Geschrieben am 15. November 2018 von für Crimemag, CrimeMag November 2018

Essay: Markus Pohlmeyer über Lucky Luke (No 97)

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Von Markus Pohlmeyer

Der neue Lucky Luke-Band (97) trägt den Titel „Ein Cowboy in Paris“. Auf dem Cover:  Lucky Luke nicht auf der Prärie, sondern hinter kleinen Schornsteinen – und über die Dächer hinweg ist die eingerüstete Freiheitsstatue zu sehen. Und so beginnt die Geschichte damit, dass der Arm dieser Dame – wir sind noch in Amerika – mitten in der Landschaft aufragt. Lucky bringt die Daltons gerade wieder einmal in ein Gefängnis. Für Averell Dalton, dem Ewig-Hungrigen, liegt die Deutung auf der Hand: „… Eine RIESIGE EISTÜTE!!![1]. Der Held kann gerade noch einen gewissen Auguste Bartholdi vor dem Skalpiertwerden retten und erklärt den Indianern, das sei die „stinknormale Reklamefigur einer italienischen Eisdiele!“[2] Bartholdi korrigiert, er sei Franzose und auf Spendentour für eine Statue der Freiheit, die er auf einer New Yorker Insel aufstellen möchte. Und nun sein Gegenspieler: der paranoide Direktor Locker (auch als Schriftsteller tätig mit „Die Leiden des jungen Wärters“[3] möchte genau an diesem Ort sein neues Hochsicherheitsgefängnis errichten. Außerdem hält er sich in einem Safe einen verschüchterten Kanarienvogel namens Papillon[4], der zudem am Füßchen eine Gefängniskugel trägt. Locker sabotiert Bartholdis Tour, wo er nur kann. Lucky Luke verhindert die Sabotagen, wie er kann. Auf Geheiß des Vizepräsidenten muss der Cowboy schließlich Bartholdi nach Paris begleiten.

Ein sehr seekranker Cowboy, während Jolly Jumper mit Sonnenbrille das Sonnendeck genießt.[5] Endlich an Land, jubelt Lucky Luke. Kommentar eines Franzosen: „Dass sich ein Amerikaner mal so freut, in der Normandie zu landen!“[6] Jetzt folgen die kulturellen Schockwellen. So der Amerikaner in seinem Luxus-Hotel mit funkelndem Interieur: „Wozu ist die kleine Tränke aus Porzellan im Badezimmer?“[7] In der Werkstatt tritt auf: Gustave Eifel; und auf der Straße sehen wir einen Maler: „Impressionismus ‘eisst, alle Farben schneller zu malen als ihre Schatten.“[8] Da, die neue Straße um die Sorbonne: Ob die Studenten Pflastersteine bräuchten?[9] Und an der Fassade einer gotischen Kirche (Notre-Dame?) entdeckt Lucky einen Rantaplan, den dümmsten Hund des Wilden Westens, aus Stein gemeißelt (als Wasserspeier?).[10] Und der Dichter Rimbaud benimmt sich wie Billy the Kid auf einem Raubzug nach Bonbons.[11] Wegen seiner Kleidungsfarben (schwarz, rot, gelb) wird Luke regelmäßig für einen Belgier gehalten.[12] Doch er bemüht sich: „Ün kaffee sil wu plä.“ – die Anmerkung unter dem Bild betont: „Französisch mit leichtem Akzent“.[13] Während einer wilden Verfolgungsjagd gewinnt Jolly Jumper en passant ein Pferderennen. Und auf der Jagd nach einem Attentäter lernen wir von innen und außen die Architektur der Freiheitsstatue kennen.[14] Die Statue wird dann doch glücklich nach einer seekranken Überfahrt in New York aufgestellt: wunderbar dazu das einseitige Bild![15] Und Locker? Wird vorher noch von Luke zusammengefaltet (der verlässt wütend dessen Büro, sein bleibt Schatten an der Wand zurück – grandios![16]) und darf Alcatraz als Insasse kennenlernen – und über die Bucht von San Franzisco erschallt Averells Freiheitslied![17] Lucky Luke reitet in den Sonnenuntergang, und singt auf Französisch den Beginn eines Gedichtes von Victor Hugo![18]

