Geschrieben am 31. März 2009 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Der deutsche Schauerroman um 1800

Huh-Buuuu mit Asketen

Genres sind nicht unbedingt allzu säuberlich von einander getrennte Dinger. Sie hängen vielfältig zusammen und sind schon gar nicht nationalliterarisch zu sortieren. Aktuell nicht und historisch schon gar nicht. Deswegen hat sich Nadja Israel für uns in ihre Persona – „Frau E.“ – begeben und berichtet von einer sehr, sehr, sehr seriösen Tagung zum Thema.

Bericht einer reisenden Enthusiastin

zu einer internationalen Tagung des Instituts für Germanistik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und des Department of Germanic Studies des Trinity College Dublin.

Man konferiert in diesem Rahmen über „Populäre Erscheinungen: Der deutsche Schauerroman um 1800 im internationalen Kontext/ Popular Visions. The German Schauerroman around 1800 and its international Contexts.“
Frau E. bemerkt: Vergleichbar dem Hoffmanschen Personal, kommen die Gelehrten von weit her, um im altehrwürdigen IZEA-Gebäude der Stadt Halle an der Saale, über das Wunderbare und das Wunderliche zu tagen. In ritualisierter Form werden zwischen alten Burgen, Gespenstern und Wiedergängern, die Wissenschaftler einander vorgestellt und nach vollendetem Beitrag höchst kultiviert und freundlich abgedankt.

Wiederholt wird darauf eingegangen, dass die Gattung Schauerroman, ihrerseits sich häufig wiederholend, zwischen Reflexion und Imagination schwebend, die Lust am Bösen, der Angst und dem Unheimlichen ausformuliert.
Was aber macht die ästhetische Valenz dieser Wiederholungen aus und was kann uns eine Beschäftigung mit dieser seinerzeit populären Gattung, einem literarischen Grenzphänomen zwischen Spätaufklärung und Romantik, aus heutiger Sicht bieten?

Das ist nur eine der zentralen Fragen, der die Forschung in der Schauerromantik nachzugehen versucht, hat sie sich doch insbesondere in Deutschland, anders als im englischsprachigen Raum, auch immer mit dem Vorwurf der Trivialität auseinander zu setzen.

Bibliografisches „terra incognita“

Es war einmal vor langer Zeit, da galten unheimliche Geschichten als genuin deutsches Terrain.
Die Tagung verschafft Einblicke in eine Zeit, in der die sogenannten „Horror Mysteries“ als Prädikatsbezeichnung Untertitel wie „German Story“ und „German Tale“ trugen um ihren Absatz im englischen Sprachraum zu fördern denn deutscher Horror verkaufte sich gut. Um aber dem englischen Lesegeschmack nachzukommen, wurden die schauerromantischen Anteile in den „Übersetzungen“ überdeutlich ausgeschmückt und übertrieben. Unser heutiges Verständnis von Urheberrecht nicht im Blick, sind diese Schauerromane Produkte fröhlichen Gedankendiebstahls oder gar Plagiate und nicht mehr als Übersetzungen anzusehen.
Dass das Schreiben von Schauerromanen „bezahlt, aber nicht belohnt“ wurde, erfährt der Zuhörer gleich zu Beginn der Vortragsreihe. (Dirk Sangmeister)

Das heterogene Tagewerk, geprägt durch Simultanproduktionsprozesse, in denen die Autoren verpflichtet wurden, nach dem Geschmack des Lesepublikums zu schreiben, charakterisieren die Gattung und werden vielmehr als Handwerk, denn als Kunst beschrieben.

Es mag schon deshalb nicht verwundern, dass die Verfasser von Schauerromanen sich selten zu dieser „Trivialliteratur“ persönlich bekannten und Autorennamen wie Joseph Alois Gleich oder Christian Heinrich Spieß eher in ausgewiesenen Expertenkreisen feste Größen sind. Aber auch für die weiblichen Autoren und Übersetzter, wie Benedikte Naubert oder Meta Liebeskind-Forkel, war die Verschleierung der eigenen Identität von großer Bedeutung, da sie im wirklichen Leben fürchten mussten, Dämonisierungen anheim zu fallen.

