Geschrieben am 15. Oktober 2016 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Essay: Markus Pohlmeyer: Borgia und Machiavelli

Borgia – oder wie ein Papst und seine Familie für Machiavelli Modell standen

71m-cw779tl-_sx522_– Essay von Marcus Pohlmeyer

Prolog

Der englische Untertitel von Borgia (3. Staffel/2016)[1] ist sehr gut gewählt:  Triumph and Oblivion. Da ist der anfängliche Siegeszug Cesare Borgias durch Italien und dann das unbarmherzige Ausgelöscht-Werden, die folgende damnatio memoriae dieser Familie. „Nach dem Tod Alexanders VI. weinte den Borgia dort [in der Romagna; Anm. MP] kaum jemand eine Träne nach. So lautet das Fazit, dass Machiavelli aus dem irrlichternden Glücksritter und Desperado Cesare Borgia bei aller Kritik etwas gemacht hat, was dieser nie war, nämlich einen ernstzunehmenden Staatsmann, ja in vieler Hinsicht sogar den uomo virtouso, den vollendeten Fürsten, schlechthin.“[2]

Alexander VI.

Erschütternd und bitter, der ins Allegorische gesteigerte Tod von Papst Alexander VI.: durch die Malaria niedergestreckt, bläht sich sein von Fliegen umschwärmter Leichnam in der Sommerhitze Roms grotesk auf – bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Sei das ein Mensch gewesen? Die Beerdigungsprozession in Kleinstbesetzung wird dann auch noch überfallen und ausgeraubt. Es bleiben nur übrig die Ex-Geliebte und der ehemalige Sekretär, ein Muslim, der dem Freunde die letzte Ehre gibt und ihn geradezu in das Marmorgrab zerren muss – und dessen Seele Allah anempfiehlt. Der Marmorsarg zeigt ein schönes Papst-Antlitz, das Innere enthält aber das Hässlich-Deformierte. Typisch Borgia: Signifikat und Signifikant werden konsequent auseinander getrieben. Der machtgeile Papst unterstützte institutionell seinen machtgeilen Massenmördersohn Cesare. Pilger füllen hierfür die Kriegskasse genauso wie der (Kardinals)Ämter(ver)kauf.

71bpqj1bodl-_sy445_Die anderen Kardinäle – korrupt, intrigant, pervers, luxuriös, pharaonenhaft und egozentrisch – drehen sich im Karussell der Macht und des nächsten Konklaves. Alexander fürchtet seinen Tod aus einem Grunde, den Kierkegaard nicht hätte besser formulieren können: Das päpstliche Wir würde, entkleidet weltlicher Macht, wieder nur zum Ich werden. Ohne die Illusion und Simulation eines Amtes oder einer Institution, allein vor Gott. Eine Institution, die zu missbrauchen den Amtsträgern straffrei erlaubt ist, aber Weh und Ach jenem armen Pilger, der diese kritisiert: gekreuzigt wird er auf ein Floß gesetzt – im Grunde eine wirkliche imitatio Christi, während die sakrosankten Mörder sich feiern, lügen usw. Motive auf dem Weg zur Reformation sind hier überall zu finden: in der Diskussion um Bibelübersetzungen, Buchdruck, Gedankenfreiheit oder eben dieses Allein-sein-vor-Gott.

Cesare Borgia

Cesare eskaliert, ein Prototyp aller Massenmörder, päpstlich legitimiert (Der Krieg beginnt, weil bestimmte Städte den „Peterspfennig“ nicht zahlen!); er massakriert radikal seine Gegner – mit ausgesuchter Grausamkeit. Aus der Haut von Getöteten lässt er sich z.B. eine Hose nähen. Capua wird im Grunde ausgelöscht etc. An dem einen Abend feiert Cesare im Lager das Leben seiner Soldaten, um am nächsten Tag vor Faenzas Mauern zwischen 3000 Leichen von ihnen umherzuirren. Intrigen und psychopathisches Übermenschentum, hinter dem sich Nichts und Verzweiflung gespenstisch austoben. Der Papstsohn engagiert Leonardo da Vinci, der, ohne jegliche Gewissensbisse, neue Waffen für den Eroberer entwirft. Cesare glaubt aber auch an Fortuna – und das zeichnet diese Staffel aus: auf dem Weg in die Renaissance, in der Renaissance ist alles irgendwie noch da, Altes und Neues. Aber transitorisch: Als z.B. ein Sohn von Lucrezia im Streit der beiden möglichen Väter (pater semper incertus) in ein geradezu sensomotorisches Koma fällt, treten auf: Schwarze Magie, Gebete, Wasser eines Marienheiligtums und Medizin aus der Neuen Welt. Unklar, was denn letztlich gewirkt habe.

