
Widersprüchliche Figuren, raffiniertes Storytelling, Reisen an atemberaubende Orte, beeindruckendes Artwork und innovative Technik. Gutes Gaming bietet immersive Erlebnisse, die garantiert in Erinnerung bleiben und dabei 100% Covid19 sicher sind. Christopher Werth stellt ab jetzt hier handverlesene Games vor, die es mit Netflix oder guten Büchern aufnehmen können.
Games entführen Spieler:innen in spektakuläre historische Szenarien, Endzeit-, Fantasy-, SciFi- und andere Traumwelten. Alles ist möglich, es gibt keine Grenzen. Je extremer und abgefahrenerer, desto besser. Firewatch tut das auch – aber auf einem ganz eigenen Weg. Man begleitet einen leicht übergewichtigen Mann mit Alkoholproblem an den absoluten Tiefpunkt seines Lebens im Jahr 1989.
Henry kann nicht mehr. Seine Wohnung verwahrlost immer mehr, und sein Leben kann er nur noch im Suff ertragen. Die Lage spitzt sich immer weiter zu, bis er schließlich wegen Trunkenheit am Steuer eine Nacht im Gefängnis verbringen muss. Der Grund für seinen Absturz: Julia. Die Liebe seines Lebens ist mit Anfang 40 an Alzheimer erkrankt. Die aufwendige Pflege und die langsame Auflösung ihres Charakters bringen ihn emotional und körperlich an seine Grenzen. Wenn Julia schläft, greift er vorm Fernseher zur Flasche. Oder er schließt sie ein und lässt sich in seiner Lieblings-Bar volllaufen. Nach einem Konflikt mit dem Gesetzt greifen die Eltern seiner Frau durch und nehmen sie bei sich auf. Henry ist zum ersten Mal seit Jahren mit sich allein. Was er jetzt braucht ist Zeit für sich, um im wahrsten Sinne des Wortes einen klaren Kopf zu bekommen. Spontan nimmt er einen verrückten Job für den Sommer an: Feuerwache in einem Nationalpark in Wyoming. Im Shoshone National Forest, der zusammen mit dem Yellowstone Park als eines der letzten großen, beinahe intakten Ökosysteme in der nördlichen gemäßigten Zone der Erde gilt. Mit reduzierten, klaren Sätzen tauchen wir im Prolog in die Tragödie der beiden Menschen ein. Und dann geht Firewatch erst richtig los.


Henry tritt seinen Job als Feuerwache im Shoshone National Forrest an. Ein großer Aussichtsturm ist sein Arbeitsplatz. Seine Aufgabe: Feuer entdecken und rechtzeitig Hilfe holen, um Schlimmeres zu verhindern. Die Handlung des Spiels ist nämlich kurz nach den katastrophalen Waldbränden in Wyoming 1988 angesiedelt. Grade jetzt mit den kalifornischen Brandkatastrophen bekommt das eine erschreckende Aktualität. Die sich langsam erholende Natur und der Mensch, der sich nach dem persönlichen Kollateralschaden wieder zusammensetzen will, bilden das große Leitmotiv der Geschichte.


Die einzige Person, die Henry in diesem Zustand näherkommt, ist Deliah, seine Chefin. Mit ihr ist er nur über das Walkie-Talkie verbunden. In pointierten kleinen Wortgefechten, bei denen wir Henrys Antworten auswählen können und damit entscheiden, was er von sich preisgibt, kommen sich die beiden Tag für Tag näher. Und weil es 1989 ist, navigieren wir uns dabei mit einer Papierkarte und einem Kompass durch die Berge und Täler. Dabei zieht uns die besondere Atmosphäre immer weiter in einen subtilen Thriller um im Park vermisste Menschen und ein geheimes Forschungszentrum. Die unfassbar beeindruckende Natur wird in einem ästhetisch stilisierten Comic-Look dargestellt. Wechsel der Tagesszeiten und Wetterumschwünge sind stimmungsvoll inszeniert und je nach Region, Uhrzeit und Situation begleiten uns der exzellente Soundtrack und das Sounddesign von Chris Remo.



Die Story nimmt einen mit. Man muss sich am Himmel und am Kompass orientieren, Wege finden. Man kann Tiere oder Sternschnuppen beobachten und begleitet Henry bei seinem Versuch, sich darüber klar zu werden, wie es mit seiner Ehe, seinem Leben weitergehen soll. Er lenkt sich ab – und kommt immer mehr zu sich selbst, ohne wirklich auf ein Happy End zuzusteuern.
Spiel-Anfänger:innen brauchen keine Angst zu haben. Man wird vom Gameplay nicht groß gefordert, es geht hier nicht um Highscore oder Geschicklichkeit und schnelles Klicken. Das Interface und die Steuerung der Figur erschließen sich intuitiv. Und dafür kann man sich Zeit lassen. Das Spiel hat außerdem eine ideale Länge von ca. vier bis sechs Stunden, je nachdem, wie intensiv man die Welt erkundet. Etwa wie bei einer Staffel einer Serie verbringt man hier intensive Stunden, die im Gedächtnis bleiben und berühren.
Auch stellt das Spiel trotz beindruckender Grafik keine besonderen Ansprüche an die eigene Hardware. Es geht hier einzig und allein um die Story. Und die verbindet Tiefgang mit der Faszination eines der letzten noch fast vom Menschen unberührten Zonen der Erde. Die einzige Ansteckungsgefahr besteht hier höchstens darin, nach der Welt und dem Sound von Firewatch süchtig zu werden. Und damit bildet dieses Spiel einen fast perfekten Einstieg in die unendlichen Weiten des Gamings.
Originaltitel: Firewatch
Website: hier
Entwickler-Studio: Campo Santo
Publisher: Panic Inc., Campo Santo
Leitende Entwickler: Nels Anderson, James Benson
Soundtrack: Chris Remo
Erstveröffentlichung: 9. Februar 2016
Plattformen: Linux, macOS, Nintendo Switch, PlayStation 4, Windows, Xbox One