Gleichwohl ist die Anonymität vieler Verfasser von Schauerromanen auch einer der Gründe für die schwierige Forschungslage, mit der Literaturwissenschaftler zu kämpfen haben. Wen verwundert da noch die These, es fehle dem Schauerroman an einer gründlichen und umfassenden Bibliografie.
Frau E. bemerkt: Um die Aktualität des eigenen Untersuchungsgegenstands zu bekräftigen, schleichen sich Begriffe wie Marktanteile, Bestseller und marktökonomische Anhaltspunkte in die Tagungsdebatte, womit der momentanen Tendenz, der Durchökonomisierung der Geisteswissenschaften Rechnung getragen wird.

Das Fremde, das Andere und der Zufall

Die Vorträge machen deutlich: Es gibt ein symptomatisches Interesse an der geheimen Geschichte im Schauerroman. Das Rätsel, die psychopathologischen Phänomene werden zur Sensation, auch zu Unterhaltungszwecken gesteigert und treffen dabei auf ambivalente Erzählstrukturen, Motivakkumulationen und sich wiederholende Genreelemente.

Der Prozess, in dem das vermeintlich Übernatürliche erklärt wird, entspringt dann aber einer sich selbst nicht mehr trauenden Subjektivität des aufgeklärten Menschen. Die Geister und Wiedergänger, das Kranke in den Ruinen des eigenen Schlosses, werden im Schauerroman als Krankheit des Adels und gehobenen Bürgertums lesbar.

Nicht selten werden unheimliche Gestalten, die den Schauerroman bevölkern, denn auch von den „einfachen Leuten“ im Erzählgeschehen überführt und das explained supernatural verwoben mit der Frage der Stände! Diesem „einfachen“ literarischen Personal wird eine – wie auch immer geartete – Einheit, eine Natürlichkeit zugesprochen, die sie gleichzeitig befähigt, Geister in Menschen aus Fleisch und Blut zu verwandeln und damit den Horror zu bannen. Dass dabei das Wunderbare nie in der Gegenwart angesiedelt ist, sondern immer auf Vorgänge in einer mythischen Vergangenheit verweist, bildet eine für den Schauerroman exemplarische, historisierende Erzählstruktur, die insbesondere für den englischen historischen Roman (Sir Walter Scott) bedeutsam wurde. (Silke Arnold-de Simine)
Frau E. merkt angesichts der versammelten Experten an: Wie historisch sind diese Phönomene? Denn:
Der Schauerroman kann immer auch als ein Stück Wissenschaftsgeschichte verstanden werden. Brownianismus, Mesmerismus und Magnetismus bemühen sich, dass Unheimliche und Übernatürliche medizinisch, empirisch zu bannen oder zu verifizieren. Medizinsche Vorgehensweise um 1800 ist somit inhaltlich Thema und erzählerisches Verfahren zugleich in der Schauerromantik. Das Übernatürliche wird dabei zum „Supernatural explained in medical terms“. (Stefan Höppner)

Dem medizinisch angestrebten Gesundheitszustand von innerem und äußerem Einklang steht das schauerromantische, nicht ganz so versöhnliche Paar von innerem Terror und äußerem Horror gegenüber. Hier ist Alltagsrealität durch Imagination transformiert und überhöht zu einem Ort an dem religiöse Melancholie, Ohnmachtsgefühle und Paranoia angesiedelt sind.
Frau E. notiert: Dem Menschen ist die Säkularisierung des eigenen Schicksals unheimlich, damals wie heute, daher bilden Kontingenzerfahrung und Alterität die Nachtseite der Aufklärung und die Schlüsselworte dieser Tagung.

