Geschrieben am 18. Oktober 2019 von für Actors on Stage, Allgemein, Litmag, News, Specials

Denis Larisch: Was passiert, wenn ich auf die Bühne gehe

Denis Larisch als RICHELIEU in MUSKETIERE! nach Dumas
Staatstheater Mainz REGIE N. Helbling FOTO Andreas Etter

Nehme ich die Premiere, die Probe, die Vorstellung?

Wer bin ich beim Auftritt, inwieweit bin ich jemand anderes?

Bühne und Freiheit? Ein arg zu großes Feld? Möglich.

Kann man darüber reden und schreiben? Umreißen, was offen, allzu offen im Verborgenen liegt. Hinter Sofitte, Hänger, Decker und Kulisse versteckt. Oder seit Jahrhunderten begraben?

Zuschauer? Überraschungen?

Der Ort, der heilige Ort.

Dionysien bedeuten uns die Tradition. Zweitausend Jahre schon.

Bedeutet uns das Brett. Eine Welt? Tausend Welten? Bruch? Wo vollzieht sich die Linie zwischen Draußen und Drinnen? Ab wann beginnt die Magie? Das Feld. Das Labor. Der Ort des Testens. Des Erzählens. Des Staunens. Das abgesteckte Feld. Der Rahmen.

Die Liebe. Der Applaus. Die Zweifel. Der Hänger.

Wo steht der Zirkus?

Draußen vor der Tür oder auf der schlammigen Brache vor dem Neubaugebiet?

Beginnen wir mit dem Elementarsten:

Dem Schritt auf die Bühne. Der Moment. Kein Zurück? Der Sprung ins Wasser. Schon ein mögliches Zurück ergäbe dann ein Spiel. Ergibt eine Spannung, die um Fortsetzung bemüht ist. Und was nun?

Es bleibt auf alle Fälle: Neu. Immer. Jedes Mal. Das bleibt.

Es findet sich das scheinbar Unpassende zum möglicherweise Passenden.

Die Augen, die etwas erwarten, die noch woanders sich befinden. Sich erst finden müssen. Gemeinsam. Die dann eine Geschichte erzählt bekommen wollen. Die sich bestätigt sehen wollen. Von dem allem. Bestätigt, in ihrer Definition. Die dann meist nicht sehr poetisch. Manchmal sehr realistisch, auf alle Fälle: von den Tagen des Seins da draußen, bestätigt von der eigenen Bestätigung.

Aber vielleicht sogar auch eine heimliche Lust auf Störung? Aufreizende Momente, in Dunkelheit erlebt. Einvernehmlich unanständig ein wenig den Grenzpfahl nach Lust verschieben. Bis die anderen Lichter wieder angehen. Und den Reiz wieder in die Seifenblasen drücken. Hinter dem Vorhang.

Bis dahin also: Mögen die Spiele beginnen.

Warum geh ich ins Theater? Was macht den Reiz aus?

Warum stehen die Kulissen da in den Gassen wie die Techniker vom Vormittag, als sie noch aufbauten, was ihnen und uns nicht egal sein kann?

Reden wir lieber vom kollektiven Verschwinden in den Kulissen. Da kenn ich mich aus. Reden wir von etwas nicht Greifbarem.

Moment mal. Jeder Moment braucht eine Leibspeise. Mit Liebe gekocht. Mit Emotion, „wenns bitte noch ein bissel mehr sein darf, die Dame?!“ 

„Gern, wenns gar viel ist, steig ich ein und reise mit.“

Durch den Moment. Von welchem Moment rede ich denn? Der Theorien gibt es gar viele. Meiner Seel’. Und reden wir von hungrigen Augen und all den Texten, die durchgewalkt in Hirn in Herz. Unaufhörlich. Tageintagaus.

Und reden wir von dem, was sich wiederholt in meinem Schädel.

BIS ES SITZT!

Reden wir doch über LIEBE.

Also der Text. Die Premiere. Der Auftritt. Das Licht. Die Zuschauer. Also die Konzeption. Ein erstes Antasten. Aneinander. Hören und sprechen.

Danach Text lernen, emsig und sich hineindenken in ein Konzept. Tag für Tag. Wochenlang. Ausprobieren. Wie das gehen kann. Was da steht. Was da angedacht ist. Was da verhandelt wird. In Worten meist. Ein Wort ergibt das Nächste. Gesprochen wird dann möglichst nicht so viel. Gemacht. Geprobt. Angedacht. Oder zu viel gesprochen. Gemeinsames Ringen um das Wesentliche. Ideenabgleich. Standortbestimmung. Ensemblespiel. Sich gegenseitig abklopfen auf Spieltauglichkeit. Diese Variante ausprobiert und diese und diese und jene.

WITZE DURCHLASSEN UND NICHT AN DIE MÖBEL STOßEN!

Sagt der Fachmann. Der Laie wundert sich und staunt.

