Geschrieben am 4. November 2015 von für Crimemag, Interview, Kolumne, News

Bloody Questions – Joe R. Lansdale

Bloody Questions – The Crime Questionnaire (Vol. 10)
von Marcus Müntefering, beantwortet von Joe R. Lansdale

Mal ehrlich: Wer von Ihnen hat den Überblick über das Gesamtwerk von Joe R. Lansdale, dem 1951 in Texas geborenen Viel- und Allesschreiber (was ausnahmsweise als Kompliment gemeint ist)? Ich jedenfalls nicht, und niemand, den ich kenne. In Vorbereitung auf diese zehnte Ausgabe der „Bloody Questions“ habe ich mich mit diversen Freunden und Fans ausgetauscht.

Drive-In von Joe R Lansdale

Die einen waren Anhänger seiner Horrorromane, wie der wunderbar wüsten „Drive-In“-Trilogie, die vor kurzem als Sammelband bei Heyne Hardcore veröffentlicht wurde, hatten aber noch nie etwas von seinem großartigen Black&White-Trash-Ermittlerpärchen Hap & Leonard gehört, das sich bislang durch acht Romane geprügelt und geballert hat und zuletzt der Dixie-Mafia in die Quere kam („Das Dixie-Desaster“, erschienen im März 2015 bei Golkonda). Andere wiederum schwören auf seine Country Noirs und Fantasy-Western wie „Dunkle Gewässer“ und „Das Dickicht“ (beide bei Tropen), wussten aber nicht einmal, dass der ebenso fiese wie brillante Thriller „Cold in July“ mit „Dexter“-Darsteller Michael C. Hall auf Lansdales nicht minder brillantem Texas-Revenge-Roman beruht, der als „Die Kälte im Juli“ in diesem Jahr bei Heyne Hardcore auf Deutsch erschienen ist, aber im Original bereits 1989 veröffentlicht wurde. Und dann sind da noch seine Comics, ein obskurer Batman-Roman, Drehbücher zu Zeichentrickserien, Kinderbücher …

Sind Sie ausreichend verwirrt? Gut so, dann lassen Sie von Joe R. Lansdale etwas Licht in die Dunkelheit bringen. Er hat sich viel Zeit genommen, um die zehnte Ausgabe von „Bloody Questions – The Crime Questionnaire“ angemessen ausführlich zu beantworten.

 

Lansdale19667

 

