
Wer möchte heute noch ein »Schlapphut« sein?
Ein Begriff und eine These – von Bodo V. Hechelhammer
Ein Bild. Ohne Frage, eine alte Aufnahme. Vier Männer lächeln etwas hüftsteif in die Kamera und fast alle tragen zu ihren Trenchcoats auch einen »Schlapphut«. Vermutlich denken bei diesem Motiv nicht wenige an Geheimdienstmitarbeiter. Intuitiv. Und das ist auch richtig. Es handelt sich um Angehörige der Organisation Gehlen (Org), dem Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes (BND). Von links nach rechts sind abgebildet: Reinhard Gehlen, Heinz Danko Herre, der amerikanische Geheimdienstmitarbeiter Eric Waldman und Toni Halter. Eine Fotografie, aufgenommen vor 1949 in der Schweiz, die scheinbar leicht das Klischee der »Schlapphüte« bestätigt.
Liest man heutzutage irgendwelche Presseartikel oder irgendein Fachbuch zum Thema Geheimdienst, fällt mit Sicherheit immer der despektierliche Begriff »Schlapphüte«. Im Volksmund werden Mitarbeiter von Geheimdiensten allgemein gerne so genannt. Wenn jemand aber einen Geheimdienstmitarbeiter als »Schlapphut« bezeichnet oder im Plural die gesamte Organisation umfassen will, spricht er damit kein liebevolles Lob aus. Denn der Begriff ist kein positives Attribut, er ist negativ konnotiert.
Warum eigentlich? Weil nur Geheimdienstmitarbeiter diese Art Hut tragen? Was hat der »Schlapphut« überhaupt mit dem Geheimdienst zu tun, und seit wann tauchen entsprechende Zuweisungen als Stereotyp auf?
Wann war es zum ersten Mal?

Wikipedia erklärt hierbei allzu leicht, der Hintergrund dafür sei im 19./20. Jahrhundert der »reale Einsatz von breitkrempigen Hüten bei Geheimdiensten, die tief ins Gesicht gezogen wurden, um es möglichst nicht erkennbar zu machen«. Eine oberflächliche, weil rein deskriptive Erklärung, die andere »normale« Hutträger außer Acht lässt und sich vor allem nicht in der zeitgenössischen Literatur und der Berichterstattung widerspiegelt. Eine Antwort darauf kann nur gefunden werden, wenn man sich auf die Suche nach dem Ur-»Schlapphut« begibt. Wann wurde in Deutschland erstmals ein Geheimdienstmitarbeiter negativ mit einem »Schlapphut« in Verbindung gebracht?

Der »Schlapphut« ist zunächst einmal eine männliche Kopfbedeckung, eine spezielle Hutform, die sich zur Zeit des dreißigjährigen Krieges als ein ursprünglich militärisch geprägtes Kleidungsstück weiterentwickelt hat. Im »Wörterbuch der deutschen Sprache« von Joachim Heinrich Campe von 1810 wird der »Schlapphut« daher auch wenig dramatisch definiert: Es handle sich um einen Hut, mit breitem Band, der schlapp herabhängt. Im 20. Jahrhundert gehörte er als Variante des gemeinen Huts ganz allgemein bereits zur Männermode. Man(n) ging einfach nie ohne Hut. Der »Schlapphut« war jenseits einer gesellschafspolitischen Chiffre und eines modischen Accessoires vor allem aber immer eine zweckorientierte wetterfeste Schutzkleidung. Mitunter pflegte man ihn aber selbst in Innenräumen aufzubehalten.
Person und Hut bildeten mitunter eine besondere Einheit, signalisierten sichtbar den gesellschaftlichen oder beruflichen Status seines Trägers. Auf der Suche nach dem Ursprung der geheimdienstlichen »Schlapphut«-Beziehung könnte man daher auch an die klassischen Gangsterfiguren aus Chicago denken oder an den »hardboiled detective« der angloamerikanischen Kriminalromane. In den entsprechenden Krimis des 20. Jahrhunderts kommt allerdings dem Hut von sich aus – also über seine Funktion als zeittypisch modische Kopfdeckung hinaus – zunächst keine tragende Rolle zu: weder für Gangster noch für Detektive. Doch die aufkommende und nachhaltig Image prägende Filmindustrie veränderte dies. Sie wies dem Hut einen Symbolwert zu, ein Wiedererkennungs-Zeichen, das neben der Männlichkeit an sich auch auf ein spezielles Genre abzielen konnte. Bekannt ist hierbei etwa der »Borsalino«, der Hut der Hüte, der im italienischen Alexandria aus kostbarem Biberhaar gefertigt wurde und besonders in zahlreichen Gangsterfilmen dem Schurken überhaupt erst richtig ein Gesicht verlieh.

