We Got the Funk
Alf Mayer über die Soul- R&B-Funk-Fotografien von Bruce W. Talamon – und was das mit Crime zu tun hat.
Vorne Isaac Hayes mit Sax und irrsinnigem Kettenhemd, 1972 beim Watts-Unruhen-Gedächtniskonzert Wattstax im Los Angeles Colisseum. Dann Fotoseiten mit Rufus featuring Chaka Khan im Roxy in West Hollywood, Rick James beim Funk Festival 1977 in Los Angeles, Marvin Gaye in San Diego, The Jackson 5, Bootsy’s Rubber Band, The O’Jays, Kool & The Gang, George Clinton von Parliament in einem Mega-Pluster-Plüschmantel und noch einmal Isaac Hayes, diesmal in Farbe, seine Hose vaginarot.
Jetzt sind wir drin.
Can I Get An Amen?
Let’s Get It On
A Natural Woman
Can You Feel It?
We Got the Funk
Too Hot Ta Trot
Soul Train
Boogie Wonderland
In diesem Buch qualmen die Socken, schwingen die Hüften, geht der Funk ab. Dieses Buch mit Kapitelnamen wie eben zitiert, ist wie fünf Disco-Nächte auf einmal, und man will und muss dabei sofort Musik hören. Und zwar die von:
Al Green
Barry White
Charles Wright & The Watts
Smokey Robinson
Aretha Franklin
Thelma Houston
Patti Labelle
Gladys Knight & The Pips
Minnie Riperton
Diana Ross
Natalie Cole
Donna Summer
Parliament-Funkadelic
Marvin Gaye
The Jacksons
The Dramatics
The Isley Brothers
The O’Jays
James Brown
B.B. King
Curtis Mayfield
Gil Scot-Heron
Billy Preston
Bill Withers
Taj Mahal
Quincy Jones
Stevie Wonder
The Spinners
The Brothers Johnson
Sly Stone
Kool & The Gang
Commodores
Earth, Wind & Fire
Nie dem Künstler die Stimmung vermasseln
Bruce W. Talamon, Jahrgang 1949, will eigentlich Anwalt werden. Hat einen Bachelor in Politikwissenschaften, bekommt 1971 in Kopenhagen Miles Davis vor die Linse, ihm ist nicht klar, dass man vielleicht einen Ausweis haben müsste als Fotograf. Der professionelle Kollege neben ihm hat eine Kamera mit lautem Motorantrieb, nach einer Weile leert Miles sein Spuckventil auf ihn, weil das Geräusch nervt. „Du kannst bleiben, junger Bruder“, sagt Miles zu Bruce. Der lernt eine wertvolle Lektion: Nie dem Künstler die Stimmung vermasseln.
1972 gerät er zufällig auf das Wattstax-Musikfestival und fotografiert Isaac Hayes, im Kettenhemd. Es ist seine erste R&B-Aufnahme. 1973 verkauft er die ersten Bilder als Fotograf. Kunde: James Brown. Für zehn Fotos zahlt er 100 Dollar. Den Schein hat Talamon noch heute, hinter Glas. Bald arbeitet er für „SOUL Newspaper“, das einzige Blatt in schwarzer Hand, das sich ausschließlich RBB- und Soul-Themen widmet, wird später deren Bildredakteur. Alle zwei Wochen erscheint eine 24-seitige Ausgabe. Er fotografiert in rauchgefüllten Clubs auf dem Crenshaw-Strip in Los Angeles bis hin zu den größten Arenen der Welt. Seine Kamera hat Liebesaffären mit Chaka Khan, mit Labelles Sarah Dash, mit all den üblichen Verdächtigen. Er fotografiert, was er die „R&B Royalty“ nennt. Seine Fotografien betrachtet er als Dokumente, die über das Schreien in ein Mikrofon hinausgehen. „Meine Arbeit hat sich mit dem ganzen ungeschminkten Prozess beschäftigt, im Gegensatz zu dem Teil, den die Werbemaschinen und Plattenfirmen zeigen wollen. Ich habe das zehn glorreiche Jahre lang gemacht“, sagt Bruce Talamon. (Für das Blatt schrieb übrigens auch Leonard Pitts, Jr., dessen „Grant Park“ gerade im Polarverlag erscheint.)
