Falz Klang
Marina Cvetaeva
„Zu dem Preis der Moskauer Lomonossow-Universität für den besten Vortrag in der Sektion Philologie sei sie rein zufällig gekommen, sagt Ingeborg Jandl schmunzelnd. Eigentlich wollte die 25-jährige Slawistin auf dieser Megakonferenz für Nachwuchswissenschafter während ihres Auslandssemesters in Moskau in erster Linie Kontakte zu russischen Kollegen knüpfen. …
Das Thema entstammte ihrer Magisterarbeit, die kürzlich auch in Buchform erschienen ist: Rhythmik und Lautstrukturen in den Versdramen der russischen Dichterin Marina Zwetajewa. "Ein ziemlich kompliziertes Thema", wie Jandl zugibt. "Aber in der russischen Literaturwissenschaft gibt es eine große Tradition, das Zusammenspiel von Rhythmus, Lautlichkeit und Inhalt eines Textes zu entschlüsseln."
Diese Zusammenhänge seien dem Leser oder Theaterbesucher zwar kaum bewusst, aber sie lenken den Spannungsaufbau und verstärken den emotionalen Gehalt der Dramen. So werde Trauer oft durch eine Häufung des Lautes "o" ausgedrückt, während in Lobgesängen "l", "m", "n" und "i" dominieren. "Die Handlung wird nicht nur erzählt oder szenisch umgesetzt, sondern über Rhythmus und Lautlichkeit auf unbewusstem Weg direkt erfahrbar", erläutert Jandl.
Dass solche Theorien in Russland einen besonders fruchtbaren Boden vorfinden, habe mit der tiefverwurzelten Tradition des Rezitierens zu tun: "Während bei uns kaum noch traditionelle Metren verwendet werden und Lyrik nur von einer kleinen Minderheit gelesen wird, sind die Russen leidenschaftliche Rezitatoren von Gedichten", weiß Ingeborg Jandl von ihren zahlreichen Russlandaufenthalten. "Dort kann praktisch jeder eine Vielzahl von Gedichten auswendig - und das nicht nur in den gebildeten Kreisen" … Der Standard zu einer Magisterarbeit und seine Folgen.
Marina Cvetaeva
Von vier Uhr bis sieben
Im Herz, wie im Spiegel, ein Schatten,
Auch unter den Leuten – alleine geblieben …
Der Tag geht nur langsam von statten
Von vier Uhr bis sieben!
Ich brauch keine Menschen – sie lügen
Und werden grausam bei Dämmerung.
Ich könnte weinen. Zur Schnur
Haben die Finger das Tüchlein gewrungen.
Beleidigst du mich – ich verzeih,
Doch bitt ich, mich nicht zu betrüben!
– Ich spüre unendliche Traurigkeit
Von vier Uhr bis sieben.
Übersetzt von Eric Boerner, nachzulesen auf seiner wunderbar reichhaltigen website illeguan.
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