Aufgeköchelt
– Erfreulich ist die multimediale Präsenz von Politthrillern allemal. Aber sie stehen auch unter einem gewissen Qualitätsdruck, weil sie die volksbelustigende Breite von durchschnittlichen Grimmis nicht haben und meist auf ein an der Sache interessiertes, kompetentes Publikum treffen. Und das nimmt übel, wenn, wie im Fall der Channel-Four-Miniserie „Secret State“, es an Originalität und Ingenium mangelt.
Anna Veronica Wutschel hat sich gequält …
Künstler, so sagt man, ahnen das Unheil voraus. Und, so sagt man ebenfalls, Geschichte wiederholt sich. Feine Argumente, um einen 1982 zum ersten Mal veröffentlichten, in gewissem Sinne durchaus die Zukunft vorhersagenden Roman einfach neu herauszubringen. Das vom einstigen Labour-Politiker Chris Mullin verfasste Politdrama „A Very British Coup“ wurde 1988 bereits sehr erfolgreich für das Fernsehen verfilmt und verfolgte wie die Romanvorlage den Gedanken, was in den Zeiten des Kalten Krieges hätte passieren können, wenn ein Kandidat der linksorientierten Labour Party zum Premierminister gewählt worden wäre. Interessant ist diesbezüglich vor allem, wie gnadenlos sich das eigene, das britische Establishment in der Fiktion gegen die demokratisch gewählten und anvisierten Reformen gewehrt hätte.
Nun zeigt sich allerdings in den letzten Jahren, ja Monaten erst, in denen immer mehr Enthüllungen einen gewaltigen Kollaps in den Reihen der Londoner Eliten sowie größte Einbußen ihrer Glaubwürdigkeit und Integrität auslösten, wie dicht die Imagination bzw. das Insiderwissen des Autors Mullin an der Realität lag. In den momentan unruhigen Zeiten, in denen Kriege, Terroranschläge und Finanzkrisen die Welt erschüttern, könnte also ein günstiger Zeitpunkt liegen, der einst so erfolgreich vermarkteten Story ein neues Gewand zu verpassen und die verworrenen Abwege von Macht um das perfide Stimmungsmachspielchen, das man Politik nennt, in eine globalisierte Welt zu übertragen. Doch, um eine weitere Redensart zu bemühen, sagt man ebenfalls: Nur Gulasch schmeckt aufgewärmt gut. „Secret State“, so wie die auf aktuelle Geschehnisse umgeschriebene vierteilige TV-Miniserie nun benannt ist, tritt an, auch diese Volksweisheit zu bestätigen.
Moralisch rasant
Selbstverständlich ist der Zuschauer seit den 80er Jahren durch Serien wie „State of Play“, „Borgen“ (dazu bei CM), „Am Rande der Finsternis – Edge of Darkness“ oder „House of Cards“ (zur CrimeMag-Analyse) bezüglich der Politdramen nicht nur verwöhnt, sondern sicherlich auch kritischer, abgebrühter, vielleicht breitenflächig einfach desillusionierter als noch vor einigen Jahrzehnten. „Secret State“ beinhaltet alle nötigen Ingredienzien für einen perfekten Politthriller, kickt sich dann aber durch das stete Bemühen möglichst klug, möglichst moralisch brisant rasant das Verworfene in der Welt allumfassend aufzudecken zu wollen, selbst aus der Arena. Und das, obwohl die Serie einen in vielerlei Hinsicht vielversprechend komplexen Start hinlegt.
Ein Unfall, eine schwere Explosion in der Ölraffinerie PetroFex im Ort Scarrow, kostet 19 Menschen das Leben. Der britische Premierminister fliegt direkt nach Texas zu dem amerikanischen Öl-Multi, der die Anlage finanziert, um über Entschädigungen zu verhandeln. Sein Vize, der diskret introvertierte Unparteiische Tom Dawkins (Gabriel Byrne) reist zum Ort des tragischen Unglücks und macht sich ein Bild vom Ausmaß der Katastrophe. Die ist in der Tat verheerend, ganze Straßenzüge des Ortes liegen wie in einem Kriegsgebiet in Schutt und Asche, Dawkins wandert durch die Ruinen, bückt sich, greift nach dem Handschuh eines Kindes und ist erschüttert, als er feststellen muss, dass in diesem noch die Kinderhand steckt. Dann erschüttert eine weitere Katastrophe das Land ist, der Premierminister stürzt auf dem Rückflug in einer von PetroFex gestellten Maschine über dem Atlantik ab. Geht man zunächst von einem weiteren Unglück aus, spekuliert man bald, der Absturz müsse Folge eines terroristischen Anschlags sein, Fotos belegen immerhin, dass ein Moslem, der nicht auf der Passagierliste eingetragen scheint, in der Maschine mitflog.

