Geschrieben am 1. April 2020 von für Allgemein, Crimemag, CrimeMag April 2020

Ute Cohen zu Daniel-Pascal Zorn: „Das Geheimnis der Gewalt“

Die Stunde des Scharlatans

Man könnte es auch „Die Farben der Gewalt“ nennen, Daniel-Pascal Zorns Buch „Das Geheimnis der Gewalt“ Es ist die philosophische Version von Guillaume Apollinaires Gedicht „Désir“: „Nuit violente et violette et sombre et pleine d’or par moments Nuits des hommes seulement“ (Gewaltsame Nacht, violett und dunkel, gülden auch in manchem Augenblick/die Nacht des Menschen nur). Zorn, Philosoph und Logiker, der gestrenge Facebook-Meister, der nicht selten dem ein oder anderen gedankliche Unzulänglichkeiten bewusst macht, erweist sich in diesem bei Klett-Cotta erschienenen Band als brillanter Essayist, der dem schillernden, undurchsichtigen Phänomen der Gewalt auf die Schliche kommt. Es ist ein tastender Versuch, ein Umzingeln, Umgarnen auch, das sich von den gängigen Besprechungsweisen von Gewalt grundlegend unterscheidet. In die Irre führen lassen sollte man sich jedoch nicht, auch wenn Zorns anekdotisches, mindmap-artiges Schreiben diese Gefahr mit sich bringen könnte. Fixiert man jedoch die beiden Grundbegriffe während der Lektüre, Geheimnis und Gewalt, erkennt man schnell, dass Zorn in den Kern des Problems vorstößt, in die Tiefen und Untiefen des Menschlichen.

Was aber passiert, wenn wir getrieben sind von der Sehnsucht nach Wahrheit und zugleich die beruhigende Aussicht auf ein Ende begehren? Dann, so Zorn, schlägt die Stunde des Scharlatans. Im Kapitel über Täuschungen und Getäuschte zeigt sich die Besonderheit von Zorns Ansatz: Wie sehr vermag sich die Gewalt zu camouflieren, wenn es ihr sogar gelingt, sich selbst in einem verschwörerischen Spiel aus Selbstverletzung und Wohltat lieb Kind zu machen? Scharlatanerie entlarvt Zorn als eine besonders vertrackte Form von Gewalt. Unsere Assoziation mit Felix Krull, Wunderwasser-Verkäufern und anderen Heilsbringern greift zu kurz, denn Scharlatanerie ist „ein höchst risikoreiches Investitionsgeschäft, für beide Seiten.“ Diese Win-Win-Situation in Gewaltkonstellationen ist das eigentlich Provokative in Zorns Reflexionen. Es lässt Täter-Opfer-Verbindungen in einem neuen, komplexen Licht erscheinen: „Der Scharlatan gibt seinem Opfer Sicherheit und dieses gibt ihm wiederum das Vertrauen, das diese Sicherheit gewährleistet.“ Will man die fatalen Verstrickungen in Gewaltsituationen aufdröseln, muss man sich das Bedürfnis des Opfers und die Spiegelung des Wunsches nach Sicherheit vornehmen. Wir müssen uns schulen im aristotelischen guten Leben und Klarsicht gewinnen auf ein Leben in Wahrheit. In praxi heißt das: Du kannst nicht alles haben oder wie die Franzosen zu sagen pflegen: Du kannst nicht die Butter und das Geld für die Butter haben, und am besten noch die Milchkuh dazu. Bestimmte Formen der Gewalt lassen Raum für Entscheidungen, die man dann aber mit allen auch schmerzhaften Konsequenzen zu tragen hat. Dass diese wiederum einen Rattenschwanz an Gewalt mit sich ziehen, ist die Crux des Sujets. Die Befreiung von Mephistopheles bleibt nicht weniger folgenlos als der Pakt mit dem Teufel.  

Findet man sich mit der Folgenhaftigkeit von Gewaltsituationen erst einmal ab, gibt es doch Strategien der Überwindung. Zorn zeigt, dass diese auch in der Wiederholung liegen kann: „der Versuch der Psyche, das Traumatische ständig zu wiederholen, um so die erfahrene Gewalt nachträglich einzuholen – all das gehorcht der gleichen Gesetzmäßigkeit. Das Unbekannte, Verborgene, Geheimnisvolle wird durch etwas ersetzt, das bekannt ist und so Sicherheit vermittelt.“

Zorns Buch lockt uns in das Universum des Uneindeutigen. In diesem aber herrschen sowohl die Stimme der Vernunft als auch das Begehren. Beide mögen Gegner sein, doch umschlingen und durchdringen sie sich auch.

Gewalt taucht auf, sobald sich ihr eine Gelegenheit bietet. Gelegenheit macht Diebe und erzeugt Gewalt. Wissen wir das, haben wir zumindest eine Chance, Gewalt schachmatt zu setzen, denn: „Das Geheimnis der Gewalt liegt darin, dass wir sie zu einem Geheimnis machen.“ Und zu guter Letzt: „Das Geheimnis der Gewalt – sind wir.“ Wir aber sind handelnde Wesen, die in Kenntnis der eigenen Motive und der Umstände handeln können. Das aber ist eine viel größere Herausforderung, als mit dem Vorwurf der Gewalt zu hantieren, um das eigene gewaltsame Handeln zu verschleiern. Im Spiel der Gewalt geht es nicht um alles oder nichts. Es geht um Skalierungen. Zorns „ethischen Komparativ“ zu beherzigen wird uns einiges abverlangen, aber vieles auch ermöglichen.

Zorn macht uns die Bedingtheit von Gewalt bewusst und zeigt Schattierungen auf, semantische Farbtupfer, die aus Violence und Violette gepinselt werden. Gewalt gewinnt bei Zorn gar eine gewisse Schönheit, nicht im Sinne von etwas Bewunderns-und Begehrenswerten, wohl aber von etwas Entrücktem, Poetischem, das uns erfasst, begreift und in uns dringt. „Das Geheimnis der Gewalt“ ist nichts für Schwarz-Weiß-Denker, Erleuchtung und Erlösung jedoch für alle Liebhaber der Polychromie und des Menschlichen, allzu Menschlichen!

  • Daniel Pascal-Zorn: Das Geheimnis der Gewalt. Warum wir ihr nicht entkommen und was wir trotzdem dagegen tun können. Klett-Cotta 2019. 198 Seiten. 20 Euro.

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