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Magazin für Verrisse aller Art    Archiv

Herausgegeben von Hans Dieter Eberhard

   



AUSGABE 9


Schreiberhack II: CHARLOTTE ROCHE

feucht


Ein Buch, das vornehmlich mit seinem Titel hausiert, heißt Feuchtgebiete, verfaßt von einer Charlotte Roche, die hier als Rosamunde Pilcher der Enddarmerotik debütiert. Sonst haben wir zu diesem Buch nicht viel zu sagen. Seine Existenz als Bestseller beweist, daß das Geschäft mit der Dummheit immer noch eins der einträglichsten ist. Natürlich meinen wir nicht die Dummheit des Buches, dumme Bücher, die Bestseller sind, gibt es in rauhen Mengen, wir meinen die Dummheit der Käufer. Jenes Phänomen, daß Leute, die sich sonst einen feuchten Dreck für Bücher interessieren, gerade dieses Buch kaufen, obwohl es ungleich weniger bietet als das, was andernorts (YouPorn und Verwandtes) viel preiswerter und deftiger zu haben ist, das ist schon merkwürdig und sollte jenen, die Bücher vermarkten, zu denken geben. Das gute Buch bleibt eben eine kulturelle Institution, egal wie schlecht es ist.
Aber sowas passiert in gewissen Abständen immer wieder. Mitte der 60-er Jahre erschien z.B. der Roman Die Clique von Mary McCarthy, in jenen prüden Zeiten ein Skandal, weil das Buch ein paar schweinische Stellen enthielt. Fast wäre es auf dem Index gelandet. Man mußte leider richtig lesen, bis man auf diese Stellen stieß, und im ganzen war das Buch eher langweilig, aber Hinz und Kunz kauften es.

Doch halt! Könnte diese Sicht der Dinge nicht vielleicht etwas zu einfach sein, gar naiv? Im Licht des Gender mainstreaming betrachtet handelt es sich bei dem gegenwärtig herrschenden Hygienewahn, der von einer global tätigen Industrie gesteuert wird, um eine offensichtliche Diskrimierung und Unterdrückung spezifisch weiblicher Körpererscheinungsformen als ein der Weiblichkeit genuin innewohnendes sekretorisches Sosein. Von dieser Warte aus mit ihren naturgegebenen soziophilosophischen und politischen Implikationen hätte Charlotte Roche einen in seiner Tragweite noch kaum abschätzbaren Beitrag zur Befreiung der Frau von der männlich inszenierten Sauberkeitsbesessenheit und Reinlichkeitsdiktatur geleistet, welche den wahren Duft der Frauen als ein Natürliches zugunsten olfaktorisch geprägter Männerphantasien von jeher auszulöschen versucht hat. Noch immer unterwirft sich eine überwältigende Mehrheit der Frauen freiwillig diesem Diktat der Desodoration, das sie ironischerweise für ihr Ureigenstes hält. Die Sekretionsapologie Feuchtgebiete könnte hier einen Anfang vom Ende bedeuten, ohne daß es der Autorin vermutlich bewußt ist.
Noch immer ist sogar die Frauenheilkunde eine Männerdomäne. Wenn der Gynäkologe seiner Patientin, die ihm ihre Weiblichkeit in der Position äußerster Hingabe darbietet, das Speculum einsetzt, um etwa den jährlichen Vorsorgeabstrich am Muttermund durchzuführen, überträgt sich in diesem Akt sinnlich unmittelbar das männliche Reinheitsdiktat auf die Frau, gleichsam in Form einer materiell erlebten Projektion. Der Krebs des Gebärmutterhalses, um den es vordergründig dabei geht, ist im hygienischen Sinne eine schmutzige Erkrankung, die durch den sogenannten Liebesakt übertragen wird, in der Mehrzahl der Fälle bei vermehrter Promiskuität. Die Krankheit kann also durchaus auch als Konsequenz, also gerechte Strafe für sexuelle Zügellosigkeit, nämlich Unreinheit betrachtet werden. In der Umwendung (Per-version) zur analerotischen Praxis könnte demnach trotz all ihren Peinlichkeiten ein emanzipatorisches Element enthalten sein. Auch dieser Aspekt dürfte der schlichten mentalen Struktur der Autorin entgangen sein.
Der gesamte Komplex ist in Normalsprache geschmacklich unerträglich. Davor rettet eine Fachsprache, die das Unsägliche sagbar macht, es neutralisiert und das Intime vor der Öffentlichkeit schützt.

Lesen erübrigt sich bei Charlotte Roche aus sprachlichen Gründen, da genügt ein Intimspray, und dafür muß man wahrscheinlich schon dankbar sein. Ihr Werk markiert einen vorläufigen Tiefpunkt ausscheidungsfixierter Pubertätsergießungen, und das will nach den Zumutungen der letzten Jahre wirklich etwas heißen. Das unterbietet so leicht keiner. Falls es doch jemand schafft - die Headhunter von Dumont und Kiepenheuer&Witsch sind sicher längst auf der Pirsch - schlagen wir sie oder ihn schon jetzt für den Preis des Deutschen Buchhandels vor.

Adoleszente aller Länder, bitte melden!

Pater Ralph de Fricassee






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