Die Zombies, das sind die anderen.
Sie sind fokussiert. Sie kennen nur eins: höchste Konzentration auf den Gegner. Sie sind aber keine Weltmeister. Sie sind nämlich schon tot. Christopher Werth legt die blutverschmierte Axt zur Seite, steckt eine Zigarette an und gibt kurz Zwischenbericht über die ersten drei Staffeln der Zombie-Serie „The Walking Dead“.
Tote sorgen für Belebung
Seit einigen Jahren sind Serien die Königsdisziplin der Unterhaltung. Immer neue Stoffe werden ausprobiert und auf Serientauglichkeit überprüft. Die gierigen Zuschauermassen verlangt es unermüdlich nach frischem, lebendigem Nachschub. Da ist es natürlich naheliegend, auch mal die Zombie Comics von Robert Kirkman und Tony Moore genauer durchzulesen. Dachte sich zumindest der US-Fernsehsender AMC – beim erfolgreichen Seriengeschäft ganz vorn mit dabei, u.a. mit „Mad Men“. Auch bei „The Walking Dead“ machen sie keine halben Sachen. Für die Serie werden alle wesentlichen Genre-Elemente gebündelt, die u. a. grob auf dem Roman „I am Legend“ von Richard Matheson und den politischen Kultfilmen von George A. Romero (seine „Night of the living Dead“ von 1968 kann man hier sehen) basieren: Eine Gruppe Menschen muss kooperieren, um die schlurfende Apokalypse der Untoten zu überstehen. Bei „The Walking Dead“ werden die Zutaten zum Premiumprodukt veredelt. Alles stimmt: die Coolness der Comic-Vorlage, die hochkarätige Besetzung, Kamera, Drehbuch, Szenografie, Maske, Soundtrack. Das Genre wird aus der Schmuddelecke geholt, ernst genommen und konsequent mit psychologisch realistischer Figurenzeichnung auf ein neues Level gebracht. Ohne allerdings auf detailverliebtes Metzgereihandwerk zu verzichten (FSK 18). Das Ergebnis ist eine cool fotografierte, stylisch-brutale Interpretation mit modern-melancholischem Folk-Soundtrack.
Zwei Effekte und zwei Stellschrauben
Dass es über eine Länge von fünf Staffeln spannend bleibt, ist eine beachtliche Leistung – schließlich sind die dramaturgischen Möglichkeiten von Zombies eher beschränkt. Effekt 1: Plötzlich taucht einer auf. Effekt 2: Plötzlich taucht eine ganze Horde auf. Es gibt natürlich mehr als die beiden Effekte. Da wären noch die zwei Stellschrauben für die Spannung: 1. die Gefahr von außen und 2. die Gefahr von innen, die Konflikte innerhalb der Gruppe. Und genau hier zuckt das Potential der Serie.
Kein geringerer als Frank Darabont setzte die Serie auf die Schienen. Er ist der Mann, der unter anderem hinter dem Film steht, der seit 2008 unangefochtene die IMDb Top 250 anführt: „The Shawshank Redemption“. Er verankert die emotionale Dimension der Figuren und pflanzt der Serie damit das Herz ein. Was ihn interessiert ist: Was macht so eine Extremsituation mit Menschen, wie gehen sie damit um? Gleich in der ersten Folge geht es z. B. in bisher ungesehener Direktheit um die Absurdität, was es heißt, wenn ein geliebter Mensch stirbt, aber doch nicht tot ist – und noch einmal getötet werden muss. Das Ganze ist wie eine Art Experiment. Was passiert, wenn durch eine Pandemie Staat, Gesetze, und alle äußeren Reglementierungen wegfallen und eine Gruppe unterschiedlichster Individuen, die sich im normalen Leben nicht einmal grüßen würden, zurückgeworfen auf sich selbst einen eigenen Weg durch die Endzeit finden muss? Und was, wenn diese Gruppe dann auch noch auf andere Gruppen trifft, die genauso um das eigene Überleben kämpfen …
Jede einzelne Figur erlebt im Laufe der Staffeln persönlich tragische Verluste, geht anders mit dem Wahnsinn um und entwickelt sich weiter. Das gibt der Serie eine Dimension, die sie im Zombie-Genre und darüber hinaus zu etwas Besonderem macht.
Rückzug to New Biedermeier
Für die Figuren um Anführer Rick Grimes (Andrew Lincoln) ist das große Ganze, der Hintergrund der Apokalypse im täglichen Überlebenskampf vollkommen irrelevant und außerhalb der Wahrnehmung, jenseits des Erfassbaren. Man muss an sich selbst denken, sich immer wieder im brutalen Alltag durchkämpfen. Es bleibt keine Zeit, an die Gesamtsituation zu denken, die Ursachen der Katastrophe, weil man immer wieder neue taumelnde Beißer ausschalten muss. Vielleicht liegt hier auch eine Parallele zu uns, unserer smartphonegetakteten Performance- und Shopping-Gesellschaft: Weltpolitik, Wirtschaft, Gaza, Flüchtlinge… alles zu schwierig, um es zu begreifen, und zu weit weg, um es anzugehen. Immer wieder kommt was dazwischen, muss erst mal das Naheliegende, das Projekt, das Posting und die Pasta erledigt werden.
Passt irgendwie zu dem, was gerade Indie-Wiedergänger Morissey so singt: „World Peace is none of your Business“.
Christopher Werth
The Walking Dead – US-amerikanische Fernsehserie von Frank Darabont, basierend auf der gleichnamigen Comicserie von Robert Kirkman und Tony Moore. Bis 2014 wurden vier Staffeln produziert, eine fünfte Staffel ist in Auftrag gegeben.
