Geschrieben am 11. November 2010 von für Comic, Crimemag

Bloody Chops I

Bloody Chops I

Spekulieren wir mal nicht über den Aufschwung des Crime-Comics, sondern freuen uns, dass auch wir Menschen, die mit dem Lesen zusammenhängender Texte so ihre Schwierigkeiten haben (ja, ist gut …), mit vielfältigstem Stoff versorgt werden – in allen möglichen Subgenres und auf allen ästhetischen Niveaus. Von Friedemann Sprenger

Prachtvoll zum Beispiel, wie Alejandro Jodorowskys neues „Papst“-Projekt. Nachdem das chilenische Multitalent und Originalgenie zusammen mit dem großen Milo Manara als Zeichner sich den Borgia-Päpsten und ihren wunderbar schweinischen Streichen gewidmet hatte, nimmt Jodorowsky sich jetzt Guliano della Rovere vor. Der war als „Der Schreckliche Papst“ Julius II zu fragwürdigem Ruhm gekommen. Unsere Graphic Novel, die sich um historische Akkuratesse nicht schert, aber sich in allem wollüstig suhlt, was das Thema hergibt (Obszönitäten, Blasphemie – vermutlich nur katholische sozialisierte Menschen kriegen das so überzeugend hin, Gewalt, Titten, Ärsche und Realpolitik), bezaubert mit wunderbaren und schön ekligen Bildern. Und die Story ist natürlich ein Polit-Thriller über die Mechanismen der Macht, aber das nur nebenbei. Großer Schau- und Unterhaltungswert.

Leider geht es auch anders. Die Bearbeitung des „Haarmann“-Stoffes – Sie wissen schon, der aus Hannover mit dem Hackebeilchen und der Karriere als Proto-Lustmörder der Weimarer Republik – als Comic war naheliegend. Die Zeichnungen von Isabel Kreitz sind auch sehr überzeugend düster geraten, feine Schraffuren und feine Stimmungen – eng, miefig und den Depri der 1920er trefflich abbildend. Aber da liegt das Problem: Das Szenario, das Peer Meter aus den allzu bekannten Tatsachen (die er in einem Nachwort zusammenfasst, wobei mir wohler gewesen wäre, er hätte seine inneren Dialogpartner von Fritz Lang („M“) bis Friedhelm Werremeier genannt, denn den Haarmann-Stoff kann man nicht mehr „authentisch“ bearbeiten, dazu ist er Teil zu vieler Diskurse, ist multimedial modelliert und geformt und mutiert) um den Knabenschlächter, der im Dienste der hannoverschen Polizei stand, zu bieder. Schulfunk mit schönen Bildern. Überraschungsfrei, ohne Clou und Pointe, ohne Choque, ohne irgendein Surplus. Und das wirklich Spannende an der Geschichte, der Prozess, die wichtige Rolle des Philosophen Theodor Lessing etc. – das alles hat gegen die technisch hübschen Bilder und die Didaxe des Szenarios keine Chance. Schade!

Sehr viel kreativer mit Tradition und Verarbeitungsgeschichte geht „Victorian Undead – Sherlock Holmes vs. Zombies“ mit seinem Stoff um. Der Comic von Autor Ian Edgington und Zeichner Davide Fabri (die genial fiesen, fahl-leuchtenden Bonbonfarben stammen von Carrie Strachan) kleidet jede Menge drolliges Zombie-Schmätzen und Splattern und Metzeln in einer überraschend intelligente Geschichte über die Rückkehr von Holmes` Oberwidersacher Prof Moriarty und dem Ende der Zivilisation, der viktorianischen. So kann man aus dem alten Museumsmöbel Holmes noch ein paar nette, untote Effekte herausholen.

Erfreulich-fiese Farben bietet auch das fünfte Album namens „Sünder“ aus dem „Criminal”-Universum von Ed Brubaker (Szenario) und Sean Phillips (Artwork), dem diesmal sogar Ian Rankin ein artiges Vorwort spendiert hat. Die Story ist noir, arg noir und vermutlich als Comic viel verdaulicher als Prosa, in der die Geschichte vom guten Bösen (wir kennen Tracy Lawless schon aus anderen Episoden des Projekts), der wegen einer Frau in die Shits gerät und sich …, aber halt, mehr erzählen wir nicht. Auf jeden Fall wirkt so etwas als Roman schnell lächerlich, weil schon 17tausendmal erzählt und durchdekliniert. Bei Brubaker/Phillips aber funktioniert das „Kino des kleines Mannes“ bestens – Dynamik, Action, Atmosphäre zum Betrachten und Schwelgen. Schauwert geht auch hier über Diskurswert. Aber umsonst heißen die Dinger ja nicht Roman, sondern Comics. 

„Umsonst ist der Tod“ heißt der Beginn einer vielsprechenden Zusammenarbeit von Szenarist Sergí Álvarez und Zeichner Sagar Forniés. Der Originaltitel des s/w Teils ist „Bajo la piel“, „Unter der Haut“. Wie eine verdammte Zecke, die man nicht mehr loswird, meint Vorwortschreiber Andreu Martín. Und so sitzt eine klassische Privatdetektiv-Story unter den schräg-verwaschenen, angenehm spröden Bildern und Panels, die eher auf Muñoz/Sampayo verweisen, denn auf franko-belgische oder amerikanische Traditionen. Und manchmal gibt es kleine Zitationen von „Torpedo“, obwohl „Umsonst ist der Tod“ weniger burlesque ist. Eher existentialistisch, eher ironisch, denn offen komisch – sarkastisch aber allemal. Fein!

Friedemann Sprenger

Jodorowsky/Theo: Der schreckliche Papst. 1. Giuliano delle Rovere. (Le Pape Terrible: Della Rovere, 2009) Deutsch von Tanja Krämling. Bielefeld: Splitter Verlag 2010. 54 Seiten. 13,80 Euro.

Peer Meter/Isabel Kreitz: Haarmann. Hamburg: Carlsen Verlag 2010. 176 Seiten. 19,90 Euro.

Edginton/Fabri: Victorian Undead: Sherlock Holmes vs. Zombies (Victorian Undead: Sherlock Holmes vs. Zombies, o.J.). Deutsch von Claudia Fliege. Stuttgart: Panini Comics. 136 Seiten. 16,95 Euro.

Ed Brubaker/Sean Phillips: Criminal. Sünder 5 (The Sinners 5, 2010). Deutsch von Claudia Fliege. Ca. 128 Seiten. 16,95 Euro.

Sagar Forniés/Sergi Álvarez: Umsonst ist der Tod (Bajo la piel, 2005). Deutsch von Susanne Viegener. München: Schreiber & Leser noir. 143 Seiten. 18,80 Euro.