Eine andere, scheinbar naheliegendere Vermutung über den Ursprung des Begriff-Paars könnte der Mythos der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) während der Naziherrschaft sein. Schließlich agierten die Angehörigen der berüchtigten Geheimpolizei in zivil mit schwerem Ledermantel und eben mit »Schlapphut«. Doch auch diese Spur verläuft im Sand der Recherchen. (Die aktuelle britische Len Deighton-Serienverfilmung „SS GB„, in der die Nazis die Luftschlacht um England gewonnen haben, Großbritannien besetzt halten und die Polizei ihren eigenen Weg suchen muss, setzt die dekorativen Schlapphüte haufenweise ein, sie machen sich gut im Kontrast zu den SS-Uniformmützen und den Stahlhelmen.)
… wer jetzt noch einen Hut trägt …
Die österreichische Modespezialisten Ingrid Loschek stellte fest, dass im Verlauf der 1960er Jahre die Kopfbedeckung bei beiderlei Geschlecht aus der Mode kam und erklärte dies auch mit der zeitgleichen Verbreitung des Autos als Massenphänomen. In Autos waren Hüte störend. Endgültig wurde mit der Kulturrevolution der 1968er Jahre der Hut zum ablehnungswürdigen Symbol biederer und rückständiger Traditionen, Rollenklischees und politischer Systeme. Gerade auch in Deutschland. Die Konsequenz lag auf der Hand bzw. auf dem Kopf: Wer jetzt noch einen klassischen Hut trug, konnte leicht als reaktionär geoutet werden. Die Individualität wurde durch modische Frisuren ausgedrückt. Ein Hut störte dabei kolossal.

