Am 21. November 2014 fanden im Literaturhaus Wien die Friederike Mayröckers Lyrik gewidmeten Übersetzungsworkshops statt. Ich hatte die Freude und Ehre, die Moderatorin einer der beiden Gruppen zu sein. Diese Gruppe bestand aus jungen ÜbersetzerInnen, StudentInnen der Translationswissenschaft und der Vergleichenden Literaturwissenschaft der Universität Wien, ForscherInnen vom Versatorium, und die vertretenen Sprachen waren Englisch, Französisch und Georgisch.
Der Workshop begann mit einer Diskussion über das Gedicht „dieser Nachsommer der mich mit seinen“ aus der Gedichtsammlung dieses Jäckchen (nämlich) des Vogel Greif (2009), dessen Übersetzung jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin vorbereitet hatten.
Während der Besprechung wurden verschiedene Stellen des Gedichts kommentiert, was zur Herausarbeitung von Merkmalen der Schreibweise Friederike Mayröckers beitrug, wie die Polysemie, die Wichtigkeit der Alliterationen und Assonanzen, die Frage nach möglichen intertextuellen Verweisen (besonders am Anfang mit dem Ausdruck „dieser Nachsommer“, der an Stifters Roman erinnert), die Struktur des Gedichts.
Dann, oder manchmal auch gleichzeitig, wurden Herausforderungen für das Übersetzen und mögliche Übersetzungen in die verschiedenen vertretenen Sprachen ans Licht gebracht. Interessant war hier die Entdeckung anderer Sprachen und deren Möglichkeiten (zum Beispiel die Tatsache, dass das Wort „Stunde“ auf Georgisch nicht existiert).
Nach einer kurzen Pause wurden die verschiedenen Übersetzungen vorgelesen und diskutiert. Hier stellte sich indirekt die Frage nach dem Unterschied zwischen Übersetzen und Übertragen, da der eine Teil der TeilnehmerInnen Übersetzungen im „klassischen“ Sinn erstellte, während der andere Teil homophone Übersetzungen oder neue Kreationen mit dem Gedicht als Vorlage vorschlug. Hier konnte man die Hintergründe des Übersetzens im Allgemeinen und des Übersetzens des Gedichts „dieser Nachsommer der mich mit seinen“ im Besonderen befragen.
Der Übersetzungsworkshop zu Lyrik war für mich eine gute Gelegenheit, mit anderen über einen Text Friederike Mayröckers zu sprechen, über ein Erlebnisgedicht, das sich auf eine konkrete Situation – einen Nachmittag im Gastgarten des „Cuadro“ am Margaretenplatz – stützt und zu einer intensiven Diskussion und zu diversen Übersetzungsmöglichkeiten führte, welche die Kreativität der ÜbersetzerInnen stimulierten und zugleich Beweise für den Reichtum und die Offenheit von Friederike Mayröckers Lyrik sind.
© Aurélie Le Née, Nantes, Frankreich, im Dezember 2014.