cesare-borgia-sketches-by-leonardo-da-vinci

Am brutalsten finde ich eine Nebenszene (die gar keine ist): Die Geliebte des Papstes wird eifersüchtig auf eine Indianerfrau und insinuiert ihr, der Papst, den diese wegen seiner Reinheit verehrt, hege dennoch erotische Neigungen. Die Indianerin hatte gehofft, in Rom Christus zu sehen. Oh, das könne arrangiert werden! Die Ex-Papstgeliebte verkleidet nun einen entsprechend aussehenden Gefangenen wie Jesus (Lendenschurz, Bart, Umhang). Die Begegnung dieser Imitation Christi endet mit einer angedeuteten Vergewaltigung der Indianerfrau, die sich daraufhin ertränken wird. Sie habe überall im Vatikan Jesus gesucht! Darauf Mimikry-Jesus: „Ich werde tun, was meine Welt mit der Unverdorbenheit deiner Welt tun wird!“ Wieder lösen sich die Signifikanten von den Signifikaten.

Machiavelli

Später wird am Hof von Lucrezia, die Alfonso d’Este geheiratet hat, Kopernikus seine neuen kosmologischen Ideen vorstellen. Michelangelo streitet sich mit Leonardo um die Konzeption des „David“ – eine neue Welt beginnt, auch in der Kriegsführung: um Faenza einzuschüchtern, wird die Wirkung von Giftgas demonstriert – im Beisein eines Kardinals. Niccolò Machiavelli hat in dieser Staffel eine heimliche Hauptrolle: als Beobachter, Kommentator, Verehrer von Cesare und gerissener Stratege. „Nicht, als hätte Machiavelli die religiös und ethisch motivierte Metaphysik durch eine naturalistische ersetzen wollen; nicht, als hätte er die heidnische Fortuna an den metaphysischen Ort des bislang christlich oder jedenfalls moralistisch gedachten Weltprinzips setzen wollen. Sein gesamtes Denken zielte auf handlungsorientierte, politisch-historische Analyse und verließ den Raum der bisherigen Metaphysik. Dies gilt auch für Machiavellis anthropologischen Pessimismus.“[3]

santi_di_tito_-_niccolo_machiavellis_portrait_headcropAls Machiavelli vor dem Papstgericht den gefangenen Papstsohn anklagen soll, tut er dies auch überzeugend – bis zur überraschenden Schlussrede: Cesare habe alles richtig gemacht, nur dem falschen Papst (Julius II.) vertraut.[4] Der Florentiner wird dem Fürsten später helfen, aus Rom zu fliehen: ihn verstecken unter dem Sitz in seiner Kutsche, wo er üblicherweise die Bestechungsgelder bunkert. Cesares Gefangenschaften haben in der Folge den Charakter von Donquichotterien: vom eingebildeten Ruhm getrieben, imaginäre Armeen verschiebend und die politische Landkarte Europas neu ordnend – fast mit einer gewissen Ähnlichkeit zum Ende eines der größten Massenmörder des 20. Jahrhunderts.[5]

Diese Serie zeichnet das Bild einer Renaissance, in der skizzenhaft angedacht und ausprobiert wird, was politisch, institutionell und technologisch möglich sein kann – von großen Kunstwerken der Menschheit bis hin zu institutionell-politisch-ideologisch geschützten Massenmördern und ihren Massenvernichtungswaffen. Diese historischen Meta-Texte machen Borgia zu einer starken Serie, aber nicht leicht zu rezipieren. Game of Thrones (GoT) gibt sich dagegen konsequent reduktionistisch: es geht nur noch um eiskalte Machtpolitik, feurigen Sex und möglichst sadistisches Abschlachten. Hier stellt sich mir die Frage nach den Grenzen der filmischen Darstellung von Gewalt. Auf der einen Seite scheint bei GoT alles möglich und erlaubt, auf der anderen Seite bei manchen Serien oder Filmen hochproblematisch. In Star Wars rollen fröhlich Köpfe, Gliedmaßen werden von Lichtschwertern abgeschlagen und überall Megamonsterplanetenkillersuperwaffen; oder im Herr der Ringe, frei nach dem Slogan des Ablasshandels: Das Geld in der Kinokasse klingt, Frodo über Ork-Leichen springt? Ist in Borgia die Gewalt deshalb so unerträglich, weil die Figuren historisch sind? Ist diese Form der Präsentation oder Aneignung eines Kapitels der Kirchengeschichte so unerträglich, weil die Figuren historisch sind? Ist in Borgia die Gewalt so unerträglich, weil sie nicht verhübscht, ästhetisch verklärt und somit banalisiert wird?