Gabriel Byrne (Foto: Ian Smith, Flickr/CC BY-SA 2.0, Wikimedia Commons)
Marionetten
„Eine Tragödie wie diese kann uns einander wieder näher bringen“, verkündet daraufhin der Vize Dawson in einer zutiefst betroffenen Ansprache, in der er nicht dem Protokoll und seiner vorgegebenen Rede folgt, sondern frei zum Volk von Hoffnung und Vertrauen spricht. So viel Ehrlichkeit und Empathie wird honoriert und Dawson’s Sympathiebarometer steigt in erstaunliche Höhen. Und während im Hintergrund längst mit harten Bandagen um den vakanten Premierministerposten eifrig intrigiert wird, entscheidet die Schattenmacht sich für den so einwandfrei aufrecht auftretenden Dawson. Dieser will zwar eigentlich nicht an die Macht und hat trotz aller Integrität wegen eines unglücklichen Vergehens im Bosnien-Krieg selbst keine ganz blütenweiße Weste, glaubt aber augenscheinlich an das Gute und ist bereit, dies – wenn notwendig – auch durchzusetzen. Schließlich braucht das Land einen, so erinnert ihn Fraktionschef Hodder (wie immer superb undurchschaubar: Charles Dance) immer wieder gern, „der seinen Mann stehen kann“ – „mit Eiern“.
Und so zettelt der ehemalige Captain der britischen Armee auf Geheiß seines Militärstabes kurz nach dem Amtsantritt fast umgehend einen Krieg mit dem Iran an und ist sodann beständig bemüht, eben diesen doch noch zu verhindern. Nebenbei muss der Sympathieträger allerdings vorrangig mit den Interessen der internationalen Märkte, der Banken, der Lobbyisten, der eigenen Geheimdienste sowie der Presse ringen. Ein Sumpf aus Korruption und internationalen Verstrickungen, in denen Fakten nach Belieben ausgewertet werden, will brach gelegt werden. Doch Dawson, so rechtschaffen er sich auch bemüht, muss früher oder später erkennen, dass selbst ein Premierminister lediglich eine Marionette im Spiel von Macht und Finanzen ist, und dass Popularität in einer längst absenten Demokratie alles ist.
Kein Grund für Dawson, so schnell das Handtuch zu werfen, ganz im Gegenteil hält er einige Tricks in der Hinterhand, wird immer wieder von der toughen Enthüllungsjournalistin Ellis Kane (die wunderbare Gina McKee kommt leider in der Kürze der Zeit kaum zum Schauspielern) unter Druck gesetzt wie auch auf die richtige Spur gebracht. Die Dame im Trenchcoat raunt ihm immer wieder quasi zwischen Tür und Angel so etwas wie „Verschwörung“ zu, damit Dawson weiß, was er zu tun hat. Und sein früherer Kumpel Anthony Fosset (Douglas Hodge), der inzwischen recht abgehalfterte, versoffene, einstige MI5-Agent durchschaut die Dinge selbst in volltrunkenem Zustand, was ihn im tödlichen Ränkespiel zu einem gefährlichen Gegner macht.
Too much drama
Das ist viel Drama für eine 3-stündige Serie, die sich nahezu allumfassend das Böse hinter der Politbühne vorknöpft und dabei ordentlich durch die selbst verordnete Komplexität hetzen muss. Dawson erscheint als nahezu einzige tugendhafte Instanz, auf dessen Schultern die Bürden des Weltgeschehens verdammt schwer lasten, und so schreitet Gabriel Byrne in einer nicht wirklich glänzenden Performance nur allzu oft angespannt durch das Bild, um sodann seufzend matt ins Leere zu schauen. Überhaupt können all die vielsagenden Blicke, die lediglich in Notizen ausgetauschten, unterschwellig tiefgründigen Botschaften sowie die unzähligen, bedeutungsschweren Sätze des stylish glatt inszenierten Werkes nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier lediglich in einer gewaltigen Mär die Versatzstücke des Politthrillers im Schnelldurchlauf neu zusammengestückelt wurden. Gut, noch einmal kurz zurück zur Gulasch-Aufwärm-Theorie, die besagt, dass Aromen in seltenen Fällen erst mit der Zeit miteinander vollends harmonieren, im Geschmack ineinander aufgehen. „Secret State“ ist ein Remake in neuem, aktualisierten Outfit, bietet aber in elegant rasanter Manier nichts als mau aufgeköchelte olle Kamellen.
Anna Veronica Wutschel
Secret State: 2 DVDs. Studio: Edel. Laufzeit: 185 Minuten. Darsteller: Gabriel Byrne, Ralph Ineson, Charles Dance, Jamie Sives, Gina McKee u. a. Regie: Ed Fraiman. Erscheinungstermin: 07.02.2014. Sprache: Deutsch, Englisch. Audio: Dolby Digital 5.1. Preis: 14,97 Euro. Den Blog von Anna Veronica Wutschel finden Sie hier.