
Hardcore-Kapitalismus
Dieses Buch geht einem lange nicht aus dem Kopf, es ist alles andere als Ex-und-Hopp. In den Corona-Fluten ist es leider ziemlich unbeachtet geblieben, kaum ein Feuilleton hat sich bisher für den Roman „Poor Dogs“ von Ute Cohen aus dem feinen Wiener Septime-Verlag Zeit genommen. Das Buch schillert, es ist nicht ganz einfach zu klassifizieren. Es ist ein Wirtschafts- und ein Gesellschaftsroman, ein Thriller und ein Noir, ein lasziv funkelnder Diamant – ein sehr sinnliches Buch. Ein schwarzherziger Liebesroman aus der kapitalistischen Hölle.
Das Buch erzählt von kleinen und großen Verbrechen, vermeidet Klischees, öffnet Falltüren. Eigenständig ist es auch noch innerhalb des weiblichen Diskurses, hier wird es ein abgründiger Roman über die Entfremdung einer Mutter vom Muttersein und über ein Opfer mit ambivalenten Anteilen der „Freiwilligkeit“. Und wo gab es schon einen Mordanschlag per Überdosierung von Fruchtbarkeitshormonen?
In drei Kapiteln erzählt Ute Cohen die Geschichte von André und Eva. Er ist ein sephardischer Jude aus Frankreich, Eva eine Katholikin aus Bayern, sie lernen sich in einer amerikanischen Unternehmensberatung kennen. Beiden erscheint die Welt der Finanzen als eine Chance, der eigenen beschränkten Herkunft zu entkommen und hochfliegende Pläne zu verwirklichen. Dass ihre Liebe von Anfang an vergiftet, von Zweckmäßigkeitsdenken überschattet ist, wollen sie sich nicht eingestehen. Liebe ist eine Worthülse, die je nach Bedarf mit neuem Inhalt gefüllt wird.
In einer Welt der scheinbar grenzenlosen Möglichkeiten – einmal schwebt da sogar ein Werbezeppelin mit der Aufschrift „The World is Yours“ – verlieren beide ihre Haftung. Während André an seinen Ansprüchen scheitert und in Größenwahn abdriftet, klammert sich Eva an die Fiktion der Liebe. Gefühle versickern in diesem System, das zwischenmenschliche Beziehungen seuchengleich durchdringt: Für André ist Leben Business, für Gefühle hat er eine Gedichtsammlung auf dem Laptop und für alles eine Matrix.
Alles unterliegt der Kosten-Nutzen-Rechnung, das ganze Leben wird zum Business, mit Portfolio-Techniken im Griff gehalten. Zitat: „Sex war auch nichts anderes als Körperpflege mit einem mal mehr, mal weniger brauchbaren Mittel.“ Oder: „Drei Frauen, drei Funktionen, drei Wege zum Erfolg.“ Die (bei ursprünglich einmal bei Boston Consulting entwickelte) Portfolio-Technik, mit der die Beraterbranche so gerne hantiert, stülpt einer wie André über das ganze Leben, das nur nur Stars, Cash Cows, Question Marks, Poor Dogs kennt; in diese vier Kategorien zerlegen Unternehmensberater die Produkte oder Geschäftseinheiten eines Unternehmens. Der Lebensweg einer solchen Einheit verläuft in dieser Welt vom Question Mark über Star und Cash Cow zum Poor Dog – vom Nachwuchsprodukt zum Performer und schließlich zum Auslaufprodukt mit negativem Deckungsbetrag, das besser schnellstmöglich aus dem Portfolio genommen wird. Das vornehme Wort dafür lautet dann Desinvestitionsstrategie.
