Geschrieben am 19. Februar 2011 von für Crimemag, Porträts / Interviews

David Osborn: Jagdzeit. Teil 2

Die Methoden des Machtkampfes

Osborn im Klassiker-Check, Teil 2

– In diesem Frühjahr erscheinen in einer Neuauflage zwei lange vergriffene Klassiker amerikanischer Spannungsliteratur: James Dickey, Flussfahrt (280 Seite. 14 Euro. Seeling Verlag, Frankfurt) und David Osborn, Jagdzeit (272 Seiten. 10,95 Euro. Pendragon Verlag, Bielefeld). Beide Romane haben einen vergleichbaren Ausgangspunkt. Beide wurden Weltbestseller und beide wurden verfilmt – der eine mit Burt Reynolds, der andere mit Peter Fonda in der Hauptrolle. Der eine Film ist längst ein Klassiker, der andere ein weitgehend vergessenes B-Movie. Für sein Nachwort zu „Jagdzeit“ hat sich Frank Göhre auf Spurensuche nach dem einst populären Autor David Osborn begeben. Hier Teil 2 (zu Teil 1) der um einige Passagen erweiterten Fassung …

David Osborn hat zu der Zeit die Provence schon verlassen, lebt in London und pendelt zwischen der britischen Metropole und Paris hin und her. Er dreht eine zweistündige Dokumentation über den argentinischen Formel 1-Rennfahrer Juan Manuel Fangio, berät Jacques Tati bei seiner Rolle als „Monsieur Hulot“ und ist in der Seinestadt auch für die Disney-Produktion tätig.

In den frühen siebziger Jahren aber gerät die britische Filmindustrie in eine ernsthafte Krise. Für Osborn gibt es kaum noch neue Aufträge. Er packt seine Sachen und wechselt erneut den Wohnsitz.

Es ist ein kleines, friedliches Alpendorf in der französischen Schweiz mit „70 Einwohnern und 200 Kühen“, wie er später seinem deutschem Verleger Paul Zsolnay mitteilt. Dort startet er seine bislang letzte Karriere.

Der inzwischen Achtundvierzigjährige debütiert mit „Glass Tower“, 1971, als Buchautor und landet mit seinem zweiten Roman einen dann internationalen Bestseller. „Open Season“, 1974 (deutsch: „Jagdzeit“, Wien/Hamburg. 1975; neu: Bielefeld 2011) wird in über 15 Sprachen übersetzt und hat allein in Deutschland eine Gesamtauflage von über 150.000 Exemplaren. „Der Stern“ druckt den als einen der „spannendsten, schonungslosesten und härtesten Romane, die je aus Amerika zu uns kamen“ (Klappentext der deutschen Hardcoverausgabe) vom 3. April bis 11. September 1975 als Fortsetzungskrimi.

Die Ausgangssituation der Story ist ein vor allem in der amerikanischen Literatur beliebtes Motiv: der Aufbruch zu einer Reise, zu einem Trip ins Abenteuer, ins Ungewisse. Mark Twain lässt Tom Sawyer und Huckleberry Finn den Mississippi erkunden, Jack Kerouac geht „On The Road“ und James Dickey veröffentlicht 1970 den mit dem „National Book Award“ ausgezeichneten und David Osborn zweifellos inspirierenden Roman „Deliverance“ (Deutsch: „Flussfahrt“, NA. Frankfurt 2011) – unter dem Titel „Beim Sterben ist jeder der Erste“ mit Burt Reynolds erfolgreich verfilmt:

Vier amerikanische Mittelständler, ausgerüstet mit Jagdmesser und Pfeil und Bogen, wollen in Kanus einen reißenden Gebirgsfluss hinunterfahren. Es wird zu einer Tour in den Tod.

