Geschrieben am 16. Oktober 2013 von für Allgemein, Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von und mit Glasser, Mazzy Star, Stacey Kent und Oneohtrix Point Never, gehört von Tina Manske (TM) und Christina Mohr (MO).

glasser_interiorsTanz das Hochhaus

(MO) “Writing About Music Is Like Dancing About Architecture” hat irgendwer (Elvis Costello? Frank Zappa? Laurie Anderson?) mal gesagt, um zu verdeutlichen, wie zwecklos beide Unterfangen sind. Die amerikanische Musikerin Cameron Mesirow a.k.a. Glasser sieht dagegen keine Schwierigkeit darin, ein ganzes Album mit Architekturbezug aufzunehmen: „Interiors“ ist zum einen von der Gebäudestruktur ihrer neuen Heimatstadt New York City geprägt, zum anderen von Rem Koolhaas‘ Buch „Delirious New York“. Mit der EP „Apply“ von 2009 und dem darauffolgenden Album „Ring“ begründete die Tochter eines Blue-Man-Group-Mitglieds und einer New-Wave-Musikerin mit Zola Jesus, Laurel Halo oder Katie Stelmanis/Austra einen neuen Stil, der Gothic-, Folk- und Elektroelemente miteinander verwob; Glassers Stimme wurde wahlweise mit Joni Mitchell, Joanna Newsom oder Björk verglichen.

Wie das Vorgängeralbum zieht „Interiors“ seinen Reiz aus der Kombi gelayerter Gesang/tanzbare Beats, klingt aber insgesamt kühler, distanzierter, „erwachsener“ als „Rings“. Glasser zeigt die Stadt nicht als Moloch, eher als Labyrinth oder Spiegelkabinett, in dem neben State-of-the-Art-Elektronik immer wieder „organische“ Geräusche wie Vogelzwitschern oder das Rauschen von Wasser auftauchen. Die Reibungspunkte zwischen Technik und Natur und der Menschheit dazwischen finden sich auch in den Texten („there´s nothing here but walls, walls, walls…“). Lässt man den architektonischen Überbau beiseite, funktionieren die Tracks trotzdem – Glasser ist popaffin und komponiert catchy Melodien, die den Opener „Shape“ und vor allem das eingängige „Keam Theme“ zu Ohrwürmern machen. Interessant sind die drei Interludes, „Windows“, kurze Soundscapes zwischen den Songs, die Glassers experimentelle Seite zeigen. „Dancing About Architecture“ klappt bei Glasser zumindest partiell.

Glasser: Interiors. Matador/Beggars. Zur Homepage der Band.

mazzystarDas Immergleiche

(MO) Siebzehn Jahre ist es her, dass Mazzy Star ihr letztes Album „Among My Swan“ herausbrachten – eine halbe Ewigkeit. Babies, die 1996 geboren wurden, machen bald Führerschein. Doch Hope Sandoval und David Roback scherten sich noch nie um geschäftliche Gepflogenheiten, das war auch 1990 so, als die beiden ehemaligen Mitglieder der aufgelösten SST-Band Opal sich zu Mazzy Star zusammenschlossen. Ihre Musik war damals denkbar unmodisch: keine Beats, kein Hardrock, keine Synthies. Nur leise, hypnotisierende Melancholie und wunderschöne Traurigkeit des Blues, Alternative Country, Psychedelic, Folk und Postrock; gewoben nur aus Robacks Gitarre und Sandovals Stimme.

Aus dem Stand wurde Mazzy Star kultische Verehrung zuteil, die beiden selbst beförderten ihr Mysterium durch Zurückgezogenheit. Irgendwann hörte man gar nichts mehr von Mazzy Star, Sandoval nahm Soloplatten auf und sang mit The Jesus and Mary Chain. Stil und Sound des Duos wurden hundertfach kopiert, der Einfluss von Mazzy Star ist heute von Lana Del Rey bis Norah Jones nachhörbar. 2009 verkündete Hope Sandoval überraschend, dass eine neue Platte von Mazzy Star so gut wie fertig sei – es dauerte noch weitere vier Jahre bis zur Veröffentlichung, aber jetzt ist sie da: „Seasons Of Your Day“ heißt sie; zehn Stücke sind darauf, die bruchlos an das letzte Album anschließen. Will sagen: Mazzy Star klingen wie Mazzy Star, als existierte der Rest der Welt nicht. Das stimmt natürlich nicht so ganz, immerhin sind Gastmusiker wie Colm O’Ciosoig von My Bloody Valentine dabei und Gitarrist Bert Jansch mit der letzten Aufnahme vor seinem Tod.

