Geschrieben am 16. Dezember 2018 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2018

Dominique Ott zu „A Land Imagined“

PlakatIm Traumland

Huan Tu oder A Land Imagined ist erst der zweite Langspielfilm des aufstrebenden Filmemachers Yeo Siew Hua, dessen Regiedébut In the House of Straw(2009) bereits als beachtlicher Beitrag zu der Singapurischen New Wave betrachtet wurde. Schließlich dienen dem aus Singapur stammenden Filmschaffenden auch Regisseure der Taiwanesischen New Wave wie Hou Hsiao-Hsien und Edward Yang als Vorbild.

Der Titel A Land Imagined meint sein Heimatland, ein Inselstaat südlich von Malaysia mit vier verschiedenen Amtssprachen trotz einer geringeren Gesamtoberfläche als Berlin. Doch der Stadtstaat Singapur wird immer größer, dem Gastarbeiter Wang (Xiaoyi Liu) zufolge dank des massiven Imports von Sand, der auf Schwarzmärkten in Malaysia, Indonesien, Vietnam oder Kambodscha beschafft wird. So meinen Wang und Mindy (die Betreuerin des von Wang frequentierten Videospiel- und Pornocafés, gespielt von Yue Guo) jeh nach Strand, auf dem sie während ihrer nächtlichen Stadtrundfahrten Halt machen, ein anderes dieser Länder zu besuchen.

Bereits an dieser Fragmentiertheit des Grund und Bodens zeichnet sich das wacklige Konstrukt Singapur ab, von dem sich die Figuren jedoch auf diversen Ebenen entfremdet fühlen.

Ein Neo-Noir, keine konventionelle Handlung

Der diesjährige Gewinner des Goldenen Leoparden auf dem Locarno Festival war Ende November im Rahmen des Around the World in 14 Films Festivals in Berlin zu sehen. Dort wurde er im Vergleich zu jenen Filmen, die beispielsweise in Cannes auf sich aufmerksam machen konnten, weniger enthusiastisch besucht, obwohl er im Gegensatz zu letzteren in Deutschland bisher keinen Kinostart in Aussicht hat. Trotz des Versuchs, anhand des Trailers den Film als einen Thriller aufzuziehen, setzt A Land Imagined seinem Publikum zugegebenermaßen keine konventionelle Handlung vor. Sie kreist um zwei Figuren: Den bereits erwähnten Wang und den Polizisten Lok, der das plötzliche Verschwinden von ersterem ermittelt.

Lok

Lok

Der Film springt zwischen diesen beiden Charakteren umher, die durch ihre Schlaflosigkeit auf eine eigentümliche Weise verbunden scheinen. Da sie nicht schlafen, können sie auch nicht träumen, oder besser gesagt: Sie träumen obwohl sie wach sind. Dabei sieht Lok was Wang sieht und sucht die gleichen Orte auf, nur zeitversetzt. Es ist anzunehmen, dass Loks Ermittlungen einige Tage später stattfinden, tatsächlich weiß man oft jedoch ebensowenig, wann man ist, wie was geträumt wird und was nicht. Alles verschwimmt gemeinsam mit den farbigen Lichtern der Hafenanlage Singapurs in der regnerischen Nacht. Eine eindeutige Unterscheidung scheint dabei auch nicht von Belang; sämtliche Ebenen sind gleichberechtigt. So auch die Videospielwelt, durch die Wang während seiner schlaflosen Nächte im Cybercafé (ähnlich wie durch seinen Alltag) driftet. Während er dort bei Counter Strike immer wieder aufs Neue seinen Eigentod durchwandert, sucht er in der Konversation mit ‚trolls‘ aus der Cyberwelt ebenso Deutungen seiner Tagträumerei wie seines entfremdeten Lebensgefühls allgemein. Diese verschiedenen Ebenen sind nicht nur alle miteinander verbunden, sondern gleichermaßen real oder imaginiert, je nach Sichtweise.