In „Open Season“ lässt Osborn seine drei Protagonisten aus vergleichbarem sozialem Umfeld zur Jagd aufbrechen:

„Es war der erste November und noch dunkel. Er [Ken Frazer] sollte Art Wallace und Greg Anderson nach Möglichkeit vor sieben anholen. Sie hatten heute eine lange Fahrt vor sich. Gestern hatten er und Helen zum Sonntagslunch eingeladen und er hatte viel zu viel getrunken … Nach Mitternacht waren schließlich alle Gäste gegangen. Mehr aus Tradition als aus einem besonderen Bedürfnis heraus hatte Ken mit Helen geschlafen. Dabei wurde sie unerwartet erregt und er musste ein zweites Mal ran. Danach hatte er wie ein Toter geschlafen. Jetzt regte sie sich neben ihm … Miststück, dachte er, warte nur, bis ich zurück bin.“

Wie jedes Jahr will Ken sich erst einmal einen grausam brutalen Kick verschaffen, mit seinen Jugendfreunden tief in den einsamen Wäldern nahe der kanadischen Grenze seinen Spaß haben – „typisch amerikanischen Große-Jungs-Spaß“. Sie kidnappen ein Liebespaar, demütigen und misshandeln die Beiden in ihrer Jagdhütte und geben ihnen dann 20 Minuten Vorsprung, bevor sie ihnen folgen, sie einkesseln und kaltblütig abknallen. Doch dieses Mal werden sie die Gejagten.

In der Verfilmung von 1975 nach Osborns eigenem Drehbuch haben Ken, Art und Greg, anders als im Roman, einen zeitgemäßeren Background als Vietnam-Veteranen. Der Film wird als britisch-spanisch-italienische Co-Produktion in Spanien und mit ein paar Drehtagen in New Mexiko extrem billig hergestellt.

Es ist ein typisches B-Picture mit dem in „Easy Rider“ (1969) populär gewordenen Peter Fonda und einem 40 Sekunden-Auftritt von William Holden, der als rächender Vater (im Roman ist es der Ehemann eines Vergewaltigungsopfers) dem letzten der drei Killer mit auf dem „Weg in die Hölle“ gibt: „Ich habe gesehen, wohin eure Ausbildung bei der Armee geführt hat – zur reinen Lust am Töten. Doch auch ein Soldat hat nicht das Recht, noch nach dem Krieg zu töten.“ Sagt es und knallt Ken (Peter Fonda) ab: „Das hat man vergessen, euch zu sagen.“

Okay, das war’s dann. Kein Ausblick, kein versöhnlich-sentimentaler Abspann. Ein abruptes Ende.

Der Film ist im März 2010 erstmals auf einer DVD erschienen, die neben der inhaltlich gekürzten deutschen auch die amerikanische Langfassung und eine Super-8-Version enthält.

David Osborn schreibt noch weitere erfolgreiche Romane – „Der Maulwurf“, „Schach der Dame“ und „Köpfe“, ein visionärer Vorgriff auf die Zukunft der Medizin: „Sein untrüglicher Sinn für die innere Logik eines komplexen Geschehens heben diesen Autor in den Rang eines Graham Greene oder John le Carré“, textet sein damaliger deutscher Verlag. Man muss nicht ganz so hoch greifen. Es reicht schon zu sagen: Der Mann ist stilsicher und weiß spannend zu erzählen.

Osborn kehrt schließlich in die USA zurück und etabliert dann noch mit Margaret Barlow eine Detektivin, die an eine modifizierte Miss Marple denken lässt – im Vergleich zu seinen vorherigen Büchern eher leichte Kost.

2004 aber ist von dem jetzt in Connecticut lebenden Autor als vorerst letztes Buch „The Last Pope“ erschienen, ein Schlüsselloch-Roman über die Intrigen und Machenschaften im Vatikan. Verbunden jedoch bleibt David Osborne Name vor allem mit seinem Weltbestseller „Oper Season“, der die Leser nach wie vor unvermindert stark in den Bann zieht.

Frank Göhre

Bibliografie

The Glass Tower, 1971
Open Season, 1974 (deutsch: Jagdzeit, Wien/Hamburg, 1975)
The French Decision, 1979 (deutsch: Der Maulwurf, Wien/Hamburg, 1980)
Love And Treason, 1982, (deutsch: Schach der Dame, Wien, 1983)
Heads, 1985, (deutsch: Köpfe, Wien, 1985)
Jessica And The Crocodile Knight, 1984
Murder On Martha’s Vineyard, 1988 (deutsch: Mord auf Martha’s Vineyard, München. 1993)
Murder On The Chesapeake, 1992 (deutsch: Mord an der Chesapeake Bay, München, 1993)
Murder In The Napa Valley, 1993 (deutsch: Mord im Napa Valley, München, 1994)
The Last Pope, 2004

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