktis-Hirnwäsche - Der Steinböke-Mord im Drosteland
Einstöckige Häuser aus Holz und aus Stahl, die Straßen eingeebnet und von schwarzer Asche belegt, Gabelstapler, Bulldozer und haushohe Traktoren wälzen sich knirschend darüber, unter Hochspannungsleitungen her, die ein Spinnennetz bauen vor dem vierundzwanzigstündig hellen bleiweißen Himmel. Die Polarstation Nirwnij in der Antarktis vibriert. Keiner kann einschlafen, solange es hell ist, und hell ist es immer, Tausende von Männern liegen allabendlich wach, Abende durch Uhren und Zeitpläne bestimmt, warten auf Schlaf ...
Im Winter kommt/ 35/ chamsa u talatin/ Oktober
Es wird langsam kälter. Die Banken sind krank und Blanka Beirut kocht Tee aus den verfilzten Haaren des Mais. Frau Kairo nimmt dessen Körner und breitet sie mit kleinen Nudelrohren und Hühnchen zu. (Obwohl ihr der Appetit vergangen ist, denn in Kairo mordet man ...
Kuhruhe unter Fensterbänken/ 34/ arbaa u talatin/ Oktober
Blanka Beirut weiß nicht wie Gott arbeitet. Lässt er alles zu Bruch gehen oder leblos werden wie Bänker und Roboter, den Rest der Welt in Armut dahinsiechen um dann die Revolution der Müllkinder anzuzetteln? Oder warum wird den Tod eines Zahlenkönigs betrauert? ...
Hier ist Iran! Persische Lyrik im deutschsprachigen Raum - ein Interview mit dem Herausgeber Gerrit Wustmann
„Hier ist Iran!“ ist der Titelvers eines Gedichts von Sanaz Zaresani, der, so finde ich, das Konzept der Anthologie gut auf den Punkt bringt. Der Titel soll Aufmerksamkeit dafür erzeugen, dass es hier im deutschsprachigen Raum und vor allem in Deutschland eine blühende und vielfältige iranische Dichterszene gibt, was bislang weitgehend unbekannt ist. Selbst in hiesigen Lyrikerkreisen erhalten die Exilautoren eher geringe Aufmerksamkeit, von etablierten Namen wie SAID oder Abbas Maroufi einmal abgesehen. Das ist schade, und ich möchte...
Neues von und über Matthias BAADER Holst
Der frühe Tod von Matthias Holst, der zu einem Dichter des Untergrunds avancierte, ließ die Legenden zu seiner Person und seinem Wirken seit dem »kurzen Sommer der Anarchie« wilde Blüten treiben. Die Sekundärliteratur zu »Matthias« BAADER Holst umfaßt Dutzende von Zeitungsartikeln, Rezensionen, Ausstellungskritiken, Interviews und Kurzportraits. Bei der Sichtung dieser Materialien gewinnt man schnell den Eindruck, der nonkonforme Lebensstil des Protagonisten habe den Blick auf sein Werk verstellt. Zwar existieren diverse Zeugnisse der...
Gretchentragödie in Dalwigkstruth. WaldundwiesenKrimi
Bei Regen Richtung Lichtenfels: das sind sechzehn Gemeinden in der Waldecker Schweiz, so nennen sie überall schöne, waldreiche Gegenden, mit etwas Weinanbau gern Toskana. Dalwigkstruth suche ich, aber das war in meiner Geschichte umgedichtet. Wir finden Dalwigkthal und im Tal neben dem krummen Bach unter Kopfweiden eine winzige Kirche, darum herum lauter Grabstätten derer von Dalwigk. Die ältesten liegend, vier weiße Marmorplatten auf grauem Granit direkt vor der Kirchenmauer, Richtung Ausgang stehende Grabstelen, alte und...
Windklapswetter und / 33/ tlata u talatin/ Oktober
Ein Rubinienzweiglein setzt an zum Nasenstüber mit Blanka Beirut nachdem herbstlich herabgeweht. Allerdings sind die Brückenhäupter heute hellblond. Blanka sitzt in der Bahn und ihr läuft die Nase. Obwohl der Oktober lauwarm ist, wie Tee. So muss ...
Ferien auf Hiddensee
Das Besondere an Hiddensee ist, daß der ortsübliche Mann, wo er doch überall sonst in symbiotischer Gemeinschaft mit dem Auto lebt, ohne Auto auskommen muß. Was man in Deutschland für unmöglich hält, passiert dort tagtäglich. Er läuft, fährt Fahrrad, oder sitzt auf dem Bock eines zwei PS starken Kutschengefährts, ...