Eva wird zu einer Last, von der sich André ohne jede Rücksicht befreien will. Nach einem euphorischen Ehebeginn führen sein finanzielles Fiasko und Evas Depression zu einer Spirale der Vernichtung. Betrug und Tod sind die Kollateralschäden der Gier nach Geld und Status. „Poor Dogs“ ist ein sehr schwarzer, sehr eleganter, origineller und überraschend sinnlicher Psychothriller aus der Welt der Unternehmensberatung, vollgesogen mit Realität. Mondän, cool, lakonisch und böse. Dicht, eigen, weltläufig und faszinierend. Gleichzeitig ganz kalt und heiß erzählt. Und auch ein Beziehungsthriller: euphorischer Ehebeginn, Depression, Stress, Streit, Psychokrieg, Liebesentzug, Betrug, geplanter Mord, neue Allianz, neues Komplott.
Hysterie und Eis, Kälte und schneidende Schärfe bestimmen den Erzählton. Die geschliffenen Dialoge sind ein Vergnügen, haben immer wieder die Qualität von Screwball Comedy. Erzählt wird aus zwei wechselnden Perspektiven – André und Eva. Die Erzählung macht zum Mitwisser. Das stellt vor moralisch schwierige Fragen. Der Frankfurter Schriftsteller Jamal Tuschick – einer der wenigen, die sich bisher mit diesem Roman beschäftigt haben – hat sich darüber mit der Autorin sehr interessante Wortgefechte geliefert. Nachzulesen bei „Textland“ und mit den entsprechenden Suchbegriffen im Internet.
Ute Cohen macht das Private politisch. Sie gewährt einen seltenen Einblick in eine ziemlich verschlossene, von Stereotypen umstellte Welt. Sie ist „dort“ gewesen, sie kennt das von ihr beschriebene Milieu, der Zynismus der Beraterbranche ist ihr vertraut.
Mit Markenkleidung, mondänen und feinen Restaurant, Bars, Hotels, europäischen Metropolen und dem Leben der Schönen und Reichen hantiert Ute Cohen ebenso souverän wie mit dem kulturellen Kontext. Sie kennt ihren Bataille („sein Geschwätz über Urin und Eiweiß“) ebenso wie die richtigen Stellen bei Balzac („Geld ist Leben. Vermögen bedeutet alles.“), setzt Filmzitate ein (etwa Toni Montana in „Scarface“) und Songtexte („I’m so special, so special…“), Frauenängste und Männerhybris. Eva hat eine unbekannte Wurmspezies im Leib – Parasiten, die wie Jack Nichsolson aus der Türöffnung schauen.
Seit der Finanz-und Wirtschaftskrise von 2008 ist ein, wenn auch nur in Spurenelementen messbarer Anstieg literarischer Auseinandersetzungen mit den Mechanismen der Geschäftswelt zu verzeichnen. So wie Ute Cohen erzählt davon niemand. Sie ist dort gewesen. Sie kennt das Milieu. Sie weiß, was es aus Menschen macht. Wie ihr Erstlingsroman „Satans Spielfeld“ ist auch „Poor Dogs“ mit eigener Erfahrung gesättigt, ist literarische Verarbeitung autobiografischen Erlebens, dies aber metafiktional reflektiert, alles andere als larmoyante Betroffenheitsprosa.
Immer noch lächeln muss ich über den Anfang, wo ein Ehebruch mit den Mitteln der Beratungsbranche in den Griff genommen wird: „Wir machen jetzt ein Meeting.“ Frau, Mann und Geliebte treffen sich in einem Konferenzraum, tragen es aus. Von: „Ich schlage vor, wir denken alle über eine einvernehmliche Lösung nach“ bis „Sie können gehen. Danke für das Gespräch.“
Ute Cohen, Jahrgang 1966, lebt als Autorin und Kommunikationsberaterin in Berlin. Sie schreibt für Séparée, die Wochenzeitung „der Freitag“, die „Jüdische Allgemeine“ und für das Online-Magazin CulturMag. Ihre Romane schwelen nach. Man vergisst sie nicht.
- Ute Cohen: Poor Dogs. Septime Verlag, Wien 2020. Hardcover, 240 Seiten, 22,90 Euro.