Man verschafft sich Platz auf der Bühne. Verdrängung wird das auch genannt. Wer sich bewegt, wird angeschaut. Und wer was sagt. Der sagt auch, was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Armlänge von mir entfernt, der Abgrund der Bedeutungslosigkeit.

Wie sagt man das? Sags einfach. Denk in Bögen. So einfach ist das. Ist das einfach. Nein. Es ist ein „sich Hineinbegeben“. Sich zur Seite stellen. Sich herausnehmen aus dem Spiel, wenn man sich hineinbegibt, ins Spiel.

Sich nach Wochen des Ausprobierens dann wiederfinden in einem anderen Sein, wenns gut läuft, ein Sein, das schon da war, vorher und nachher auch, das dann eben nur jetzt mit dem Eigenen ein neues Eigenes, ein dann aber Fremdes bildet. Nach Wochen. Wenns gut geht.

Ne, is klar, ne?

Die Lichter gehen an und der Vorhang hebt sich.

Die Stille im Raum hebt an, ist zum Greifen nah und ergreift die Sinne, die dann wie von allein mitspielen. Mitdenkenfühlenbewegen.

Das ist die Devise.

MAGIE.

Das Ausprobierte dann wiederholen und wiederholen, damit das Wiederholen ohne ein bewusstes Denken möglich ist. Erst. Im Anfang. Im Rücken die Anspannung über Tage der Endproben. Die Premiere als Fixpunkt. Wenn das erst vorbei ist. Ist es dann vorbei oder fängt es erst an? Die einen sagen so, die andern so.

Hoffentlich sitzt der Text. Der sitzt meistens. Wenn das Hirn noch mitspielt. Nach all dem Alter. 

Und durchgewalkt sind ordentlich die Zeilen und die Bewegungen an Zeilen und Verse, die gesprochen werden wollen, geheftet. Geklammert. Vereint. Mit Leibeskräften.

Kollegen tun dies und sagen das. Ich erwider, behaupte, atme, höre, spreche darauf hin. Schritt für Schritt, Zug um Zug. So lernte man das, was eigentlich offensichtlich ist im Leben, auf der Bühne nochmal. Und verlernte das, was einfach ging, in der Schule der Clowns.

Sagst du das, sag ich dies. Wenn das Ausprobierte, in den Leib Eingravierte sicher genug erscheint, dann ist ein Vergessen des Geprobten möglich und es läuft wie von selbst. Wie am Schnürchen. Das Kind wird geschaukelt.

Der Lappen bleibt oben. Die Stille im Publikum wahrnehmend. Kleinste Bewegungen und Räusperer und Lacher. Die Ohren gespitzt, wie ein Luchs. Nebenher. Klar.

Also der Text. Das Spiel. Sicher. Und dann kann sein, dass ich mich zu hören und zu sehen traue, was da passiert um mich herum. Im Publikum. Auf der Bühne. Und das läuft nebenher. Sich vertrauend.

Licht und Ton von Außen auf Zeichen. Verwandlungen finden statt.

Zeit vergeht. Unaufhaltsam, jedes Mal. Fast immer.

Außergewöhnliches wie Spielabbrüche fanden noch kaum statt. Da muss schon was Gravierendes passieren. Passiert meistens nicht. Passiert meistens das, was schon immer war. Das ist dann auch, wenn schon oft das Gleiche passiert, ist dann oft wie dasselbe und doch anders und manchmal auch wie eine Zeitschleife aus der ich nicht mehr herauskomme. Die 42. Vorstellung „Die Physiker“. Eine Stunde warten im Plastikpavillon. Die Antwort auf alles?

Das Licht, der Ton, der Vorhang. Die Betonungen wie immer des Kollegen oder dann doch heute auch anders. Huch?! Und dann meine Replik darauf. Mein Kampf um jedes Wort, um die gesetzte Pause, das genaue Timing des Witzes oder einfach nur: was sagt der Satz. Was wollte Autor, Regie? Was bedeutet mir der Satz? Wohin geht die Reise? Welche Szene folgt der nächsten? Und kann der nächste Satz da helfen zu etwas? Wo versteckt sich der Drehpunkt? Variationen bestimmen das immer Gleiche. Kann ich dann noch was Neues hineindenken? Weiß ich, was ich da sage? Und was will ich damit eigentlich sagen, ausdrücken. Da beginnt der Spaß: und hört, wenns gut ist, nicht auf.

Wie zeige ich meine Traurigkeit und mein Lachen?

DON´T PLAY IT; SAY IT.

Sagt man in Fachkreisen. Macht vieles einfacher. Verhindert rumhirnen. Oder: say und play was ganz anderes. Und dann beginnt da ein Geheimnis: warum lacht der Mensch, wenn er traurig sein sollte. Warum hebt sie das Bein, wenn sie sagt: „Ich habe so eine Sehnsucht?“

Das ist dann meist während der Vorstellungen für mich nicht mehr zu ändern. Diese Dinge, grundstrukturell, geben der Szene, eine Richtung, die nur in den Proben anbeschritten werden kann. Veränderbar sind später nur Nuancen. Der Rest obliegt der Deutungshoheit und der Endabnahme des Regieteams.

