Geschrieben am 18. Oktober 2019 von für Actors on Stage, Allgemein, Litmag, News, Specials

Mareike Sedl: Hast du Lampenfieber?

Mareike Sedl in „Nacht des Leguans“ Akademie Theater Wien
REGIE Peter Zadek FOTO Roswitha Hecke

Eine der ersten Fragen, die einem Schauspieler gestellt werden, ist: „Hast du Lampenfieber?“ Früher konnte ich mit dieser Frage oft nicht so richtig was anfangen: „Ja schon, irgendwie, aber na ja Fieber, mmh, weiß auch nicht“. Ich saß verwundert mit meinen 25 Jahren neben gestandenen sechzigjährigen Kolleginnen in der Maske am Burgtheater und sie zitterten und sagten: „Das wird immer schlimmer, das mit dem Lampenfieber, ich halt das nicht mehr aus.“ Heute erinnere ich mich oft daran, weil: Das mit dem Lampenfieber wird echt immer schlimmer! Vielleicht ist das so, weil man, z.B. auf einem Gastspiel in einem kleinen Theater, schon einmal mitten im Stück in den Zuschauerraum geschaut hat und erstaunt war über die vielen leuchtend grünen Notausgangschilder, sie am liebsten gezählt hätte und über diesen Gedanken den Text vergessen hat. Boom, nichts mehr da. Das Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Blick zur Kollegin: sie sagt nichts. Blick zu den dämlichen grünen Lämpchen: die helfen auch nicht weiter. Blick in die Dunkelheit zu den Zuschauern in ihren roten Sesseln: haben sie schon was gemerkt? Da, ein Husten! Der Text: weg.

Bei so einem Blackout dehnt sich die Zeit ähnlich wie bei einem Unfall, Zehntelsekunden werden zu elend langen Minuten und man denkt: „Ich weiß den Text – äh nein, doch, doch, der fängt doch mit denselben Worten an, Mist, steht aber im Textbuch eine halbe Seite weiter unten. Kann ich den trotzdem sagen? Wieviel geht an Inhalt verloren? Vertretbar? O.K. ruhig bleiben. Wie geht der richtige Text? Nein, nichts, also mit dem „falschen“ Text weiter.“ Und zack, das Stück läuft wieder. Jetzt nicht weiter darüber nachdenken, sonst riskiert man einen weiteren Blackout. Nach dem Applaus ist fast alles wieder gut. Man entschuldigt sich bei den Kollegen: „Ja, kann passieren, nicht so schlimm, kommt vor.“ Tja, es gibt immer ein erstes Mal und danach ist es nicht mehr wie davor.

Das Schönste an diesem Beruf ist das genaue Gegenteil. Es gibt Momente auf der Bühne, da fühlt man sich völlig frei, verbunden mit seinen Kollegen und dem Publikum. Diese Momente sind frei von Angst und strahlen eine Sicherheit aus. Es könnte alles passieren, und gerade dass alles passieren kann, alles möglich ist, bedeutet Freiheit. Auch hier ist die Realität verschoben. Das eigene Ich spielt keine Rolle mehr, man ist die Rolle geworden und handelt aus ihr heraus. Diese Momente können süchtig machen.

Spielen ist vielleicht am ehesten mit dem Spielen aus der Kindheit zu vergleichen. Jeder kennt die Situation: Man spielt z.B. Cowboy und Indianer und ein Kind bestimmt permanent die Regeln: „Jetzt macht der Indianer das, jetzt sagt er jenes“. Das unterbricht das Spiel und so ist es auch im Theater, wenn ein Regisseur ständig sagt: „Jetzt geht der Cowboy an die Rampe oder an der Stelle wird der Cowboy laut“. Wenn aber Indianer und Cowboy sich treffen und einfach Cowboy und Indianer spielen und unten Zuschauer sitzen, kann das sehr viel Spaß machen, ihnen wie auch uns, und dann kann die Theatersucht entstehen.

Jeder hat so seine Rituale im Theater. Ich habe mal eine Schauspielerin getroffen, die hat ihre kleine Marienstatue vor der Vorstellung auf die Bühne genommen, geküsst und kniend ein stilles Gebet gesprochen. Ich begrüße während des Stücks, wenn ich das erste Mal auf die Bühne komme, immer zuallererst die Zuschauer, ich sage in Gedanken: „Hallo, schön, dass ihr alle da seid.“ Schließlich gelingt eine Vorstellung nur mit den Zuschauern. Es ist immer ein Austausch mit Ihnen, ein freies Fluoreszieren von Energien.

MAREIKE SEDL
Foto
Hans Kraxner


BIO Mareike Sedl. Geboren in Erfurt. Studium an der »Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch« in Berlin. Von 2001 bis 2010 Engagement am Wiener Burgtheater. 2001 ausgezeichnet mit dem Nestroypreis »Bester Nachwuchs« für die Rolle das Mädchen in Klaus Michael Grübers Inszenierung Roberto Zucco. Ab 2010 Arbeit als freie Schauspielerin in Zürich und Wien. Von 2012 bis 2015 festes Ensemblemitglied am Theater Basel und seit 2015 frei, mit Arbeiten u.a. am Schauspiel Hannover.

AKTUELL Theater Kanton Zürich, „Zwingli Roadshow“ (R: N. Helbling)

LINKS
https://de.wikipedia.org/wiki/Mareike_Sedl
https://showreel.castforward.de/mareike-sedl

Tags : , , , , , , ,