Moderne Ansätze

Lässt sich der Beginn der Moderne in der Spätaufklärung ansiedeln?
Mit einem systemtheoretischen Forschungsansatz lassen sich Fragen wie dieser nachgehen und die häufig unterschätzte Modernität des Schauerromans herausstellen. (Mario Grizelj) So betrachtet wäre der Schauerroman nur eine Möglichkeit der Moderne, Alteritätserfahrung zu gestalten und wird in dieser Denkart als literarisches „Ambivalenzmanagement“ gezeichnet. Hier ist Vereinfachung komplexer Problemlagen mittels dichter Beschreibungen möglich. Im vereinfachten Schema von Ordnung-Bestätigung-Beruhigung dürfen und durften sich die Leser ihrer Angstlust hingeben und sich eine Pause gönnen von der moralischen Notlage, Herr des eigenen Geschicks sein zu sollen.

Der moderne Mensch ist geboren, begleitet von den Abspaltungen seiner selbst in Form von Vampiren, Gespenstern und Monstern, Figuren der Affirmation, Subversion und Transformation.

Und es geht noch weiter: Der Schrecken entwickelt sich im Zuge des Emanzipationsprozesses zunehmend vom Äußeren in die innerste Seele des Menschen und entdeckt dabei das bis heute mehrfach wirksame „othering“.

An dieser Stelle lässt sich für die Untersuchung der Gattung, die Geschlechterforschung besonders dienstbar machen. Mit geschlechtspolitisch pointierter Sichtweise kann man von verschiedenen Autorinnen verfasste Schauerromane als pessimistische Entwicklung- und Bildungsromane für Frauen auffassen, in denen das Unheimliche unaufhaltbar in die häusliche Ordnung hereinbricht. Das Grauen lässt sich hier nicht länger auf etwas identifizierbares, anderes projizieren, es rückt unaufhaltsam nach innen und es destabilisiert und gefährdet die Familie.

„Radikal gegendert“ (Hans-Richard Brittnacher) wird an Edgar Allan Poe (Arthur Gordon Pym) außerdem deutlich, dass insbesondere im anglo-amerikanischen Raum immer häufiger aus dem imaginären Extrem, das der Schauerroman zu brauchen scheint, aus der Apposition der Stände eine Apposition der Geschlechter wird. Mit aller Macht wird daran gebastelt, den Frauen die Fortpflanzung aus der Hand zu nehmen, um sich aus der imaginierten „vampirischen Disposition aller weißen Frauen“ zu befreien. In diesem Horrorszenario gestalten und erkunden asketische, männliche Forscher und Wissenschaftler, in der Schauerromantik eine unfruchtbare, kalte, weiße Welt des ewigen Eises ohne Frauen – wohlfeil diese der männlichen Subjektwerdung nur im Wege stehen.

Uferlos wabernd,

… geisterhaft erscheint der Schauerroman am Ende Frau E., sich teilend in Ritterromane Banditnovels, Feenmärchen und Robinsonaden, genauso wie Schillers „Der Geisterseher“. Jean Pauls „Titan“ und (nicht nur) Hoffmanns „Nachtstücke“. Hin und her gewendet, durchökonomisiert, radikal gegendert und systemtheoretisch betrachtet, das Tagungspublikumbefindet sich am Ende in einem somnambulen Zustand. Metalepsen, triple hybrids, und unterschiedliche Formen der Transgression gepaart mit dem Theorem des „homosocial“ nach Leslie Fiedler, machen den Tagungsapparat selbst zu einer titanischen Maschine, einen Ort ganz eigener Kontingenzerfahrung und das Tagungszentrum zum „Locus Suspectus“.

Nadja Israel

Populäre Erscheinungen: Der deutsche Schauerroman um 1800 im internationalen Kontext /
Popular Visions. The German Schauerroman around 1800 and its international Contexts.
Eine internationale Tagung des Instituts für Germanistik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und des Department of Germanic Studies des Trinity College Dublin
30. Januar–1. Februar 2009