Tyrion, der Zwerg in Game of Thrones und letzter Funke von politisch-analytischer Vernunft, bringt es auf den Punkt, als er gefragt wird, was er am besten könne: Trinken! Hier reiner Pessimismus und Machiavellismus – aber ohne Machiavelli, den zu verstehen schwer, ihn missverstehen viel leichter war, was auch in Rezeptionsgeschichte allzu oft geschah: „Richtig ist, dass Machiavellis ideale Republik den Bürger ganz für sich beansprucht und durch Propaganda formte, Individuen vernichten durfte, wenn es die Größe des Staates gebot, und Krieg führen musste, um sich im selbst im Innern zu erhalten und andere Staaten zu erobern. Richtig ist aber auch, dass in dieser Republik alle, ob einflussreich oder namenlos, vor dem Gesetz gleich waren, ihre Macht nur befristet ausüben durften und danach klaglos abtreten mussten. Kein politischer Denker der Frühen Neuzeit konnte die menschenverachtende Effizienz des totalitären Staats im 20. Jahrhundert auch nur ansatzweise vorausahnen.“[6]

In Folge der Reformation werden Religionskriege Europa verwüsten. Alexander VI. und Julius II. sprechen in der Serie gerne immer wieder von einer spirituellen Erneuerung der Kirche. Wer weiß schon, wer der schrecklichere Papst war?[7] So viel zum Versagen des Christentums. Ein befreundeter dänischer Theologe stellte kürzlich fest, wir seien eigentlich, historisch gesehen, Mitglieder der mörderischsten Religion der Menschheit …

Epilog I

In Borgia kündigt der Zeremonienmeister den Auftritt eines Papstes regelmäßig mit verbum incarnatum an. Auftritt: das Fleisch/Mensch gewordene Wort Gottes! Dies hat durchaus seine Grundlage in bestimmten Mentalitäten, die sich dann im 19. Jahrhundert steigern sollten: „Die Volksfrömmigkeit ging noch einen Schritt weiter mit Formulierungen wie «Wenn der Papst meditiert, ist es Gott, der in ihm denkt». Schließlich wurde sogar eine dreifache Inkarnation, eine dreifache Menschwerdung des Sohnes Gottes propagiert: […; durch Bethlehem und die Kommunion; Anm. MP] und schließlich durch die geheime Wahl eines Kardinals im Konklave zum Papst. Diese Vorstellungen führten auf dem Ersten Vatikanischen Konzil zur Dogmatisierung der Unfehlbarkeit und des universalen Jurisdiktionsprimat des römischen Papstes.[8]

Epilog II

„27. Lug und Trug predigen diejenigen, die sagen, die Seel erhebe sich aus dem Fegfeuer, sobald die Münze klingelnd in den Kasten fällt.“[9]

 

Markus Pohlmeyer

lehrt an der Europa-Universität Flensburg

 

[1] Zugrunde liegt diesem Aufsatz Borgia. Die komplette 3. Staffel, Director’s Cut © 2016 Studiokanal GmbH, 5 DVDs.

[2] V. Reinhardt: Die Borgia. Geschichte einer unheimlichen Familie, München 2011, 117.

[3] K. Flasch: Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli, 2. Aufl., Stuttgart 2011, 647 f.

[4] Vgl. dazu Niccolò Machiavelli: Il Principe/Der Fürst, italien./dt., Kapitel VII, übers. u. hg. v. P. Rippel, Stuttgart 1993.

[5] Vgl. dazu J. Fest: Der Untergang. Hitler und das Ende des Dritten Reiches. Eine historische Skizze, Hamburg 2003.

[6] V. Reinhardt: Machiavelli oder Die Kunst der Macht. Eine Biographie, München 2012, 372 f.

[7] Zum Weiterlesen empfohlen: A. Karsten – V. Reinhardt: Kardinäle, Künstler, Kurtisanen. Wahre Geschichten aus dem päpstlichen Rom, Darmstadt 2012.

[8] H. Wolf. Papst & Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich, München 2008, 14. Vgl. dazu auch das erschütternd-erschreckende Buch von H. Wolf darüber, welche Theologen das Unfehlbarkeitsdogma vorbereitet haben: Die Nonnen von Sant’Ambrogio. Eine wahre Geschichte, München 2013. Aus dem Buchrückentext: „Rom, im Juli 1859: Eine Nonne ruft um Hilfe […]. Es kommt zu einem Prozess, in dem die Inquisition Unglaubliches aufdeckt: Im Kloster Sant’Ambrogio werden seit Jahrzehnten Nonnen als Heilige verehrt. Visionen, Dämonenaustreibungen, Segnungen per Zungenkuss, lesbische Initiationsriten und Wunder sind an der Tagesordnung. Zweiflerinnen werden beseitigt. Und hinter den Nonnen steht ein Netzwerk von Jesuiten mit besten Kontakten zum Papst.“ Und damit beginnen erst die Skandale …

[9] M. Luther: Die 95 Thesen, lat./dt., hg. v. J. Schilling, Stuttgart 2016, 15.

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