Hope Sandovals Texte und Stimme verströmen noch immer nichts als Resignation und Hoffnungslosigkeit und noch immer liebt man sie dafür; genauso wie Robacks Gitarre mit ihrem klagenden Hall. Über „Seasons Of Your Day“ liegt eine ruhige, sakrale Ernsthaftigkeit, die sich interessanterweise als Hintergrundmusik am Besten entfaltet. Auch wenn man von Mazzy Star gewiss keine „Neuerfindung“ erwartet: ein klein wenig ermüdend ist die immergleiche Stimmung schon.

Mazzy Star: Seasons Of Your Day. Rhymes of an Hour Records (Warner).

staceykent_thechanginglightsStacey Kent: The Changing Lights

(TM) Lustig: auf dem Waschzettel zu Stacey Kents neuem Album „The Changing Lights“ werden Termine angegeben, an denen man sie fürs Frühstücksfernsehen buchen kann. Wenn sie also an manchen anderen Tagen nicht grade morgens früh raus will, dann liegt es wahrscheinlich daran, dass ihre Musik dazu verführt, die Nacht bei schwerem Whisky durchzumachen. Bzw. vielleicht doch lieber bei diversen Caipirinhas, denn die großartige Jazz-Vokalistin lebt auf „The Changing Lights“ ihre Liebe zur brasilianischen Musik im allgemeinen und zum Bossa Nova im Speziellen aus. Standards wie Charlie Chaplins „Smile“ beherrscht sie ebenso wie die neuen Kompositionen, die ihr u. a. von ihrem Ehemann Jim Tomlinson auf den Leib geschneidert wurden. Bereits der Opener „This Happy Madness“, eine Adaption von „Estrada Branca“ (Tom Jobim/Vinícius de Moraes), zeigt, wohin die Reise geht: diese fröhliche Melancholie wird sich durch das gesamte Album ziehen.

Stacey Kent: The Changing Lights. Parlophone (Warner).

oneohtrixpointneverWird die Popmusik verändern

(MO) Mangelnden Variantenreichtum kann man Daniel Lopatin nicht vorwerfen: mit seinem Projekt Oneohtrix Point Never schöpft der in Brooklyn lebende Sohn russischer US-Einwanderer alles aus, was die digitale Musiktechnik hergibt. Das neue Album „R Plus Seven“ wird allenthalben als Meisterwerk gefeiert – die Verfasserin dieser Zeilen wird sich diesem Urteil mutmaßlich anschließen, sofern ihr altersschwaches Hirn noch in der Lage ist, die eingeprasselten Eindrücke zu sortieren.

Lopatin wirft alles zusammen, was man schon immer furchtbar fand, drückt ein paar Knöpfe, rührt um, schüttelt – und schon findet man die Mischung aus Enya-artigen Hypno-Gesängen, Michael Cretus Ibiza-Ambientsound und überladenem Postrock und Strobo-Beats fantastisch. Man kann auch „experimentelle Elektronik“ zu dem sagen, was der 31-jährige New Yorker tut, aber damit hat man eben noch nicht ausgedrückt, was Tracks wie „Zebra“ oder „Problem Areas“ mit einem machen. „R Plus Seven“ steuert Empfindungen, das ist klar: Lopatin, der übrigens für die Filmmusik zu Sofia Coppolas „The Bling Ring“ verantwortlich zeichnet, hext wahlweise Euphorie, Überforderung oder maximale Entspannung aus dem Abspielgerät; bevor man sich aber zu sehr an eine Stimmung/einen Sound gewöhnt, zersplittert der Track und führt ganz woanders hin.

Stärker als bei den Vorgängeralben „Rifts“, „Returnal“ und „Replica“ (was mag das „R“ bedeuten – spielt es überhaupt eine RRRolle?) stehen Melodien/Strukturen im Fokus des Lopatin’schen Schaffens, was noch lange nicht heißt, dass man eine Hookline mitpfeifen könnte. So einfach ist es auch wieder nicht. „R Plus Seven“ wird die Popmusik verändern. Es kann nur noch niemand sagen, wie.

Oneohtrix Point Never: R Plus Seven. Warp.

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