
Deutsches Schauspielhaus Hamburg REGIE M. Höfermann FOTO Sinje Hasheider
Die Eigenart des Körpers
Immer wenn Premiere ist, schlägt mein Herz so heftig, dass ich mich manchmal wirklich frage, ob man daran sterben kann. Außerdem ist dieser Zustand relativ unbequem, denn der Herzschlag ist laut, und ich habe Schwierigkeiten, den Text der anderen zu verstehen.
Ich denke dann auch immer, das muss man doch von außen sehen, an meinem Kostüm, das muss doch für alle offensichtlich sein.
Aber bis jetzt ist es noch niemandem aufgefallen, keiner hat mich darauf angesprochen. Eigentlich merkwürdig.
Die Kollegen
Ich bin froh, dass ich noch nie alleine auf der Bühne stehen musste für einen 3-stündigen Monolog oder so, ich möchte es auch eigentlich nicht unbedingt.
Die Kollegen sind ja meine Rettung, meine Inspiration und Ablenkung, und sie machen Spaß.
Wenn ich gut drauf bin, dann denke ich während des Spiels oft, jetzt spricht der andere, jetzt gucken alle auf ihn, jetzt kann ich mich mal kurz entspannen.
Das fällt ja bei einem Monolog vollkommen weg.
Die Zuschauer
Ich weiß inzwischen, daß ich unter Adrenalin langsamer spreche, und dass meine Stimme teilweise hochrutscht, deswegen spreche ich etwas schneller an Premieren und ich versuche, meinen Körper zu entspannen, dann kann die Stimme wieder sacken.
Besser eine hohe oder markante Stimme zu haben, als wenn ich nicht zu verstehen wäre, die Zuschauer wollen ja hören, was ich sage, sonst werden sie sauer und steigen aus.
Geht mir übrigens auch so, wenn ich was angucke, ich will gar nicht soviel Gestaltung sehen, ich will den Text verstehen, das ist das A und O.
(Früher führte das dazu, dass ich sehr deutlich gesprochen habe, damit die Zuschauer auch alles mitbekommen. Heute spreche ich gerne Sachen weg, oder lehne mich beim Spiel etwas zurück, dann haben die Zuschauer was zu tun.)
Das Büro
Auf die Bühne kommen ist wie ins Büro kommen. Meistens ist alles wie immer, die Kollegen sind unterschiedlich drauf, kommen irgendwoher angereist, sind müde, überarbeitet, haben Liebeskummer, und dann geht es trotzdem um 19:30 Uhr los, jeder hält seine Verabredungen ein, spricht seinen Text, spielt, und dann entsteht etwas, das außerhalb unseres Einflusses liegt.
Eine Arbeit, die im Kern gelungen ist und rund, die während der Proben stimmig war und gewachsen ist, kann abheben.
Da fängt dann einer an zu spielen, alle spüren die Magie oder die Eigenart des Moments und werden enthoben, die Müdigkeit verschwindet, und der Liebeskummer auch, es findet eine Transformation statt, alle Hirngefängnisse öffnen sich, verwandeln sich, und genau das ist Kunst für mich.
Es gibt auch Arbeiten, die nicht gelungen sind, da kann man alles geben, wirklich alle Register ziehen, es nützt nichts: die Arbeit bleibt am Boden.
Trotzdem kann es sein, dass die Zuschauer sich da was rausziehen, dass ihnen einzelne Momente etwas geben, und deswegen habe ich mir selbst irgendwann einmal ein Versprechen gegeben, so eine Art hippokratischen Eid.
Er besagt grob, dass ich die Zuschauer nie hintergehen darf.
Ich habe Respekt davor, dass da im Zuschauerraum so viele Leute mit ihren ganz eigenen Geschichten sitzen. Was kann ich denen schon vormachen? Und ich versuche, Lust am Spiel zu entwickeln, aber die habe ich eigentlich immer, wenn es erstmal losgegangen ist.
Spielen ist Leben für mich.
Und das wars auch schon.

Foto Martin Höfermann / Peter Hartwig
BIO Angelika Richter. Geboren in Leipzig. 1994 Schauspielstudium in Wien. Ab1996 Burgtheater, ab1998 Thalia Theater, ab 2000 Schauspielhaus Bochum, nach 2005 freischaffend als Theaterschauspielerin in (fast ) allen größeren deutschen Städten. Gedreht. Seit 2015 endlich wieder zurück in Hamburg und fest engagiert am Schauspielhaus.
AKTUELL DeutschesSchauspielhaus Hamburg: Martin Mosebach u.a. „Rotkäppchen und der Wolf“ (R: M. Höfermann), René Pollesch „Probleme, Probleme, Probleme“ (R: R. Pollesch), Anton Tschechow „Ivanov“ (R: K. Beier), nach Thomas Bernhard „Die Übriggebliebenen“ (R: K. Henkel)
LINKS
https://www.schauspielhaus.de/de_DE/ensemble/angelika-richter.8098
https://www.schott-kreutzer.de/schauspielerinfo/angelika-richter