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Magazin für Verrisse aller Art    Archiv

Herausgegeben von Hans Dieter Eberhard

   



AUSGABE 9


Schreiberhack I: DANIEL KEHLMANN

vermessen


Jemand empfahl mir ein Buch von Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt mit der Bemerkung: endlich ein jüngerer deutscher Autor, der uns nicht mit seinem Befindlichkeitsstatus vollnölt, der Sprache halbwegs beherrscht, der seinen Gegenstand wenigstens oberflächlich recherchiert hat. Das stimmte, aber was kam dann? Was war das bitte, was ich da gerade gelesen und gleich wieder vergessen hatte? Ein Roman, eine launige Betrachtung, ein etwas längeres Feuilleton, eine protoliterarische Zarzuela, Nebenprodukt eines Schriftstellers in Rentenerwartungshaltung, der sich noch einmal in Erinnerung bringen will, bevor er als Grabredner was dazuverdient?

Hatte ich etwas gelernt, Neues, Interessantes, gar Bewegendes über Alexander v. Humboldt und Carl Friedrich Gauß? Nein, hatte ich nicht. Anekdotisch angehauchter Schmunzelhumor hat mich belästigt, schnurrige Ironie wie Wattepusten, ein entnervend einseitiger Gebrauch der indirekten Rede: jene von vielen Jubelrezensenten so hochgelobten Dialoge. Gequält haben sie mich. Lachen habe ich nicht einmal müssen, obwohl dieses Buch fast so neckisch-onkelhaft war wie Minna von Barnhelm. Für einen Roman zu kurz, als Legendensammlung zu lang. Notwendig blieben die Figuren gestaltlos oder marionettenhaft, die Beschreibungen waren ungenau bis falsch, und die sexuelle Orientierung der Protagonisten, wer will das wissen, welche Rolle spielte sie für die Vermessung der Welt?
(An dieser Stelle eine Bitte an alle Schreiberlinge dieser Welt: bitte nichts mehr über sexuelle Orientierungen, bitte. Darüber sind wir seit langem auf unterkomplexe Weise extrem überorientiert.)

Wer wirklich etwas über Alexander von Humboldt erfahren möchte, lese doch einfach dessen Reise zu den Äquinoktialgegenden, ein Buch, das in preiswerten Ausgaben erhältlich ist, und er bekommt da alles aus erster Hand, und es ist viel besser, nein unvergleichlich besser, hervorragend geschrieben, ausführlich, spannend, lehrreich, und dort erfährt er auch, was Beschreibung sein kann, das was gewisse Ethnologen dichte Beschreibung nennen, dagegen ist Daniel Kehlmann eine literarische Hausstaubmilbe. Ja, und für Carl Friedrich Gauß wäre vielleicht doch etwas mathematischer Spiritus gefragt.

Daß dieser Buch ein Bestseller wurde, verwundert nicht groß, das macht schon der Titel: Vermessung der Welt. Das klingt toll geheimnisvoll nach entzauberter Welt, wie die ganz ganz große Erkenntnis mit Melancholiebeilage und Metaphysikverlust, als könnte man sich zwischen den Zeilen noch einmal folgenlos zurückträumen in die Welt vor ihrer Vermessung. Leider schleicht sich Metaphysik auf der Hintertreppe des Kunstwollens dann doch immer wieder ein, aber das haben unsere Omas und Opas ja gerade so gerne. So ein Buch, das kann man getrost wirklich jedem schenken, ohne in irgendein Fettnäpfchen zu treten, sogar dem ärgsten Feind, tut keinem weh, stellt keine Ansprüche, harmloser geht's nicht.

Natürlich ist Daniel Kehlmann nun dank hoher Auflage eine Autorität im Lit-Betrieb geworden, überall muß er seinen Senf beigeben, aber was bitte sollen wir von einem Autor halten, der in einer großen Anzeige eines hochwichtigen deutschen Bildungsblattes sich dazu hergibt, einen haarstäubenden Schmand wie Eros von Helmut Krausser das ganz ganz große Buch zu nennen?

Hallux Valgus






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