Ein phantastischer Band, detailreich, humorvoll-ironisch und ein kleines Kultur-Literatur-Zitaten-Universum, – es gibt noch weit mehr zu entdecken als die wenigen Hinweise hier in diesem Essay! –, aber auch sehr kritisch, wenn Locker über das Konzept Freiheit klagt: „Warum nicht gleich auch ein Denkmal für Gleichheit und Brüderlichkeit? Wo man uns schon gezwungen hat, die Sklaverei abzuschaffen …!“[19] Soweit zu den Idealen der Französischen Revolution. Und noch direkter, wieder Locker, als er erfährt, dass auch Mexikaner die Statue sehen wollen: „Eines Tages sollte man wirklich eine Mauer zwischen unseren Ländern bauen.“[20] Dazu singt ein Gefangenenchor von Freiheit!

Am Ende wird die Freiheitsstatue ein Touristenmagnet: Calamity Jane, eine jüdische Familie,[21] auch ein Indianer und Chinese … lassen sich vor ihr fotographieren. Und nun ja, inspiriert von amerikanischen Bohrtürmen, entsteht ein anderes Bauwerk in Paris: “Monsiuer Eifel, er ’at schon wieder den Träger falsch ’erum eingebaut.“ „’olt Teer und Federn!“[22] Ach, ich vergaß im Zug nach Paris trifft Lucky Luke ein Ehepaar namens Bovary.[23] Er unerträglich TextTextText. Sie schweigt …; und am Bahnhof schaut sie dem Cowboy nach: nur ein Herzchen in ihrer Sprechblase. Oh Paris, du Stadt der Liebe!

Markus Pohlmeyer lehrt an der Europa-Universität Flensburg. Seine CulturMag-Texte hier.

[1] Lucky Luke-Band (97): „Ein Cowboy in Paris“, aus d. Franz. übers. v. K. Jöken, Berlin 2018, 3. Schriftart und -größe zur besseren Lesbarkeit von mir geändert. Wie auch in den anderen Zitaten.
[2] Lucky Luke (s. Anm. 1), 6.
[3] Lucky Luke (s. Anm. 1), 10. Vgl. dazu Goethe: „Die Leiden des jungen Werthers“.
[4] Vgl. dazu den Film „Papillon“ von 1973.
[5] Lucky Luke (s. Anm. 1), 27.
[6] Lucky Luke (s. Anm. 1), 27.
[7] Lucky Luke (s. Anm. 1), 30.
[8] Lucky Luke (s. Anm. 1), 32.
[9] Lucky Luke (s. Anm. 1), 32. Anspielung auf die Studentenproteste von 1968?
[10] Lucky Luke (s. Anm. 1), 32.
[11] Lucky Luke (s. Anm. 1), 32.
[12] Lucky Luke (s. Anm. 1), 33.
[13] Beide Zitate Lucky Luke (s. Anm. 1), 33.
[14] Lucky Luke (s. Anm. 1), 40.
[15] Lucky Luke (s. Anm. 1), 45.
[16] Lucky Luke (s. Anm. 1), 44.
[17] Lucky Luke (s. Anm. 1), 46.
[18] Das vollständige, so erschütternd traurige Gedicht in: V. Hugo, in: Französische Lyrik. 50 Gedichte, franz./dt., übers. u. hg. v. J. von Stackelberg, Stuttgart 2015, 78 f.
[19] Lucky Luke (s. Anm. 1), 13.
[20] Lucky Luke (s. Anm. 1), 20.
[21] Siehe auch Lucky Luke (95): Das gelobte Land.
[22] Lucky Luke (s. Anm. 1), 46.
[23] Lucky Luke (s. Anm. 1), 28 f.

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