Mit George Clinton und Bootsy Collins in den Himmel aufsteigen
Das Ergebnis ist – betreut vom erfahrenen Reuel Golden – jetzt im Verlag Benedikt Taschen erschienen: Ein Mammutbuch mit rund 300 Fotografien aus der Zeit von 1972 bis 1982, die Feier einer Musik, einer Ästhetik, und eines Stils, der verschwunden ist. Die magische Beschwörung einer Zeit, „als man so nah an der Bühne stehen konnte, dass man am Ende der Nacht schweißdurchtränkt war, so nah, dass Al Green einem eine rote Rose überreichen konnte oder Ronald Isley einen auf die Bühne zum Tanzen einlud. Eine Zeit, in der die Idee, alt zu werden, noch nicht einmal eine Wolke am hellblauen Horizont war. Diese Fotografien erinnern daran, dass es keine Trennung zwischen dem gab, was man sich vorgestellt hat, und dem, was man tatsächlich tun würde, wenn sich die Gelegenheit bot. Als die Möglichkeit, im Mutterschiff mit George Clinton und Bootsy Collins in den Himmel aufzusteigen, nicht ganz ausgeschlossen war“, schreibt Pearl Cleage im Vorwort ihres Interviews, das im Buch abgedruckt ist.
Talamon reist mit Bob Marley nach Westafrika, tourt mit Earth, Wind & Fire in Europa, Ägypten und Japan, fotografiert immer wieder in der TV-Show „Soul Train“, die nur schwarze Musik macht, gewinnt Howard L. Bingham und den Rock’n’Roll-Fotografen Jim Marshall als Freunde, arbeitet 1982 als Standfotograf für den Cop-Film „Das fliegende Auge“, macht sich in der Filmindustrie einen Namen als Problemlöser und Spezialist für Actionfotos. Nächster Film: „Staying Alive“, Regie: Silvester Stallone. Wird 1986 als einer der 200 führenden Fotojournalisten der Welt eingeladen, sich am Buchprojekt „Day in the Life of America“ zu beteiligen, 1992 ist er einer von 50 afroamerikanischen Fotografen der Wanderausstellung „Songs of My People“. 1994 veröffentlicht er seinen ersten Fotoband: „Bob Marley. Spirit Dancer.“ 2009 ist er einer der 25 offiziellen Fotografen bei der Amtseinführung von Barak Obama.
Und was hat das mit Crime zu tun?
WHO IS THE MAN
THAT WILL RISK HIS NECK
FOR HIS BROTHER MAN ??
Ich sage nur „Shaft“. Anfang 1971 komponierte Isaac Hayes den Soundtrack, hat selbst einen Kurzauftritt als Barkeeper. Das Titelthema mit seiner Wah-Wah-Gitarre und dem symphonischen Arrangement wird ein Welthit, der 19-Minute-Jam „Do Your Thing“ gekürzt zur Hitsingle. Es gibt einen Oscar für das „Theme from Shaft„. 1974 turnt Hayes durch die Blaxploitation-Filme „Three Tough Guys“ und „Truck Turner“, macht für beide die Soundtracks. Quentin Tarantino verwendet den Score von „Truck Turner“ in „Kill Bill“. Anders als die meisten afroamerikanischen Musiker dieser Zeit hat Hayes keinen Afro. Er trägt Glatze. Ist ’ne coole Katze.
Wie der Kriminalroman die Literatur der Demokratie ist – worauf Krähenverleger Karl Anders immer sehr abhob (sein CM-Porträt hier) – so sind Soul, Funk und R&B der Sound der Freiheit. Die schwarzen Sänger tragen ihre großen goldenen Ketten als Symbole der Befreiung. Isaac Hayes und sein Kettenhemd. Eine Liste von Blaxploitation-Filmen gibt es weiter unten. Auch Elmore Leonard hat sich zum Beispiel mit „Freaky Deaky“ vor der schwarzen Musikkultur verneigt – und vor den Revoluzzern der Zeit:
Zitat: „You know what organization she belonged to? Was she in the Weatermen?“
„Yes, but in and out“, Dizsi said. „She was in the White Panthers at one time helping the Black ones. There were so many different groups. The Yippies, The Revolutionary Youth Movement, the Action Fraction, The Crazies, the Progressive Labor Party, strict maoist. The Black Panthers were known here als the National Committee to Combat Fascism, and the White Panthers became the Rainbow People’s Party. I was younger then, I knew what I believed. I ask these people, what’s the matter with the friendly Socialist Labor Party, uh? I don’t know, I think it was because we didn’t drop acid und practice kundalini yoga. It turned them off.“