Wang vor den Sandbergen des 'reclaimed land'

Wang vor den Sandbergen des ‚reclaimed land‘

Was schnell Gefahr laufen könnte in eine weltfremde metaphysische Reflexion abzuschweifen, bleibt vor allem dank einer präzisen, eindrucksvoll zurückgenommenen Kameraarbeit auf Kurs, die nie zeitgenössische Lebensumstände (oder eher gesellschaftliche Missstände) aus dem Blick verliert. In langen, unbewegten Totalen gehen Menschen in der sie im Arbeitsalltag umgebenden Industrie-Maschinerie der ‚reclaimed land‘ Bausstellen unter. Schließlich ist auch die Arbeit an diesen Expansionsorten Thema, für die Arbeitskräfte aus dem Ausland eingeschifft werden. Letztere schulden bei ihrer Ankunft dem arbeitbietenden Unternehmen bereits Geld, weshalb dieses ihre Pässe einzieht, bis sie dort ihre Schulden abgearbeitet haben.

In diesem Umfeld, wo zahlreiche Migranten in einem Arbeitsverhältnis festsitzen, das zur Lebenssituation wird und wo moderne Gastarbeit sich nur schwer von Zwangsarbeit unterscheiden lässt, kommt es zu einer unerwarteten Freundschaft zwischen dem Chinesen Wang und dem Bengalen Ajit. Sie können sich zwar nur in einem gebrochenen Englisch unterhalten, doch Ajit führt Wang in die Bangladeschischen Musikkreise ein, wo beide sich gemeinsam einem entfesselten Tanz hingeben. Auch Lok scheint im chaotischen Umhertanzen eine ähnliche Befreiung zu erfahren: Wenn die beiden Protagonisten sich schon nicht in den Schlaf flüchten können, dann gelingt es ihnen zumindest, sich kurzzeitig in diesem selbstinduzierten Trancezustand zu vergessen. Auch die Kamera scheint sich von der Musik einnehmen zu lassen, wenn sie in diesen Szenen ungewohnt bewegt und nahe an den Figuren umherhüpft.

Sich dem Tanz hingeben

Sich dem Tanz hingeben

An dieser Stelle ist ein Lob an dem Soundtrack des Films überfällig: Mit Bangladeschischer Instrumental- und ostasiatischer Gesangsmusik, über Jazz bis hin zu elektronischen Rhythmen trägt der Abwechslungsreichtum ebenso zur Vereinnahmung des Zuschauers bei wie es die Heterogenität und zeitgleich das Zusammenspiel der diversen dargebotenen Welten spiegelt.

Mit A Land Imagined tritt Yeo Siew Hua als verhältnismäßig junger Regisseur hervor, der nicht nur eine handwerklich überragende Reflexion über die Lebensumstände in seinem Heimatland liefert, sondern sich mit verschiedenen Existenzweisen auseinandersetzt, die aus unserem Zeitalter hervorgehen und dabei versucht, eine dem angebrachte visuelle Form zu finden. Auch dem Locarno Festival gebührt Anerkennung für die Prämierung dieses doch sehr eigenen Werks, welches eher zeitgenössische Erscheinungen beobachtet und auf der Leinwand entfalten lässt, als sich mit einer klaren Linie in bestehende Diskurse einzuschreiben. So kommt die Hoffnung auf, dass der bisherige künstlerische Direktor des Festivals, Carlo Chatrian, mit seinem Amtsantritt an der Doppelspitze der Berlinale ab 2020 auch hierzulande solchen Filmen eine größere Bühne bieten wird.

Dominique Ott

Seine Texte bei uns.

A Land Imagined (Huan Tu), Singapur/ Frankreich/ Niederlande 2018, Regie und Buch: Yeo Siew Hua, Kamera: Hideho Urata, Schnitt: Daniel Hui, Musik: Teo Wei Yong, mit: Peter Yu, Luna Kwok, Liu Xiaoyi, Jack Tan, Ishtiaque ZicoSprachen: Mandarin, Englisch, Bengali, Länge: 95 Min., Goldener Leopard beim Festival in Locarno 2018.

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