Diese Entwicklung, der schleichende Niedergang des klassischen Männerhuts, lässt sich sehr schön auch anhand der frühen James Bond-Verfilmungen sehen. In den Romanvorlagen Ian Flemings wurden den Kopfbedeckungen Bonds natürlich nicht entsprechende Bedeutungen zugemessen. Er trug einfach einen Hut, weil man ihn eben als Mann trug. Auch James Bond, genauer gesagt, Sean Connery bzw. George Lazenby, trugen in der Reihe der James Bond-Verfilmungen ganz selbstverständlich über viele Jahre eine adäquate Kopfbedeckung. Der »Trilby«, ursprünglich von »James Lock & Co« aus London gefertigt, der Connery als Bond etwa in »Dr. No« (1962) zuerst kleidet, wurde noch einmal weltweit zum Trend. In sechs Verfilmungen bis zu »Diamonds Are Forever« von 1971 trägt 007 in der berühmte Eingangsszene, dem Blick durch einen Pistolenlauf, stets ein entsprechendes Hutmodell, mit mehr oder weniger nach vorne leicht heruntergeklappter Krempe. Der genreprägendste Geheimagent der Welt trug somit in den 60er Jahren noch Hut, warf ihn auch gerne zum Amüsement von Miss Moneypenny zielsicher an den Garderobenhaken. Doch dann verschwand er, weil nicht länger modern und zeitgemäß.
So ist es kein Zufall, dass in der politischen Berichterstattung der Medien genau Ende der 60er Jahre erstmals der Begriff des »Schlapphuts« im Zusammenhang mit Geheimdiensten aufkommt. Bemüht man die Online-Archive der Wochenzeitung »Die Zeit« und des Wochenmagazins »Der Spiegel«, in denen deren Artikel seit 1946 bzw. 1947 als Volltext zu recherchieren sind, erscheint der Begriff »Schlapphut« im Geheimdienstkontext erstmals im Jahr 1968. In Werner Höfers Zeit-Artikel »Wirrwarr bei der Abwehr?« vom 22. November 1968 wird der erste BND-Präsident Reinhard Gehlen so beschrieben, dass dieser mit »Schlapphut und hochgeschlagenem Kragen« dem Bilde, das sich der »Laie gern von einem Menschen machen möchte, der Geheimnisse hütet«, entspricht. Wenige Tage später greift auch der »Spiegel« das griffige Motiv mit fast identischem Wortlaut auf. Am 16. Dezember 1968 beschrieb der Artikel über den BND »Plötzlich an der Tür« wiederum den Geheimdienstchef Gehlen mit dem eingeführten Stereotyp: »Mit Schlapphut, Sonnenbrille und hochgeschlagenem Kragen setzte er Maßstäbe der Geheimniskrämerei«. Erst danach finden Jahr für Jahr, zunächst langsam, aber stetig zunehmend der »Schlapphut« bzw. die »Schlapphüte« als negativ besetztes Synonym für Geheimdienst-Mitarbeiter Eingang in die politische Presseberichterstattung.
Das Volltextarchiv des »Spiegels« belegt dies exemplarisch. Sucht darin man nach der Kombination »Schlapphüte« und »BND« kommt in den Jahren vor 1970 lediglich der oben aufgeführte Treffer von 1968. Im nächsten Jahrzehnt bis 1980 tauchen die »Schlapphüte« lediglich zweimal auf, in den folgenden Jahren bis 1990 in weiteren drei Treffern. Zehn Jahre weiter, bis 2000, finden die Begriffe aber bereits in 29 Artikeln Verwendung, und bis zum heutigen Datum sind es 106 solcher Begriffe in Verbindung mit dem BND. In den Bundestagsdebatten und parlamentarischen Anfragen findet der Begriff »Schlapphüte« erstmals bei einer kleinen Anfrage der Fraktion PDS/Die Linke am 17. Juni 1994 Verwendung. In der parlamentarischen Debatte erst ein Jahr später – durch die Grünen am 6. September 1995.

Der Mann ohne Gesicht (aber mit Hut)
Die ersten Erwähnungen des »Schlapphuts« als typisches Accessoire des Geheimdienstes lässt sich konkret an der Person Reinhard Gehlen festmachen. Bilder von deutschen Geheimagenten aus Pullach waren öffentlich nicht existent. Fotos aus dieser Zeit tauchten erst viele Jahrzehnte später auf. Das Bild vom Beginn dieses Artikels oben wurde zwar vor 1949 aufgenommen, allerdings erst im 21. Jahrhundert öffentlich bekannt. Und auch der Geheimdienstchef selbst, Reinhard Gehlen, galt ebenso wie der ostdeutsche Auslands-Geheimdienstchef Markus »Mischa« Wolf in den 1940er bis 60er Jahren als »Mann ohne Gesicht«. Es existierte lange Zeit kein aktuelles Bild von ihm, außer alten Aufnahmen in Wehrmachtsuniform. Fotos in ziviler Kleidung waren Fehlanzeige. Ein frühes Bild Gehlens tauchte im September 1966 in der »Neuen Bildzeitung« auf, der DDR-Fälschung der echten »Bild«: »Die Blutspur führt nach München«, so der reißerische Artikeltitel, zeigte ein Bild von Reinhard Gehlen. Dieses Bild, ein kleiner Ausschnitt, entstammte einer Aufnahme des BND-Präsidenten angeblich beim Verlassen seines Dienst-Mercedes beim Besuch des Verfassungsschutzes 1958 in Hannover.
In den folgenden Jahren griffen die Zeitungen dann dieses eher unscharfe Bild von Gehlen immer wieder auf, besonders weil Gehlens Präsidentschaft nach März 1968 endete. Die Aufnahme präsentierte den obersten Geheimdienstmitarbeiter klischeemäßig mit Sonnenbrille und natürlich »Schlapphut«. Auch in weiteren folgenden Aufnahmen von Gehlen, die danach auftauchten, war er gut „behütet“. Gehlens »Schlapphut«, ein »Fedora«, ein weicher Filzhut nach unten geknickt und an beiden Seiten eingekniffen, wurde in der Geheimdienstausstellung im Militärhistorischen Museum in Dresden 2016 ausgestellt. Die Ausstellungsmacher fanden es damals bemerkenswert, dass Reinhard Gehlen tatsächlich einen »Schlapphut« trug – dass also selbst der BND-Präsident das Klischee erfüllte. Dabei war es, genau betrachtet, genau umgekehrt. Denn offenbar hatte das »Schlapphut«-Motiv in Deutschland seinen Ursprung gerade in der öffentlichen Wahrnehmung des Geheimdienstchefs Reinhard Gehlen und seiner über Jahrzehnte sich entwickelnden Adaption auf das gesamte Geheimdienstmilieu an sich. Wieso aber mutierte der »Schlapphut« zur Negativfolie?