„Yes, that’s Skip. He came out of prison and went to Hollywood, someone told me, to work in the movies. In Special Effects.“
„You’re kidding.“
„Sure, he knows how to blow up things.“
Auch Elmore Leonards Detroit hatte sein Woodstock, das „Goose Lake“ Festival im Sommer 1970. Mit den Faces, Jethro Tull, Chicago, Ten Years After, den Flying Burito Brothers, Bob Seger, den Stooges und den MC5, die ihre Konzerte anzufangen pflegten mit dem Ruf ins Publikum: „Are you part of the problem? – Or are you part of the solution?“ Elmore mochte diese Art Musik. SeinLieblingsband war Dick Manitoba and the Dictators. Die Hauptfiguren Skip und Robin überbieten sich in „Freaky Deaky“ mit obskuren Namen von Bands. Den Titel wählte er, weil ihm der Wortklang so gefiel. Er war fast fertig mit dem Roman, als ihm auffiel, dass der Begriff noch gar nicht vorgekommen war. Er baute es dann in eine Unterhaltung zwischen Cops ein:
„Wir wissen, wann wir uns sozusagen raushalten müssen, damit sie ihren Freaky Deaky aufführen können. Erinnern Sie sich an diesen geilen Tanz? Das war vor etwa zehn Jahren. Mann, die Leute haben sich deshalb umgebracht … mir fallen auf Anhieb zwei Morde ein. Wenn mit der Frau eines andern Freaky Deaky getanzt hat, konnte er sich schön was einhandeln.“ (Seite. 261)
Greil Marcus betont in seinem großen Text „Soul Music and Its Double, or The Democracy of the Deep Soul Voice and the Republicanism of Its Melismatic Reversal“: „Es ist kein Zufall, dass die Soulmusik und die Bürgerrechtsbewegung Hand in Hand gehen. In diesen Songs liegen die Hoffnungen und Sehnsüchte von Millionen von Menschen. Diese Musik sucht sich ihre eigene Demokratie – und macht sie, in ihren schönsten Momenten. Wenn der Sänger oder die Sängerin in ihrem Song verschwinden, wenn sie unsere Stimme werden. Manche hören es und verstehen es, für andere ist es nur Musik. Aber auch das okay. Wobei, wenn … “
Marcus erinnert an Solomon Burke, der für sein “Everybody Needs Somebody to Love” immer eine kleine Vorrede hält: “I believe if everybody would sing this song it would save the whole world.” Wenn jeder dieses Lied singen würde, würde es die Welt retten. Und ich muss an Obama denken, wie er in New York Al Greens „I’m so in Love with you“ anstimmt. Welch ein Moment.
Und noch ein Aspekt, auf den Pearl Cleage abhebt: „Es gab noch nie eine falsche Trennung zwischen Sex und Liebe in R&B. Sie sind komplementär, ebenso notwendig in der Fülle des Lebens. Das süße Zusammentreffen von Schweiß und Musik, Leidenschaft und Sehnsucht, war Teil des Geschenks, das diese Künstlerinnen und Künstler anboten, und das Publikum hätte nicht eifriger sein können, es zu empfangen.“
„Wenn Sie bereits gläubig sind, werden diese Fotografien Ihren Glauben erneuern“, schreibt Pearl Cleage. „Wenn Sie neu in der Gemeinde sind, lehnen Sie sich zurück und lassen Sie sich von Bruder Talamon in den Chor einführen. Kann ich ein Amen bekommen?“
Alf Mayer
Bruce W. Talamon: Soul. R&B. Funk. Photographs 1972–1982. Mit Beiträgen von Reuel Golden und Pearl Cleage. Verlag Benedikt Taschen, Köln 2018. Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch. Hardcover, XL-Format, 376 Seiten, 50 Euro. Auch erhältlich als Art Edition von 500 Exemplaren, jeweils mit vier Prints in einem Portfolio, nummeriert und signiert von Bruce W. Talamon. Verlagsinformationen.
Die Foto in diesem Text mit freundlicher Erlaubnis des Verlages (c) Benedikt Taschen Verlag und Bruce W. Talamon
Kleine Liste von Blaxploitation-Filmen:
1970: The Black Angels (eine schwarze Motorrad-Gang)
They Call Me MISTER Tibbs! (Fortsetzung von In der Hitze der Nacht)
Cotton Comes to Harlem (nach dem Roman vonChester Himes, Regie: Ossie Davis)
1971: Sweet Sweetback’s Baadasssss Song (von und mit Melvin Van Peebles)
Shaft (Regie: Gordon Parks, mit Richard Roundtree; es folgen Shaft’s Big Score, 1972, und Shaft in Africa, 1973, sowie eine TV-Serie)
1972: Hit Man (mit dem früheren NFL-Spieler Bernie Casey und mit Pam Grier)
Super Fly (Regie: Gordon Parks, Jr.)
