Geschrieben am 21. Mai 2011 von für Crimemag

CrimeMag Primär: Guido Rohm: Deine Frau geht fremd

CrimeMag Primär, heute mit einer neuen Story von Guido Rohm. Text, einmal ohne Bilder …

Deine Frau geht fremd

Stell dir das vor. Stell dir das so vor. Ein Zettel. Deine Frau geht fremd. Eine kurze Nachricht, hinterlassen auf einem kleinen Notizzettel, der hinter den Scheibenwischer geklemmt wurde. Die Worte springen dir sofort ins Auge und verhaken sich dort. Sie brauchen keinen Wurm, denn die Worte sind Haken und Wurm zugleich. Du schluckst die Worte. Du steigst in den Wagen. Du willst den Wagen starten. Nein! Was soll das heißen?

Eine klare und unmissverständliche Aussage. Deine Frau geht fremd. Du überlegst. Du könntest zurückgehen. Sie würde nicht mit dir rechnen. Unsinn. Das war ein Streich. Du lachst durch die Windschutzscheibe hindurch. Du blickst die Straße hinab. Nichts zu sehen. Die anderen Männer sind bereits an der Arbeit. Deine Frau geht fremd. Das steht da und verlangt nach Aufklärung. Du hältst den Zettel in deiner rechten Hand. Du zerknüllst ihn. Sie geht nicht fremd. Keine Anzeichen. Nichts, was dafür sprechen würde. Ein fremdes Auto fährt langsam an dir vorüber. Du erhascht ein Gesicht. Ein Mann, den du noch nie zuvor in dieser Gegend gesehen hast. Vielleicht ein Vertreter. Jemand, der sich verfahren hat. Du drehst die Scheibe nach unten. Luft. Sauerstoff. Du musst fahren. Du müsstest fahren. Unbedingt. Das wird Ärger an der Arbeit geben. Du fährst nicht. Du spürst den Papierball in deiner Handfläche. Die Worte brennen auf der Haut. Die Worte sickern in deine Blutbahnen. Durchströmen deinen Körper. Die Worte wandern zum Herz und werden von dort erneut in den Kreislauf gepumpt. Die Worte wüten in dir und schrecken dich auf. Die Worte werden zu kleinen Soldaten, die mit ihren Gewehren auf dich zielen. Die Worte erinnern dich an deinen besten Freund. An seine Blicke, die sich in deiner Frau verlieren. Er starrt sich in ihren Leib. Er ist in ihr und auf ihr und mit ihr, während du in diesem Wagen sitzt und einen Papierball knetest. Die Worte wollen leben. Du kannst ihren Trieb spüren. Sie arbeiten sich aus dem Körper an die Oberfläche. Die Worte sind zu Schweiß geworden, in dem du badest, Schweiß, der dich nicht mehr verlassen wird. Du wirst den Geruch aus Angst und Wut nicht mehr abwaschen können. Sie betrügt dich. Du spürst es. Du weißt es. Jetzt bist du dir sicher. Die Worte tanzen in der Luft. Sie setzen sich in deine Haare und auf deine Zunge. Miststück. Das hast du gesagt. Das hast du nicht gesagt. Du weißt es nicht. Du kannst nicht sagen, ob du das Wort ausgesprochen hast, oder ob du es vorher schlucken konntest. Das Wort war da. So wie die anderen Worte. Worte tummeln sich auf Worten. Die Worte deines Vaters, der deine Mutter verließ. Ich komme wieder. Das hat der Vater gesagt und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Der Vater ist fort. Du bist hier. Du sitzt in deinem Wagen und lässt die Sonne in dein Gesicht fallen. Die Sonne verkrallt sich in deinen Augen. Die Augen schmerzen. Deine Frau geht fremd. Nur ein paar wenige Worte, die sich nun wie Giftgas im Wageninnern ausbreiten. Du willst nicht daran ersticken. Du wirst nicht an diesen Worten krepieren. Du öffnest die Tür. Du steigst aus. Du stehst vor deinem Wagen. Du siehst zum Haus hinüber. Du kannst keinen fremden Wagen erblicken. Hier ist niemand. Absolut niemand. Du bist mit dir und deinem Verdacht allein. Der Verdacht lähmt dich. Die Hitze gräbt sich tief in dich ein. Du stehst in deinem Schweiß, der dich von nun an begleiten wird. Sie können dich riechen. Sie werden es alle wissen. Sie wissen es alle schon lange. Sie sind alle eingeweiht. Nur du hast es nicht gewusst. Du wirst eine Erklärung