Hierbei helfen Erklärungen späterer BND-Präsidenten weiter. In dem »Spiegel«-Artikel vom 19. März 1984, »Dieser Dilettanten-Verein«, wird explizit auf die Gehlen-Ära und die Geheimdienstmitarbeiter der ersten Jahrzehnte im Nachkriegsdeutschland eingegangen. Gehlen hätte seine Mitarbeiter aus SS und Sicherheitsdienst, aus altem Adel, Ost-Emigranten usw. rekrutiert. Deren Weltbild sei antikommunistisch, militärisch geprägt und ihr Rechtsbewusstsein dürftig entwickelt gewesen. Als Kronzeuge dieser Aussage wurde Klaus Kinkel, selbst Präsident in Pullach von 1979 bis 1982, zitiert, er verspottete die »Agenten des alten Gehlen-Schlags […] als „Schlapphut-Indianer“«. Zwölf Jahre später blies der zu dieser Zeit amtierende BND-Präsident Hansjörg Geiger (1996 – 1998) in dasselbe Horn: »Schlapphut und Sonnenbrille sowie der konspirative V-Männer-Kult erscheinen ihm als Relikte einer untergegangenen Zeit«, wurden seine Ansichten in »Der Mann mit den zwei Gesichtern« im »Spiegel« vom 3. Juni 1996 wiedergegeben.

Der »Schlapphut« war nicht nur inzwischen ein gängiges Symbol für das klischeemäßige Abbild eines Agenten geworden, begrifflich abgeleitet erstmals von der öffentlichen Wahrnehmung Reinhard Gehlens. Er fand seine erste Funktion als negative Zuweisung, als »alter Hut«, als eine Umschreibung für konservatives und rückwärtsgewandtes Denken, politisches sowie geheimdienstliches Handeln. Erst in den 90er Jahren wurde der »Schlapphut« weiter als Negativattribut ausgebaut zur allgemeinen Chiffre für Dilettantismus und eigener Rechtauffassung.
Wenn jemand einen anderen Ursprung der »Schlapphüte« aufzeigen kann, ob in Dokumenten, Kriminalromanen, Zeitungsartikeln oder Filmszenen, ist herzlich eingeladen, den Kontakt mit CrimeMag aufzunehmen und seinen Hut in den Ring zu werfen.
Bodo V. Hechelhammer
Kontakt via CrimeMag: CrimeMag(at)gmx.de
Bodo V. Hechelhammer ist Chefhistoriker des BND – mit einem kundigen Faible für die populärkulturellen Spiegelungen der Agenten- und Geheimdienstwelt. Seine Texte bei CrimeMag hier.
„Geheimdienst ist besonders spannend unter kulturhistorischer Sicht“, ein Interview von Alf Mayer mit dem Autor über das Buch Doppelagent Heinz Felfe entdeckt Amerika. Der BND, die CIA und eine geheime Reise im Jahr 1956 hier.