Anekdote 16
Alles gratis für die Geier
... oder: Ein reiches Ausländerpärchen schenkt einer Tierschutz-Stiftung tausend Hektar Tramuntana
Auf ihren Streifzügen durch Mallorcas Tramuntana-Gebirge wurde die österreichische Naturschützerin Evelyn Tewes auf ein verwunschenes Tal namens Ariant aufmerksam, in dessen Felswänden die Mönchsgeier brüteten. Die Vogelart war vom Aussterben bedroht und Tewes hatte es sich zur Aufgabe gemacht, zum Überleben dieser majestätischen Tiere beizutragen. Dazu war es unerlässlich, ein Rückzugsgebiet zu sichern, denn so riesig und beeindruckend die Geier wirken, so empfindlich reagieren sie auf jede Störung ihrer Brutplätze.
Ein ungestörter Ort auf Mallorca keine leichte Aufgabe auf dieser belebten Ferieninsel. 1982 waren nur noch 20 Mönchsgeier übrig. Doch Tewes und die gefiederten Riesen hatten Glück: Jene unzugängliche Region, in der Naturschützer im Jahr 1986 das letzte Nest eines brütenden Mönchsgeiers entdeckt hatten, war aufgrund des romantischen Engagements eines ausländischen Ehepaars komplett erhalten geblieben. Keine Selbstverständlichkeit, denn als der deutsch-chilenische Agraringenieur Enrique Gildemeister nach Mallorca kam, war das Tal von Ariant bereits für eine groß angelegte Erschließung vorgesehen, war dieser herrliche Winkel in Parzellen unterteilt, wurden bereits Pläne für eine Siedlung gewälzt. Gildemeister kaufte alle Parzellen, legte sie wieder zusammen und betrieb pionierhafte ökologische Landwirtschaft, während seine Frau Heidi Gildemeister einen in Fachkreisen über die Grenzen des Landes hinaus bekannten, modellhaften mediterranen Garten anlegte (sie ist auch Autorin eines Buches über mediterranen Gartenbau).
Von dem ursprünglichen Eigentum waren noch 1.000 Hektar übrig, als 40 Jahre später Gildemeister und seine Frau beschlossen, ihr Paradies herzuschenken. Die Beschenkte hieß Fundació Vida Silvestre en la Mediterrània, also jene Organisation, in deren Dunstkreis auch die Stiftung zum Schutz der Mönchsgeier agiert. Bei dieser Transaktion handelt es sich um eine der größten jemals in Spanien vorgenommenen privaten Schenkungen zugunsten des Naturschutzes.
Zustandegekommen war sie, weil Tewes während ihrer Feldforschungen Bekanntschaft mit den Gildemeisters geschlossen und deren Vertrauen erlangt hatte. Beeindruckt vom Engagement der Österreicherin kaufte ihr das wohlhabende Paar Ausrüstung und ließ Tewes und ihren Begleitern, wenn sie in der Wildnis campierten, Proviant zukommen. Das gute Verhältnis zwischen den Großgrundbesitzern und der Naturschützerin steht auch am Ursprung der beschriebenen Schenkung.
Die Geierschützer konnten ihr Glück kaum fassen, wurden sich jedoch schnell der damit verbundenen Herausforderung bewusst: Um das Tal zu behüten, benötigen sie Geld. Seither organisieren die Aktivisten Exkursionen und verkaufen ökologische Produkte aus dem Tal in Ariant gedeihen Kiwis, Äpfel, Birnen, Spargel und sogar Himbeeren. Biologen haben darüber hinaus alte mallorquinische Obstsorten entdeckt, die als ausgestorben galten, wie zum Beispiel köstliche Speisekirschen.
Den Geiern geht es mittlerweile wieder prächtig, heute leben in der Tramuntana wieder mehr als hundert Exemplare und 14 brütende Paare.
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