Da gibt es ja auch Klagen und richterliche Beschlüsse und Anhörungen, wenn man was verändert, eigensinnig, was vorher so nicht besprochen, abgesegnet war. Das zerstört dann das künstlerische Gesamtkonzept. Wenn die Spielerin, der Spieler versuchen etwas andersneuundeigen zu denken.

Doch das führt zu weit.

Hier auch.

Bleibt die Grundfrage: bin ich ein Künstler?

Freiheit ist ja auch immer ein Thema. Je enger die Grenzen, die einem gegeben werden, desto größer die Freiheit des Gestaltens? Hilft mir der Rahmen, frei zu sein? Hilft mir die Freiheit im Rahmen zu bleiben? Im Vorgegebenen, meist ca. 10 Meter breiten und 15 Meter tiefen Raumrahmen? Wer bin ich in diesem Verwirrspiel? Einfach nur ich? Gibt er mir Schutz? Vor dem echten Leben da draußen. Das in echt bunt ist? Und nicht nur erleuchtetes Schwarz?

Und da sind wir dermaßen im sogenannten Philosophischen, dass das diesen Rahmen sprengen würde. Klar. Bin ja kein Philosoph.

Nur soviel: ja.

Alles ist da eben möglich.

Fragen einfach mit „Ja“ beantworten und das Spiel geht weiter.

Dann der Text, das Licht. Die Kollegen. Die Zuschauer. Ein bis vier Stunden etwas darstellen. Eine Reise in eine andere Welt. Die ihre Definitionen hat. Vergessen möglichst die Stunden außerhalb. Das ist manchmal auch besser so.

Und immer wieder ein Kampf, ein Bemühen, ein Streben nach Freiheit. Größtmöglicher Freiheit:

Wie gelassen kann ich das Spielen lassen und mich leicht vergessen hingeben?

Fühl ich mich sicher und mein ich zu kennen, was passiert oder passiert was, was neu und unbedacht, was die Fühler aufrichtet, was die Sinne schärft? Kurz ein Verhaspler an einer sonst so sicheren Stelle, ein Kollege lässt was aus, die eigne Stimme intoniert ungewollt nach oben, statt nach unten. Und dergleichen.

„Was für ein Knochenjob“ höre ich. Bezahlung und Zeiten und Sozialleben, alles nicht so rosig meist und oft beschrieben.

„Dauernd diese Wiederholungen.“

„Da auf der Bühne stehen, könnte ich nicht.“

„Wie machst du das mit dem Text und würdest du dich ausziehen auf der Bühne?“

„Was machst du tagsüber?“

Und so…

Ach so.

Achwas!

Reden wir einfach über Liebe.

Das kann es sein.

Im schönsten Falle zu sich. Auf alle Fälle zum Mensch. Zum Leben. Zur Liebe an sich.

Zuschauer, Darsteller und Mitarbeiter begegnen sich in einem Raum, um dem nachzuspüren, was uns am Leben leben, leiden, freuen lässt. Trotz allem. Gerade wegen all der Vergänglichkeit um uns herum.

Und so schließen wir ganz unpostdramatisch: jedoch mit durchdringendem, groß vorgetragenem Pathos. Macht heut eh keiner mehr.

Aber Eindruck.

Ab.

Vorhang.

Licht.

DENIS LARISCH
Foto Jens Dörre


BIO Denis Larisch wurde 1977 in Leipzig geboren. Er absolvierte sein Schauspielstudium an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig und erhielt zudem eine praxisnahe Ausbildung am Deutschen Nationaltheater Weimar. Mit Beginn der Spielzeit 2002/03 war er festes Ensemblemitglied am Theater Erlangen, wo er 2006/07 mit dem Preis des Fördervereins des Theater Erlangen ausgezeichnet wurde. Seit der Spielzeit 2006/07 war Denis Larisch festes Ensemblemitglied am Oldenburgischen Staatstheater, bevor er zur Spielzeit 2014/15 ans Staatstheater Mainz wechselte, wo er seither spielt.

AKTUELL Staatstheater Mainz: Ödön von Horvath „Geschichten aus dem Wienerwald“ (R. K.D.Schmidt) Ramstein Airbase, Game of Drones, Projekt (R: Jan-Christoph Gockel), Susan Crossan „Die Sprache des Wassers“ (R. Aslı Kışlal)

COMING Staatstheater Mainz: Nina Segal „Nachts (bevor die Sonne aufgeht)“ (R: Simone Glatt)

LINKS
http://www.staatstheater-mainz.com/web/menschen/schauspieler/denis-larisch

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