Geschrieben am 9. August 2007 von für Allgemein, Kolumnen und Themen

Viva il morto!

Ein Lob auf die italienische ‚Nekrologie’

Von Carl Wilhelm Macke

Scheinbar ist das Urteil eindeutig: die italienischen Medien sind verkommen, verrottet, korrupt und gehören sowieso alle Berlusconi. Über die Qualität des italienischen Fernsehens kann man sich tatsächlich kaum noch streiten. Die staatliche RAI, wenn auch nicht, wie in Deutschland oft einfach behauptet wird, zum Berlusconi-Konzern gehörend, hat sich dem Niveau der Privatsender in fast allen Sendeprogrammen erschreckend angenähert. Wer die Nachrichtensendungen („Telegiornale“) verfolgen will, muß sich auf eine wirre Bilderjagd einstellen, deren Zusammenhänge niemand versteht. Und es werden unentwegt dieselben Politikerköpfe präsentiert, die immer dieselben Phrasen von sich geben, denen zuzuhören den meisten Italiener so schwerfällt.

Nachdem es auch der Regierung Prodi nicht geschafft hat, dem ‚Berlusconismus’ eine überzeugende Alternative entgegezusetzen, hat sich die politische Verdrossenheit in Italien wie ein nicht zu löschender Flächenbrand ausgebreitet. Und durch die Niveaulosigkeit des Fernsehens wird diese Zerstörung der politischen Kultur täglich weitergetrieben. Auch die Printmedien gehören – entgegen einem auch in kritischen deutschen Intellektuellenkreisen weit verbreitetem Vorurteil – längst nicht alle zum „Imperium Berlusconi’. Keine vier führenden nationalen Tageszeitungen gehört direkt oder mehrheitlich dem Finivest-Konzern (sprich Berlusconi), allerdings gibt es auch bei ihnen direkte wirtschaftliche Abhängigkeiten zu großen Unternehmensgruppen. ‚La Stampa’ (Turin) ist die ‚Hauszeitung des FIAT-Konzerns, aber abgesehen davon, bezweifelt niemand ihre journalistische Unabhängigkeit. „Il Sole 24 ore“ steht dem Unternehmerverband nahe, leistet sich aber eine ausgezeichnete Kulturbeilage am Sonntag, die weit über dem Niveau der Wochenendbeilagen deutschsprachiger Tageszeitungen (einschließlich der NZZ) liegt. In offener Gegnerschaft zur politischen Rechten um Berlusconi und der katholischen Bischofskonferenz steht die römische ‚La Repubblica“, deren Boulevardisierung aber unaufhaltsam zu sein scheint. Der traditionsreiche mailänder „Corriere della Sera“ wird hingegen ständig von mächtigen konservativen Interessen umlagert, die versuchen, die Redaktion zu instrumentalisieren. Aber ‚korrupt und verkommen’ ist auch der ‚Corriere della Sera“ – noch – nicht.

Es gibt aber Ereignisse im kulturellen Leben des Landes, da scheinen alle Tageszeitungsredaktionen durch eine geheime Absprache miteinander verbunden zu sein. Stirbt einer der großen Repräsentanten der zeitgenössischen italienischen Kultur, werden ihm und seinem Werk selbstverständlich immer mehrere Seiten gewidmet. Jüngst konnte man wieder staunend zur Kenntnis nehmen, was ein mit seinen Filmen keineswegs populärer Regisseur wie Michaelangelo Antonioni den Zeitungen bedeutet hat. Auf mehreren Seiten wurden in allen nationalen ‚Großzeitungen’ das Leben, die einzelnen Filme, die engsten Freunde, die internationalen Stimmen bis hin zu bewegenden Dokumente aus den letzten Tagen des Verstorbenen präsentiert. Wie schon bei Pasolini, Visconti oder Fellini konnte man auch anläßlich des Todes von Antonioni als außenstehender Deutscher nicht ohne Neid registrieren, was einmal öffentliche Achtung und Wertschätzung künstlerischer Arbeit bedeutet hat. Da vergißt man dann sogar, wie sehr – auch in Italien – im Alltag Kunstförderungen, Subventionen für das Theater, für das Kino, für die klassische Musik, für den Erhalt der unendlich vielen Denkmäler gestrichen werden. Wie sehr in diesem Land Landschaften und städtischen Kunstwerke gnadenlos den Profitinteressen untergeordnet wird. Egal – wenigstens für einen Tag scheinen diese Baustellen der Kulturzerstörung dann stillzustehen und ein Land hört zu oder liest in den Nachrufen, was ihm „die Toten, die vergessenen sagen“ (Giacomo Leopardi). Viva il morto!

Carl Wilhelm Macke