verlangen. Jetzt. Nein. Du kannst das nicht tun. Du würdest es nicht verkraften. Du kannst nicht ohne sie leben. Niemals. Sie ist dein Leben. Du würdest ohne sie sterben. Sie wird sterben. Sie wird sterben müssen, wenn sich die Worte auf dem Zettel bewahrheiten sollten. Der Zettel lügt. Du glaubst nicht an den Zettel. Der Zettel ist von einem, der deine Ehe zerstören will. Also gibt es doch einen Nebenbuhler. Jetzt hast du ihn. Einen Beweis. Der Beweis liegt in deinem Kopf. Dein Kopf dreht sich und erkundet die Straße. Du achtest auf die Geräusche. Da sind keine Geräusche. Da müssen doch Geräusche sein, da müssen doch Vögel sein, eine Mutter, die ihr Kind ruft, Kleinkinder, die schreien, die toben, die dich aus deinem Traum wecken, aus deinem Albtraum, der dich angefallen hat, hier und jetzt. Du schüttelst dich. Du schüttelst den Kopf. Ruhe jetzt. Du schreist es mit stummer Stimme. Nie würde ich sie töten. Könnte ich das denn? Die Frage beunruhigt dich. Du rutscht auf  einer Lawine ins Tal. Die Lawine überrollt dich, bis sie plötzlich vor der Tür steht. Sie sieht zu dir hinüber. Deine Frau geht fremd. Stand da. Stand doch auf dem Zettel, den du in deiner Faust hältst. Du wirst ihr den Zettel nicht zeigen. Niemals. Eher wirst du sterben. Ihr könntet beide sterben. Das Bild überfällt dich. Du willst das Bild nicht in deinem Kopf haben. Sie winkt dir zu. Sie ruft. Alles in Ordnung? Was sollst du jetzt sagen. Du musst ihre eine Antwort geben. Irgendeine Antwort. Du kannst ihr nichts von Mord und Selbstmord und Verrat und einem Zettel erzählen. Nicht an diesem Morgen. Auch an keinem anderen Morgen. Es gibt kein Beweis. Du hebst deinen Arm. Du öffnest die Faust. Der Papierball fällt zu Boden. Du winkst zurück. Du lässt den Ball liegen. Ein Spielball. Damit können doch die Kinder spielen. Nicht die Kinder. Die tragen ihn zu ihren Eltern. Du kickst den Ball zu einem Kanaldeckel. Da sind Löcher. Der Ball passt nicht hindurch. Du drehst dich zum Wagen hin. Weg hier. Endlich an die Arbeit. Der Papierball liegt noch dort. Du kannst ihn nicht dort lassen. Du siehst zu deiner Frau hin. Sie ist im Haus verschwunden. Was tut sie dort? Telefoniert sie? Mit ihm? Du greifst dir den Zettel. Diesen kleinen gemeinen Klumpen Papier. Deine Frau geht fremd. Nein. Das tut sie nicht. Das würde sie niemals tun. Du willst in den Wagen steigen. Jetzt. Es muss sein. Du schwitzt. Du denkst. Du träumst. Du bist nicht an diesem Ort. Du schläfst noch. Vielleicht. Keine Geräusche. Warum sind da keine Geräusche? Du gehst auf dein Haus zu. Du wirst sie fragen. Sie wird dich belügen. Du wirst die Wahrheit erfahren. Du hast zwei Hände. Du bist ein Mann. Du kannst jetzt nicht zurückgehen. Du bist auf dem Weg zu ihr. Sie wird das Schweigen brechen. Deine Hände ballen sich zu Fäusten. In der einen Faust verbirgst du den Papierball. Du wirst ihr den Ball jetzt zuspielen. Sie wird ihn annehmen müssen. So oder so! Deine Frau geht fremd!

Guido Rohm

Guido Rohm wurde 1970 in Fulda geboren, wo er heute auch lebt und arbeitet. Er schreibt u.a. für verschiedene Onlinemagazine. Sein Debüt, der Kurzgeschichtenband „Keine Spuren“, erschien 2009 im Seeling-Verlag (Frankfurt). Der deutsch-französische Schriftsteller und Übersetzer Georges-Arthur Goldschmidt schrieb das Vorwort zu „Keine Spuren“. Sein erster Roman „Blut ist ein Fluss“ erschien im Frühjahr 2010 ebenfalls im Seeling-Verlag. Seine jüngste Veröffentlichung, die Erzählung „Eine kurze Geschichte der Brandstifterei“, wurde im Textem-Verlag (Hamburg) veröffentlicht. 2011 werden der Roman „Blutschneise“ (Seeling-Verlag) und der Kurzgeschichtenband „Die Sorgen der Killer“ (Kulturmaschinen) erscheinen. Bei den Kulturmaschinen erscheint im Frühjahr 2012 außerdem der Roman „Schmutzige Hunde“.

Und demnächst dies!