  • Haben Sie jemals ein Verbrechen begangen – oder darüber nachgedacht, eines zu begehen?
    Nein, so bin ich nicht gepolt. Als Teenager habe ich mit Wasserballons und Eiern geworfen und das ein oder andere Haus in Toilettenpapier eingewickelt, aber das war’s dann schon.
  • Wer ist der schlimmste Schurke der Literaturgeschichte?
    Und Punkt.
  • Erinnern Sie sich daran, wer die erste Figur war, die Sie literarisch ermordet haben?
    Ich glaube auf der ersten Seite meines ersten Romans wird eine Frau vom Houston Hacker ermordet, aber sicher bin ich mir nicht. Solche Dinge merke ich mir nicht.
  • Die Beatles-oder-Stones-Frage: Hammett oder Chandler?
    Ich mag seinen Stil. Hammett war manchmal zu trocken und schwerfällig, Chandler hingegen immer anregend, vor allem mag ich seinen Sinn für Humor, seine Dialoge und die Tatsache, dass ihn Situationen und Charaktere mehr interessieren als die Handlung.
  • Haben Sie schon einmal einen Toten oder Sterbenden gesehen? Und falls ja: Wie hat das Ihr Leben verändert?
    Ja, zusammen mit meinem Boss, als ich noch auf den Rosenfeldern arbeitete. Er hat mich zur Arbeit mitgenommen, unterwegs entdeckten wir einen Werkzeugkasten am Straßenrand. Es war eiskalt und während der Nacht hatte es Hochwasser gegeben, inzwischen war das Wasser aber zurückgegangen. Der Kasten stand am Ufer einer kleinen Bucht, was uns merkwürdig vorkam. Wir hielten an, schauten uns das näher an und entdeckten einen Pick-up, der kopfüber aus dem inzwischen wieder flachen Wasser herausstach. Der Fahrer war in der Nacht von der Brücke abgekommen und vom Wasser weggeschwemmt worden. Jetzt war er aufgedunsen und hatte nichts Menschliches mehr an sich. Sein Gesicht war angeschwollen, seine Lippen sahen aus wie Fahrradschläuche. In diesem Moment spürte ich, wie kurz das Leben ist, und seitdem sorge ich dafür, dass ich meine Zeit auf Erden nicht verschwende. Ich glaube, damals war ich 22.
  • Sind Sie jemals Zeuge oder Opfer eines Verbrechens geworden?
    Ich habe Dinge gesehen, die ich als kriminell bezeichnen würde. Die Misshandlungen von Schwarzen, die Teil sogenannten Kultur der Fünfziger und Sechziger waren. Deshalb ist die Idee von einer „heiligen“ Kultur dumm. Ich erinnere mich an Menschen, die Schwarze misshandelt haben, einige nur verbal, andere auch körperlich, und am Sonntag sind sie in die Kirche gegangen, wo sie auf einem hohen Ross saßen. Hat mich von Kirche und Religion und einigen anderen Dingen befreit. Eigentlich hatte es schon gereicht, die Bibel von vorn bis hinten zu lesen. Es ist ziemlich einleuchtend, dass wir es hier mit Mythologie zu tun haben, nicht mit Geschichte oder mit dem Wort Gottes. Mir leuchtet es jedenfalls ein. Dennoch gibt es immer noch Menschen, die daran glauben, dass Noah in seiner Arche rumgeschippert ist oder dass es Beweise für den Exodus gibt. Diese Geschichten sind so sehr mit dem Leben vieler Menschen verwoben, dass sie gar nicht auf die Idee kommen, daran zu zweifeln oder zu merken, dass der einzige Beweis für diese Geschichten die Bibel ist. Das könnte man genauso gut glauben, dass die Abenteuer des Herkules wirklich passiert sind.
  • Gibt es jemanden, dem Sie den Tod wünschen oder gewünscht haben?
    Ab und zu kann es da den ein oder anderen geben. Menschen, die Grausamkeiten an Kindern oder Tieren verüben, stehen ganz oben auf der Liste. Ich glaube nicht an einen gerechten Gott, der am Ende zwischen Gut und Böse unterscheidet. Einige Arschlöcher bleiben ihr Leben lang Arschlöcher, und dann sterben sie. The End.
  • Welche Jobs hatten Sie, bevor Sie vom Schreiben leben konnten?
    Ich habe in einer Fabrik für Alustühle gearbeitet und in einer für Fertighäuser. Ich habe als Rosenpflücker gearbeitet und diverse Tagelöhnerjobs gemacht, dann war ich bei Goodwill Industries in Tyler, Texas, unter anderem für die PR zuständig, später habe ich sieben Jahre als Hausmeister gearbeitet. Ich habe ziemlich jeden Job angenommen, den ich finden konnte, einmal als Müllfahrer, ein anderes Mal habe ich Büsche gerodet.
  • Wären Sie nicht Krimiautor – was würden Sie stattdessen tun (wollen)?
    Ich schreibe ja nicht nur Krimis, sondern auch Fantasy, Historisches, Jugendbücher und einige andere, die man nicht so einfach einordnen kann. Ach ja, und Kinderbücher. Außerdem habe ich unter anderem für Zeichentrickserien wie „Batman the Animated Series“ und „Superman The Animated Series“ gearbeitet und das Drehbuch zum Zeichentrickfilm „Son Of Batman“ geschrieben. Dazu kommen Comics, Artikel, Essays und Vorworte. Suchen Sie sich etwas aus! Ich bin seit 53 Jahren Kampfsportler und Trainer, besitze eine Kampfsportschule in Nacogdoches, Texas. Außerdem habe ich für diverse Kinofilme gearbeitet… Es gibt immer genug zu tun, und es gibt nichts, das ich lieber tun würde, als das, was ich tue. Obwohl: Vielleicht versuche ich mich demnächst als Filmregisseur.