Makabradabra, gute Fische schlechte Fische / September/ 32/ tnen u talatin
Dreimal miaut die gescheckte Katze von Frau Kairo im Lokal. Der Kellner, der Blanka Beirut, weiß der Himmel warum, mit "auch katholisch?" begrüßt, bringt zwei Kaffee und eine schreckliche Nachricht. Für den Papstbesuch wird fünfzehn Mal mehr Geld ...
Kurz und knapp zu Peter Kurzeck – Notizen zu einer Lesung und ihre Folgen
Einer der weitschweifigsten Erzähler deutscher Sprache ist Peter Kurzeck, der zugleich einer der kurzweiligsten ist. Gegenstand seiner Ausführungen sind er selbst und seine jeweilige Gegend, zuförderst das hessische Staufenberg bis hin zum Lollaer Bahnhof oder anderen Provinz- Orten, denen er beschreibend zu Leibe rückt, weil er seinerzeit als dreijähriges Flüchtlingskind eben dort seine neue Heimat fand. Der kleine, ältere Herr mit dem Clark-Gable-Bärtchen und den weißen, zurückgekämmten Haaren, den schelmischen Augen und seiner...
Lindenland Eichsfeld
Vor dem Erfurter Bahnhof sei Volksfest, denken die vom Fernsehen, buntgekleidete Menschen laufen herum, trinken Bier aus Büchsen und essen Thüringer Würste, zwischen Rucksäcken sitzen Schulkinder auf dem sonnenwarmen Vorplatz. Auf Wiedersehen wollen sie auf den Bahnsteig sagen, sind benommen vom Abschied, der keiner sein kann. Berühren der Figüren mit den Pfoten ist verboten. Das gilt zwischen beiden, und das lässt sie sein wie betäubt. Zutritt verboten, sagen die Uniformierten. Benommenheit wächst an zu Verstörung...
Vom fehlenden Zischen der Buchstaben / 31/ wahid u talatin/ September
Trotz dicker Mine bleiben Blanka Beiruts Tagebuchstaben heute dünn und blass. Nicht das kleinste Zischen darin. Auf ihrem Schreibtisch liegt aber eine mittelgroße Armträne, frisch gedichtet vom Nymphensittich, der heute feuchte Wörter bevorzugt ...
Poetische Fragen 2 - Der Abstand
Der Abstand ist eine Frage der Anziehung. Der Abstand ist auch eine Frage des Stand-Punktes, des Willens und der Kraft. Wo steh ich, wie fest und wo sind die Wörter - diese Menge von greifbaren und gesuchten Wörtern, in meinem Besitz und doch vielleicht nicht, einzelne und in Scharen, Kämpfer und Krieger der Sprache unter meiner Generalität oder Lämmer unter meinem Hirtenstab, Pflänzchen in meinen behutsamen Händen. Die Wörter sind wie ein Fischschwarm, eine flirrende Fraktion, und doch Fisch für Fisch in diesem Verbund...
Äon des Nymphensittichs und Rachemantel / 30/ talatin/ September
Wie lebt es sich als türkisch Kleingeld in Köln? Kurusch kehrt heim in Blanka Beiruts Wohnung, nicht sie selbst unter Wolkenkontinente. Die Verpflichtungen möchten ihr Blut. Irgendeine Allahfigur schickt sie deshalb auf eine Wolke, mit viereckiger Müdigkeit. Und dort ...
Im Kreis der Lieben, Teil 2
Diejenigen, die den ersten Teil nicht gelesen haben, sollten jetzt den ersten Teil lesen, denn ich gebe hier keine Zusammenfassung darüber ab, was im ersten Teil geschehen ist, sondern setze gleich direkt ein mit der Feststellung: Unsere Wohnung war inzwischen nicht mehr wiederzuerkennen. Ich sagte zu meiner katholischen Freundin: ...
Textbayram und eigene Nachrichten / 29/ September/ tisa’auaschrien
Ein Duft von Wassermelone zieht über salzige Wasser und pummelige Stunden vor Gümüldür. Wie süß Umlaute sind, findet Blanka Beirut wieder und wieder und erhascht kurze Zeit später rauchige Notiz ohne ü ...
Landschaften in Europa: Morvan en Bourgogne
Kloster zum weinenden Auge: Der Linden-Alleen-Gang ist lang und läuft vom Schloss hinein in den aufsteigenden Wald, Sonne und Himmel durch Blätterdach gefiltert, kleine Laute fallender, raschelnder Blätter, Eidechsen huschen ins Kraut. Roten Fliegenpilz hat er entdeckt. Einen eingesteckt. Männlein steht im Wald auf einem Bein. Soll die Hagebutte sein, deren Ranken sich an Evas Rock hakeln und Löcher in die Seide reißen. Kostbare Bäume im Morvan-Gebirge. Landschaft aus Wald- und Weiden, von Wallhecken...
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