Geschrieben am 26. Oktober 2013 von für Crimemag, Porträts / Interviews

Alf Mayers Begegnung mit Jim Nisbet

Jim Nisbet, San Francisco, 2010photographed by David Liittschwager

Fucking great

– Warum treibt man sich eigentlich auf der Frankfurter Buchmesse rum, diesem gigantischen Kegelausflug der Branche? Um Leute zu treffen, natürlich, alles andere ist, genauer betrachtet, Fidelwipp. Alf Mayer zum Beispiel hat Jim Nisbet getroffen …

Buchmesse, Halle 4.1, Stand F 67, nettes Gespräch mit Marilena Savino vom Alexander Verlag, der Stand ist mir jedes Jahr eine Freude wegen der stetig wachsenden Ross-Thomas-Neuausgabe. Hier übrigens, sagt Frau Savino irgendwann, das ist Jim Nisbet. Die rechte Boxring-Ecke des Standes gehört Frank Nowatzkis Pulp Master Verlag, und da sitzt ein grauhaarig kerniger Typ, Jeans und Jeanshemd. Tatsächlich Jim Nisbet. Irgendwie sprudelt er gleich, und immer mehr, weil ich ihn nach Dennis McMillan frage, wo der denn stecke, dieser verrückte Verleger, der Willeford, Frederic Brown, Kent Harrington und Kent Anderson, Leigh Brackett, zwanzig Noir-Meister mehr gemacht hat, in teils heute hochgehandelten Kleinauflagen. (Ich habe je eins der 400 signierten Willeford-Schätze „Everybody’s Metamorphis“ und „New Forms of Ugly“.)

Nisbet_Welcome to Frankfurt ResizedViel „man!“ und „fuck“ und „fucking“, „great“ und „fucking great“ in Nisbets Sätzen, ein paar Leute schauen verwundert. Fucking egal, es macht Spass, mit diesem Kerl zu reden. Wie er erzählt, wie geil es war, mit Dennis McMillan in dessen altem Cadillac quer durch die USA zu touren. Wie der Figaro ihn gerade gebeten habe, doch was über Paris zu schreiben, er sei gerade mal wieder da gewesen und fahre morgen wieder hin. Weißt du, worüber ich schreiben werde, fragt er: Vietnam, General Võ Nguyên Giáp, 102 Jahre, gerade gestorben, der militärische Führer der Vietkong. Hat sie alle überlebt. „A tough old fucker. I fucking admire him.“ Wie er auf seinen US-Verleger schimpft, Peter Mayer von Overlook. Wie ich meine Visitenkarte zücke und sage, ich bin sein Neffe. Wie sein Mund offen bleibt und ich sage, war nur ein Scherz. Wie er schallend lacht und mir seine Zimmermannspranke auf die Schulter haut. He’s an asshole anyway, schimpft er auf die vielen Satzfehler in seinen Overlook-Ausgaben. Fängt von Frankreich an zu schwärmen, wie sie da mit ihm umgehen. Sein dickstes und ihm wichtigstes Buch, „Windward Passage“, dort übersetzt als Traversée vent debout, aber astrein, und zudem für den Grand Prix de Littérature Policier nominiert. Fucking great. Ja, es sei ihm klar, dass das für Frank Nowatzki ein zu dicker Brocken sei. 448 Seiten im Original, verrückte Sprache, vermutlich 800 in der Übersetzung. No fucking way, man.

Und dann Sterling Hayden … und sein „Voyage“ …

Voyage_Hayden

Irgendwie kommen wir auf das eine Buch, das man auf die Insel mitnimmt. You first, sagt er. Und wieder die Pranke, zweimal, weil ich „Moby Dick“ sage. Zehn Minuten schwärmen, dazwischen wie es wäre, wenn man ihm – um es eine Nummer kleiner zu machen – die Adaption einer Faulkner-Novelle anböte. „As I Lay Dying“ zum Beispiel, da würde er erst mal zwei Jahre nachdenken, flucht er. Fucking great book. Plötzlich sind wir in der Südsee. „Wanderer“ sagt er, ich „Sterling Hayden“. Erzähle ihm, dass ein Freund vor 30 Jahren einen Dokfilm über ihn gemacht hat. Hayden war damals 65, lebte auf einem Hausboot in Frankreich, sie hatten Geld für vier Tage Dreh an der Doubs. Er war jede Minute davon besoffen, aber redet im Film mit der Klarheit eines Erzengels. Unglaublich, wie er da sitzt mit seinem gewaltigen Bart, barfuß, zugedröhnt, ein Prophet. Ein König ohne Untertanen. „Leuchttum des Chaos“ heißt der Film, Pharos of Chaos. Dann kommt der Moment, wo wir beide ruhiger werden und uns setzen. Weil wir jetzt „Voyage. A Novel of 1896“ aufblättern, Haydens großen Roman von 1976 über eine Schiffsfahrt entlang der amerikanischen Westküste und zweimal um die Welt. 700 gewaltige Seiten, das beste Seefahrerbuch seit „Moby Dick“, sind wir uns einig. Lange schon habe ich mit niemandem über dieses Buch reden können. Was für ein Geschenk.

Klar geht es auch noch um Nisbets Bücher, wie Barry Gifford ihn auf Noir anspitzte. „Man, this is an editor. Great guy.“ Wie er schreibt und arbeitet, und sich als Zimmermann und Schreiner finanziell unabhängig hält. Dass er einen Sohn Haydens kennt und schon oft mitgesegelt ist auf dessen Boot, das im Hafen von Sausalito liegt. Wie seine blauen Augen Glanz bekommen, wenn er von der See redet.

Und einfach wie er einer jener Autoren ist, die mehr als neidlos über andere reden können.
Stevensons großen Epitaph variierend, lautet das Motto in Sterling Haydens „Voyage“:

„To the hunted, not to the hunter;
To the passage, not to the path.“

Alf Mayer

Jim Nisbets Homepage. Verlagsinformationen. Werkschau bei CrimeMag. Foto: Copyright © David Littschager

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