  • Hören Sie beim Schreiben Musik? Und falls ja: welche?
    Mache ich nicht. Ich liebe Musik, aber sie lenkt mich vom Schreiben ab. Eine Ausnahme: Als ich vor langer Zeit „Batman – Tanz in den Tod“ schrieb, hörte ich Musik dazu. War aber nichts für mich.
  • Schreiben Sie lieber tagsüber oder nachts? Zu Hause am Schreibtisch oder wo immer Sie gerade sind?
    Eigentlich lieber morgens, aber über die Jahre habe ich mich damit abfinden müssen, zu unterschiedlichen Zeiten zu schreiben. Als ich noch einen Vollzeitjob hatte, schrieb ich nachts und am Wochenende. Eine Zeitlang habe ich auch eine Nachmittagsschicht eingelegt, aber das war nicht besonders produktiv. Ab und zu, wenn es mich überkommt, schreibe ich noch nachmittags – oder nachts. Aber in der Regel, wie gesagt, am Vormittag, etwa drei Stunden lang, das reicht. Darin enthalten ist die Zeit, die ich brauche, um zu frühstücken, mit dem Hund rauszugehen und meine E-Mails und Facebook zu checken. In diesen 15 Minuten arbeitet mein Gehirn schon mit Hochdruck, und wenn ich mich hinsetze, fange ich an zu schreiben. Ich zwinge mich, mindestens drei bis fünf Seiten zu schreiben. Normalerweise arbeite ich an einem Hauptprojekt und ein oder zwei anderen, denen ich mich widme, wenn ich bei dem großen Projekt ins Schleudern komme und das Gefühl habe, eine Pause zu brauchen. Mit zunehmendem Alter fällt es mir leichter, an mehreren Dingen gleichzeitig zu arbeiten. Früher habe ich zu Hause ausschließlich am Schreibtisch gearbeitet, jetzt schreibe ich überall. Sogar am Küchentresen. Inzwischen habe ich mich auch daran gewöhnt, unterwegs zu schreiben, meistens im Hotelzimmer. Einmal habe ich sogar einen Roman auf dem Fußboden eines Flughafens zu Ende gebracht, mit dem Laptop auf dem Stuhl vor mir.
  • Was machen Sie, wenn Sie nichts Vernünftiges zu Papier bringen?
    Ich kann mich nicht mal erinnern, wann das zum letzten Mal passiert ist. Manchmal gönne ich mir einen freien Tag, manchmal ein paar Tage. Das geht, weil ich den Unterschied zwischen einem freien Tag und einem verplemperten Tag kenne. Wenn ich mir frei nehme, dann um mehr zu lesen als sonst. Manchmal passiert es mir auch, dass ich mir einen Lesetag gönne und am Abend doch wieder schreibe. Die Lektüre befeuert mich, weshalb ich jeden Tag lese. Ab und an gehe ich auch ins Kino oder schaue mir zu Hause Filme und bestimmte Serien an. Ich arbeite lieber, als nicht zu arbeiten. Mir geht es nicht so, dass es mir nur Spaß macht, etwas geschrieben zu haben. Ich genieße das Schreiben selbst, es macht mich glücklich. Nichts macht mir mehr Spaß.
  • Was passiert nach dem Tod? Und was sollte nach dem Tod passieren?
    Das weiß niemand. Ich denke, man stirbt, und das war’s dann. Ich mache mir da keine großen Gedanken und glaube nicht an einen göttlichen Plan – nur an meine eigenen Pläne, ob sie aufgehen oder nicht. Ich liebe das Leben, liebe es morgens aufzustehen, und ich versuche ein anständiger Mensch zu sein.
  • Verbrechen und Bestrafung: Was halten Sie vom Prinzip Auge-um-Auge/von der Todesstrafe?
    Ich habe damit kein moralisches Problem. Es gibt Menschen, die so schrecklich sind, dass mich ihr Tod nicht stört. Anders sieht es bei der Durchführung aus: Wer verurteilt wird und wer nicht. Die Sache ist die: Wenn man einen unschuldigen Menschen retten könnte, indem man statt der Todesstrafe eine Gefängnisstrafe verhängt, dann sollte das so sein. Nicht dass man nach der Vollstreckung einen DNA-Beweis für die Unschuld des Verurteilten findet.
  • Ihr Kommentar zu dem Bert-Brecht-Zitat „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank“…
    Eine Bank auszurauben ist immer noch Diebstahl und damit nicht zu rechtfertigen. Ich mag es nicht, wie bei Banken viele Dinge gehandhabt werden und mit Geld umgegangen wird. Aber für mich rechtfertigt das keinen Diebstahl, sei es mit der Waffe in der Hand oder mit dem Füller.
  • Was soll auf Ihrem Grabstein stehen?
    Er hatte echt viel zu tun.

Die bisherigen „Bloody Questions“ von Marcus Münterfering sind auf seinem Blog „Krimi-Welt“ zu finden.
Geantwortet haben bisher:

Bill Moody (9)

Wallace Stroby (8)

Lauren Beukes (7, Teil 1) und

Lauren Beukes (6, Teil 2)

Richard Lange (5)

Zoë Beck (4)

Sam Millar (3)

Declan Burke (2)

James Lee Burke (1)

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