The Legend of Nigger Charley (von und mit Fred Williamson; Sequel 1973: The Soul of Nigger Charley)
Black Mama, White Mama (Gefängnisfilm mit Pam Grier und Margaret Markov, die Sidney Poitier und Tony Curtis in Lilien auf dem Felde spiegeln)
Blacula (Dracula-Film mit einem afrikanischen Prinzen, der L.A. unsicher macht)
Slaughter (Jim Brown als Ex-Green Beret, der an einem Verbrechersyndikat Rache nimmt. Sequel: Slaughter’s Big Rip-Off ,1973)
Trouble Man (Robert Hooks as Privatdetektiv „Mr. T“, Soundtrack von Marvin Gaye)
1973: Black Caesar (Fred Williamson als Crime-Boss von Harlem)
Blackenstein (Frankenstein-Parodie mit schwarzem Monster, mit Tamara Dobson als Karatekämpferin, die erste starke schwarz Frau)
Coffy (Pam Grier als Vigilantin, die sich an denen rächt, die ihre elfjährige Schwester heroinsüchtig gemacht haben; gefolgt von: Foxy Brown, Friday Foster und Sheba Baby)
Clayton (Tarantino machte sich für eine Videoedition stark)
Gordon’s War (mit Paul Winfield als Vietnam-Veteran, der mit seinen Buddies Harlems Drogenhändler und Zuhälter bekämpft)
The Mack (mit Richard Pryor, Soundtrack vom Motown-Künstler Willie Hutch)
The Spook Who Sat By the Door (Regie: Ivan Dixon, Musik:Herbie Hancock. Ein schwarzer CIA-Agent trainiert eine schwarze Streetgang mit CIA-Methoden als „Freiheitskämpfer“, die die Macht übernehmen sollen. Wurde wegen „Rassenkrieg“ aus dem Verkehr gezogen.)
That Man Bolt (der erste Agentenfilm, der James-Bond-Elemente mit Martial Arts kombiniert)
Trick Baby (nach dem Buch des Ex-Zuhälters Iceberg Slim)
Hell Up In Harlem (Sequel zu Black Caesar, Soundtrack vom Motown-Sänger Edwin Starr)
1974: Abby (Blaxploitation-Exorcist, mit Dämonenaustreibung auf der Tanzfläche einer Disco)
The Black Godfather (mit Rod Perry als schwarzer „Pate“)
The Black Six (eine schwarze Motorradgang sucht Rache)
Foxy Brown (großteils ein Remake von Coffy mit Pam Grier, Soundtrack von Willie Hutch)
Space Is the Place (Psychedelisches mit Sun Ra & His Intergalactic Solar Arkestra)
Three the Hard Way (Drei schwarze starke Männer, Fred Williamson, Jim Kelly, and Jim Brown, müssen einen weißen Rassisten-Plot stoppen, Regie: Gordon Parks, Jr.)
T.N.T. Jackson (mit Jean Bell, einer der ersten schwarzen Playboy-Playmates, spielt teilweise in Hongkong, beliebtes crossover)
Together Brothers (eine schwarze Streetgang in Galveston, TX, klärt den Mord an einem Polizisten, Score von Barry White mit Musik vom Love Unlimited Orchestra)
Truck Turner (mit Isaac Hayes, Yaphet Kotto, Regie: Johnathan Kaplan. Ein früherer Football-Spieler, jetzt Kopfgeldjäger, tritt gegen einen Prostitutionsring an)
1975: Sheba, Baby (Pam Grier als P.I. hilft ihrem Vater gegen eine Gang)
The Black Gestapo (Rod Perry spielt General Ahmed, der eine Stadtarmee gegründet hat, um den Einwohnern von Watts, Los Angeles, zu helfen. Als die Mafia einmarschieren will, findet sie ihren Meister.)
Black Shampoo (Warren Beattys Shampoo in schwarz)
Dr. Black, Mr. Hyde (die schwarze Version)
Ebony, Ivory & Jade (drei schwarze Athletinnen werden in Hongkong gekidnappt, Blaxploitation und Martial Arts action)
The Muthers ( Filipino Martial Arts action und Frauen-im-Gefängnis, mit Jeanne Bell und Jayne Kennedy)
1977: Black Samurai (nach der gleichnamigen Romanreihe von Marc Olden, Regie: Al Adamson, Hauptrolle: Jim Kelly)
1979: Disco Godfather (auch bekannt als The Avenging Disco Godfather).