Anekdote 101
Wo zum Kuckuck sind die Palmen?
... oder: Wie die Insel in Paris zum Geheimtipp wurde und nicht immer hielt, was sie versprach
Paris stand am Ursprung nicht weniger Reisen, die auf Mallorca ihren endgültigen Zielpunkt fanden. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts galt die Insel als Geheimtipp unter Künstlern und Intellektuellen, mit dem Ergebnis, dass so mancher bei einem Besuch hängen blieb, wie zum Beispiel der Maler Hermenegildo Anglada Camarasa. Das Phänomen fand seine Fortsetzung nach dem Zweiten Weltkrieg, und nun waren es Amerikaner, die Paris oft als Angehörige der Streitkräfte kennengelernt hatten und später als Touristen, Künstler oder Studenten zurückkehrten.
Damals, in den 50er Jahren, zirkulierte in den angesagten Cafés die Nachricht, dass es im Mittelmeer eine Trauminsel gab, die man unbedingt gesehen haben musste. Das erzählte mir Anthony Bonner, ein vielseitiger Kulturschaffender aus New York, der als Übersetzer für die englische Version des Jules-Verne-Romans »20.000 Meilen unter dem Meer« verantwortlich zeichnete und in seiner Wahlheimat als Autor des ersten Pflanzenführers der Balearen zu einer Schlüsselfigur der Naturwissenschaften wurde. Er kam in jener Zeit nach Paris, um Musik zu studieren. Die Metropole war eine der wenigen, die im Krieg keine Zerstörungen erlitten hatte, und wimmelte damals von Amerikanern.
Unter denen, erzählte er, seien »unglaubliche Geschichten« über Mallorca im Umlauf gewesen. Wie billig und romantisch das Leben dort sei. Dass es von manchen Früchten so viel gebe, dass man sie geschenkt bekäme. Einmal hörte Bonner sogar, man könne im Winter Ski fahren, während die Insel im Sommer einem Pazifikparadies gleiche. »Ich malte mir eine Art Tahiti aus.«
1954 brach Bonner dann voller Neugierde und Ungeduld auf, um dieses sagenhafte Eiland mit eigenen Augen zu sehen. Und war furchtbar enttäuscht, denn das Idealbild vom pazifischen Paradies ist von Palmen geprägt, und davon gab es viel zu wenig. Tatsächlich ist die Vegetation an Mallorcas Küste hauptsächlich von Kiefernwäldern und Buschland geprägt.
Ganz so schlecht wird es ihm nicht gefallen haben, denn er reiste nicht ab. Nach einem Monat unternahm er einen Strandausflug bei Paguera. Dort schwamm er einmal weit ins Meer hinaus. Wie er sich dann Richtung Küste umwandte, machte sein Herz einen Hüpfer: Da lag ein paradiesischer Strand mit einer langen Palmenreihe!
Endlich hatte er jenes Mallorca entdeckt, das ihm in Paris beschrieben worden war. Freudig schwamm er auf den Traumstrand zu. Und wurde bitter enttäuscht: Es handelte sich um eine Filmkulisse, die Palmen waren samt und sonders aus Pappe!
Bonner kehrte in seine Heimatstadt New York zurück, aber irgendwie hatte ihn die Insel auf andere Weise in ihren Bann geschlagen und schon kurze Zeit später schlug der Amerikaner sein Quartier für immer in Palma de Mallorca auf.
Logisch, da war die Palme zumindest im Namen drin.
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